Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Bau-Holz, Josef Muchitsch, spricht im Interview über die Beschäftigtensituation am Bau, erklärt, warum eine Direktvergabe des Bad Radkersburger Bürgermeister zur rechten Zeit ein kräftiger Schuss vor den Bug war und fordert von der Bundespolitik, in Sachen Wohnbauförderung nicht vor den Ländern in die Knie zu gehen.
(+) plus: Auf intensives Betreiben der Bausozialpartner gilt die sogenannte Kündigungssteuer, die seit 1.1. in Kraft ist, vorerst nicht für die Bauwirtschaft. Dennoch wurden alleine in der Woche vor Weihnachten rund 20.000 Bauarbeiter gekündigt. Steht es so schlecht um die heimische Baukonjunktur?
Josef Muchitsch: Alleine im Dezember wurden 38.719 Bauarbeiter gekündigt. Dabei nicht berücksichtigt sind Arbeitnehmer aus den Bereichen Holz, Stein- und keramische Industrie. Nimmt man die auch noch dazu, kommt man auf insgesamt 70.000 Arbeitssuchende im Dezember 2012. Das ist ein Plus von 7 % gegenüber dem Vorjahr. Es ist in den letzten Monaten ein kontinuierlicher Anstieg der Kündigungen zum Jahresende zu beobachten, und das völlig unabhängig von der Konjunktur. Ich lasse die Ausreden von Konjunktur- und Wintereinbruch auch nicht zur Gänze gelten. Jetzt zum Jahreswechsel haben wir ein tolles Bauwetter. Und auch im letzten Jahr hat man gesehen, dass dort, wo ein Termindruck gegeben ist, die Unternehmen auch echte Kälteperioden mit kurzfristigen Baueinstellungen überbrücken, ohne gleich die ganze Belegschaft zu kündigen. Da stellt sich die Frage, warum das nicht auch über die Weihnachtsfeiertage möglich ist.
(+) plus: Hat das Verhalten der Bauunternehmen nicht in der Regel wirtschaftliche Gründe?
Muchitsch: Dieses Verhalten bringt aber keinen wirtschaftlichen Vorteil, weil die Urlaubsansprüche durch Arbeitgeberbeiträge bereits in die Urlaubskasse einbezahlt wurden. Es ist einfach ein altes, verkarstetes Denken in der österreichischen Bauwirtschaft, dass es Usus ist, die Leute vor Weihnachten abzumelden. Das zu ändern, ist der Auftrag an uns Sozialpartner und den Gesetzgeber. Wenn die freiwillige Schiene nicht greift, dann erwarte ich mir vom Sozialpartner, dass er strengere gesetzliche Regeln mitträgt. Und ich bin auch optimistisch, dass wir im Zuge der KV-Verhandlungen bis Mai eine gemeinsame Lösung präsentieren können.
(+) plus: Wie könnte diese gemeinsame Lösung aussehen?
Muchitsch: Zum einen brauchen wir eine gesetzliche Regelung, dass Alturlaube bei Kündigung verbindlich verbraucht werden müssen. Und auch bei neuen Urlaubsansprüchen muss der Arbeitnehmer uneingeschränkt entscheiden können, ob er den Urlaub im Zuge einer Kündigung in Anspruch nimmt und so das Arbeitsverhältnis verlängert wird.
(+) plus: Wie bewerten Sie die Beschäftigtensituation am Bau über das gesamte Jahr 2012 betrachtet?
Muchitsch: Sehr interessant. Es gibt zwar einen Zuwachs von 1.500 Beschäftigten, aber auch um 1.200 Arbeitslose mehr. Durch die neuen Firmen aus den EU-Ländern und die Arbeitnehmerfreizügigkeit haben wir also ein zusätzliches Potenzial für die Bauwirtschaft von 2.700 Arbeitskräften. Fazit: Die Beschäftigtensituation ist zufriedenstellend, die Arbeitslosensituation leider nicht.
(+) plus: Viele Unternehmen klagen nach wie vor über einen Mangel an Facharbeitern.
Muchitsch: Ich lasse das Aufheulen bezüglich eines Facharbeitermangels am Bau nicht zu. Einen echten Mangel gibt es nur in den Hochkonjunkturmonaten August und September. In den restlichen Monaten stehen den Unternehmen genügend Facharbeiter zur Verfügung. Man muss also die Arbeit besser auf das Gesamtjahr verteilen. Dabei könnte die öffentliche Hand sehr wohl steuern, wann ein Projekt zur Ausführung kommt.
(+) plus: Öffentliche Auftraggeber sind aber nicht immer ein Vorbild. 2011 hat der Bürgermeister von Bad Radkersburg trotz der Verlängerung der Schwellenwerteverordnung (»Vereinfachte Direktvergabe von Aufträgen zur Stärkung regionaler Unternehmen«; Anm.d.Red.) einen Bauauftrag an ein slowenischen Unternehmen vergeben. Das hat für viel Aufsehen in der Branche gesorgt. Hat Bad Radkersburg Nachahmer gefunden?
Muchitsch: Radkersburg war ein kräftiger Schuss vor den Bug zur rechten Zeit. Seither sind die Gemeinden auch viel vorsichtiger geworden. Uns ist auch kein weiterer derartiger Fall bekannt. Das ist das Positive. Wir haben jetzt mit der erneuten Verlängerung der Schwellenwerteverordnung die Rahmenbedingungen geschaffen, dass Aufträge lokal vergeben werden können. Jetzt müssen die Bürgermeister das auch umsetzen. Auch Städte- und Gemeindebund sind gefragt, ihre Mitglieder dahingehend zu sensibilisieren. Denn im Endeffekt entscheidet immer der Auftraggeber, wer in Österreich einen Auftrag erhält.
(+) plus: Überall ist derzeit von steigenden Mieten und Immobilienpreisen zu lesen. Graz zeigt, dass man mit dem Thema Wohnen sogar Wahlen gewinnen kann. Warum ist das Thema auf Bundesebene so wenig präsent?
Muchitsch: Weil das Thema nach wie vor unterschätzt wird, und zwar von allen politischen Parteien. Außerdem ist der Bereich Wohnen und Wohnbau ein so großes Feld, das zu beackern sich nicht viele zutrauen. Das wird aber in Zukunft notwendig sein. Wenn sich die Politik dem Thema nicht stärker widmet, wird sie von den Wählern die Quittung präsentiert bekommen.
(+) plus: Sehen Sie Bewegung seitens der Bundespolitik?
Muchitsch: Bewegung sehe ich vor allem im Bereich des Wollens, aber noch nicht des Handelns. Als wir 2009 die Initiative »Umwelt+Bauen« gestartet haben, war der Tenor der Bundesregierung, dass die Finanzierung von Gesundheit und Soziales absoluten Vorrang genieße. Heute ist Wohnen in der To-do-Liste weit aufgerückt.
(+) plus: Mit dem Strategiepapier »Wohnen 2020« hat »Umwelt+Bauen« der Politik ein Instrument an die Hand gegeben, das leistbares Wohnen in Österreich absichern soll. Was sind Ihre zentralen Forderungen und Ziele?
Muchitsch: Die Ziele sind eine Erhöhung der geförderten Neubauleistung jährlich um rund 7.000 Einheiten, die schrittweise Erhöhung der Sanierungsrate auf drei Prozent und ein forcierter Umstieg auf erneuerbare Energien beim Heizen. Dabei liegt der Fokus auf kurzfristig umsetzbaren Lösungen, die keine zusätzlichen Budgetmittel verlangen, dafür aber Arbeitsplätze schaffen und sichern und der Finanzministerin zusätzliche Einnahmen bringen. Dazu zählen eine bedarfsorientierte Zweckbindung der Wohnbauförderung ebenso wie die Schaffung fiskalischer Anreize für private Auftraggeber. Außerdem schlagen wir eine Bundeswohnbauagentur zur Absicherung einer bedarfsgerechten Wohnbaufinanzierung und als Investitionsimpuls für Neubau und Sanierung vor. Außerdem soll der Bundes-Sanierungsscheck schrittweise zu einer »Sonderaktion: Thermische Sanierungsmilliarde« ausgebaut werden.
(+) plus: Für die Wiedereinführung der Zweckbindung der Wohnbauförderung gibt es prominente Unterstützung, von Wirtschaftsminister Mitterlehner über Staatssekretär Schieder bis zu Wirtschaftskammerpräsident Leitl. Warum tut sich in dieser Sache so wenig?
Muchitsch: Weil der Bundespolitik ein wirksames Instrument gegenüber den Ländern fehlt. Die Wohnbauförderung wird in jedem Bundesland anders eingesetzt, mit anderen Schwerpunkten und Qualitätskriterien. Wir haben neun verschiedene Fördersysteme, das wäre in Bayern undenkbar und dort leben 4,2 Millionen mehr Menschen. Deshalb erwarte ich mir einen Schulterschluss auf Bundesebene und dass die Regierung nicht wieder vor den Ländern in die Knie geht.
(+) plus: Das Salzburger Modell des Wohnbaufonds galt in der Branche lange Zeit als vorbildlich, ist im Zuge des Finanzskandals aber in Verruf geraten. Zu Recht?
Muchitsch: Das Salzburger Modell ist nach wie ein Best-Practice-Modell für alle anderen Bundesländer. Man muss unterscheiden zwischen dem Modell und der Finanzierung. Die Kritik an der Finanzierung ist gerechtfertigt. Wohnbaugelder dürfen nicht für Spekulationsgeschäfte verwendet werden. Das heißt aber nicht, dass das Modell schlecht ist. Denn Fakt ist auch, dass der Wohnbedarf in Salzburg für die nächsten Jahre gesichert ist.
(+) plus: Was erwarten Sie von 2013?
Muchitsch: Ich erwarte ein durchwachsenes und bewegtes Jahr in der Bauwirtschaft. Ich glaube aber auch, dass wir die kommenden Herausforderungen meistern könnten. Schwierig wird es aber, wenn es nicht zumindest zu einem leichten Konjunkturaufschwung kommt. Dann erwarte ich von der Bundes- und Landespolitik, dass entsprechend unterstützend eingegriffen wird, damit die Konjunkturlokomotive Bau wieder Fahrt aufnehmen kann. Das Geld dafür ist da, denn die Steuereinnahmen 2011 und 2012 waren deutlich höher als budgetiert.
>> Die Wohnbauagentur:
Zur Sicherung der Finanzierung der zusätzlich erforderlichen Neubau- und Sanierungsleistung sowie zur teilweisen Kompensation der Kapitalmarktmittel fordert die Initiative »Umwelt+Bauen« die Einrichtung einer Bundeswohnbauagentur, die eine »Grundfinanzierung« in Höhe von etwa 25 bis 30 Prozent der Investitionskosten für die rund 21.000 im unteren Preissegment des Geschoßwohnbaus erforderlichen Neubauwohnungen bereitstellt. Um keine Maastrichteffekte auszulösen, soll die Kapitalaufbringung zu mehr als 50 % über den privaten Sektor, die Kapitalverwendung zu mehr als 20 % im privaten Sektor erfolgen. Die wirtschaftliche Gestion ist auf die Erzielung von Erträgen ausgerichtet.