Montag, Dezember 23, 2024

Georg Kolik behält den Überblick über seine Brücken am Wiener Hauptbahnhof. Im Hintergrund die Südbahnhofbrücke.In der Regel assoziieren wir mit dieser Aussage Telefonhotlines. Aber es gibt weit mehr Verbindungen, die uns im Alltag begleiten. Brücken und Tunnel vernetzen Flussufer, Stadtteile und Lebensräume. DI Georg Kolik ist Leiter des Fachbereiches Brückenbau und Straßentunnel bei der MA 29 und mit diesen Verkehrslösungen in Wien bestens vertraut.

Wien ist aufgrund seiner topografischen Lage eine klassische Brückenstadt. Über 800 Brücken betreut die MA 29 als zuständige Brückenbauabteilung. Seit Dezember 2007 liegt die Verantwortung für alle Brückenbauten und Stiegen bei DI Georg Kolik. Tunnel fallen ebenfalls in sein Aufgabengebiet.

Brücken sind Monumente in der Landschaft

Koliks Leidenschaft gehört dem Brückenbau. »Brücken sind architektonische Punkte in der Landschaft, die man von überall sieht. Beim Entstehen dabei zu sein, das ist für mich etwas Besonderes«, erzählt er begeistert. In Wien gibt es derzeit zahlreiche Brückenprojekte für den 39-Jährigen. »Die Friedensbrücke wird saniert, im Zuge der B14 arbeiten wir an der Seitenhafenbrücke über den Donaukanal. Mit 130 Metern stellt sie eine der längsten integralen Brücken in Österreich dar», berichtet Kolik, den sein Beruf auch in der Freizeit nicht loslässt. »Geschichte und Entwicklung von Brücken faszinieren mich sehr. Wenn man sich die Aquädukte aus der Römerzeit ansieht und vergleicht, was aus dem Brückenwesen von einst geworden ist, das ist großartig.« Das zurzeit wichtigste Projekt findet sich am neu entstehenden Wiener Hauptbahnhof. »Dort bauen wir zwei Brückentragwerke über das Bahngelände – die Südbahnhofbrücke und den Arsenalsteg, womit die Querung an beiden Seiten des Bahnhofs möglich wird. Dieses Projekt ist spektakulär. Wir haben nur ganz kleine Zeitfenster, in denen wir die Tragwerke montieren können.« Für den Ingenieur ist der Hauptbahnhof ein einmaliges Projekt. »Mit einer Größe von 109 Hektar bedeutet er für Wien eine entscheidende Infrastrukturmaßnahme. Bei diesem Projekt geht es nicht nur um eine Verkehrsstation, sondern um die Entwicklung eines gesamten Stadtviertels.« Und seine Brücken helfen dabei. Sie verbinden die Bezirke Landstraße und Favoriten.

Aus der Not zur Tugend

460 Tonnen, 60 Meter lang, über 17 Meter breit – so lag das erste Tragwerk neben den beiden V-förmigen Pfeilern. Anfang Oktober wurde es dort eingepasst – abgesichert in acht Metern Höhe. Bis dahin gab es gehörig Planungsarbeit, »denn aufgrund der Platzeinschränkung konnten wir das Tragwerk nicht parallel zum Pfeiler montieren«, erzählt der Kulturtechniker. Das Tragwerk wurde von unten her hochgestapelt. Als Basis dienten massiv verstärkte Drehgestelle von Eisenbahnwaggons, die sich auf einem temporären Montagegleis befanden. »Ein Tragwerk wird normalerweise vorgeschoben oder mit einem Kran eingehoben. Das ist bei diesen Dimensionen aber nicht möglich.« Die 45-Grad-Drehung wurde mit der ARGE Kunstbauten umgesetzt. »Unser erstes gemeinsames Projekt gelingt perfekt – alle Baupartner arbeiten unkompliziert und lösungsorientiert.« Neben der ARGE Kunstbauten sind Planer für das Tragwerk beteiligt, Prüfingenieure für die Konstruktion, Berater für die stahlbaumäßige Optimierung und Ziviltechniker für alle Abnahmen. Kolik weiß, wovon er spricht, denn er ist in dieser Branche groß geworden. Nach der Ausbildung an einer HTL, Schwerpunkt Elektrotechnik, entschied er sich für das Studium der Kulturtechnik und Wasserwirtschaft an der Universität für Bodenkultur in Wien. Es folgte eine kurze Anstellung bei einem Ziviltechniker für Kulturtechnik und Wasserwirtschaft, bevor er 1999 zur MA 29 wechselte. »Hier hat die Praxis wirklich angefangen. Kulturtechnik ist zwar ein Bauingenieurstudium, aber erst durch learning by doing wird man mit den unterschiedlichsten Problembereichen vertraut. In meinen ersten Jahren bin ich auf Baustellen mitgegangen, war bei der Planung dabei – man lernt aus der Erfahrung.« Heute ist der 39-Jährige nicht nur Fachbereichsleiter Brückenbau und Straßentunnel, er ist auch stellvertretender Leiter der MA 29. Gerne erinnert er sich an sein erstes Projekt bei der MA 29. »Das war ein Fuß- und Radweg in Wien Liesing. Der Steg Ketzergasse hat eine Spannweite von 13,5 Metern und eine Breite von vier Metern. Das war das erste Projekt nach der Uni, das ich fast allein abgewickelt habe. Es war Neuland für mich und daher eine besondere Hausforderung.«

Projekt im Projekt

Seit dem Ketzergassensteg sind viele Projekte über Koliks Tisch gelaufen, manche waren einfach umzusetzen, manche waren eine Herausforderung. Die Brücken am Hauptbahnhof zählen zu letzterer Kategorie. Sie bilden ein Projekt im Projekt. Nicht nur die Umsetzung ist eine Herausforderung, auch die Organisation. «Bauherr des Hauptbahnhofs ist nämlich die ÖBB, Bauherr der Brücken ist die Stadt Wien. Unsere Arbeiten werden in enger Abstimmung mit jenen der Bahn koordiniert und ausgeführt. Die Errichtungsarbeiten müssen zeitgleich erfolgen, weil nach der Eröffnung des Hauptbahnhofs mit massiven Einschränkungen zu rechnen ist. Eine unzureichende Koordination würde auch die Baukosten explodieren lassen. Es ist jetzt schon schwer», stellt Kolik fest und sieht das Projekt als Premiere. »Eingedrehte, eingeschobene Brücken gibt es viele. Eine Umsetzung auf Eisenbahn-Drehgestellen ist mir aber nicht bekannt.« In der Verwendung werden sich Südbahnhofbrücke und Arsenalsteg nicht von anderen Brücken unterscheiden. »Die Südbahnhofbrücke dient als kombinierte Verbindung für den Straßenverkehr, für Fußgänger und Radfahrer. Der Arsenalsteg wird als reine Geh- und Radverbindung gebaut», berichtet der 39-Jährige, selbst begeisterter Radfahrer. «Beide Brücken erhalten Rampenbauwerke zwecks barrierefreier Erschließung, die Fertigstellung ist für 2015 geplant.«
Langeweile nach dem Projekt Hauptbahnhof braucht Kolik nicht zu fürchten. «In Bezug auf Neuerrichtungen sieht die Planung zwar bescheiden aus, aber hinsichtlich Instandhaltung und Verbreiterung sowie Anpassung an den Stand der Technik gibt es genügend Baustellen», so Kolik. Es warten also ausreichend Arbeiten auf den Ingenieur, der sich selbst als leidenschaftlicher Planer outet.

 

>> Südbahnhofbrücke:

> Tragwerksherstellung: Juli/November 2010 bzw. April/Mai 2013.
> Zentrale Bogenbrücke mit zwei seitlichen Rampentragwerken.
> Das Tragwerk wird aus zwei gekoppelten Bogenbrücken ausgeführt. Die Bögen haben eine asymmetrische Form in Brückenlängsrichtung. Der Hauptbogen befindet sich im Mittelstreifenbereich, der zweite Bogen wird fahrbahnseitig neben der Fahrbahnplatte leicht nach innen geneigt angeordnet.
> Streckenverlauf: Verlängerung der Franz-Grill-Straße, Querung der Bahngleise, Mündung im neu entstehenden Stadtviertel.
> Freigabe für Straßen-, Fuß- und Radverkehr geplant für 2015.
> Tragwerkslänge der Bogenbrücke: 102 Meter.
> Tragwerksbreite: 17,5 Meter.

 

>> Arsenalsteg:

> Tragwerksherstellung: Oktober 2010 bis Jänner 2011 und Juni 2013, die Einschiebung des Arsenalstegs ist für Jänner 2011 geplant.
> Bogenbrücke mit südlicher Rampenanlage und nördlichem Plateau mit Aufzugs- und Stiegenanlage (behindertengerecht, fahrrad- und kinderwagentauglich).
> Das Tragwerk wird aus sechs gekoppelten Bogenbrücken mit fachwerkartigen schrägen «Hänger»-Diagonalen ausgeführt.
> Freigabe für Fuß- und Radverkehr
> Streckenverlauf: Querung der Ostbahn Höhe Objekt V des Arsenals.
> Tragwerkslänge: circa 260 Meter.
> Tragwerksbreite: 6,5 Meter.
 

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