Mittwoch, November 20, 2024
Tunnelbau unter Wien
Das mächtige Schneidrad der Tunnelvortriebmaschine "DEBOHRA". (Copyright: Tobias Holzer)

Beim Bau der neuen U2-Strecke zwischen Matzleinsdorfer Platz und Augustinplatz kommt eine Tunnelvortriebsmaschine (TVM) zum Einsatz, die es ermöglicht, den gesamten Aushub über einen zentralen Schacht abzutransportieren. Nach der Fertigstellung des Projekts wird die Maschine 19.000 Betonfertigteile verlegt haben.

Die bei der Verlängerung der Wiener U2 in Richtung Süden zum Einsatz kommende, über 120 Meter lange und 1.300 Tonnen schwere Tunnelvortriebsmaschine (TVM) des deutschen Herstellers Herrenknecht – liebevoll DEBOHRA genannt – ist bereits fleißig am Vorarbeiten. Damit das Auffahren der Tunnelröhren reibungslos erfolgen kann, müssen die erforderlichen Betonringe, die Tübbinge, bereitstehen. Diese werden bereits seit Ende 2023 bei der Maba Fertigteilindustrie GmbH vorproduziert. Zehn bis zwölf Tübbinge werden aktuell im Schnitt pro Tag verbaut. Bis zum Andrehtermin wurde das Lager kontinuierlich mit rund 36 dieser Tübbinge pro Tag aufgefüllt. Insgesamt werden über 19.000 Einzelsegmente für den Öffi-Ausbau U2xU5 hergestellt.

Effiziente Tunnelbaumethode
Statt Baggern, Meiseln und schnellhärtendem Spritzbeton arbeitet sich die Tunnelvortriebsmaschine mit einem Schneidrad in einem Ausbruchsdurchmesser von knapp sieben Metern kontinuierlich durch den Untergrund. Nach 1,4 Metern Vortrieb wird jeweils ein Betonring versetzt, der schrittweise die Tunnelröhre bildet. Jeder Ring besteht aus sechs einzelnen Segmenten, den sogenannten Tübbingsegmenten, die zuvor bei der Maba unter optimalen Bedingungen vorgefertigt wurden und von der TVM passgenau installiert werden. Sobald ein Ring fertig verlegt ist, kann sich die Tunnelvortriebsmaschine an diesem abdrücken und weiter vortreiben. Die sechs Tübbingsegmente, die einen fertigen Ring bilden, haben jeweils leicht unterschiedliche Geometrien, die mit höchster Präzision auf Zehntelmillimeter genau hergestellt werden und während der gesamten Produktionsphase laufend von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Wiener Linien bereits im Werk überprüft werden. Mit den 35 cm starken Tunnelringen kommt nur die exakte Menge an Beton und Bewehrung zum Einsatz, die zur Erfüllung der Spezifikationen erforderlich ist.

Videotipp: Ring um Ring zur Tunnelröhre

Vorfertigung im Werk
Für die über eine Arbeitsgemeinschaft aus Porr und Strabag realisierten U2-Baulose zwischen Matzleinsdorfer Platz und Augustinplatz werden die Tübbinge erstmals in Standfertigung in den Werkshallen der Maba Fertigteilindustrie GmbH in Wöllersdorf produziert, und nicht, wie bei vergangenen Maba-Tunnelgroßprojekten wie dem Wienerwaldtunnel, Koralmtunnel oder Boßlertunnel, in einer eigens errichteten Feldfabrik am Tunnelportal.
»Die günstige Lage südlich von Wien, die kurzen Transportwege und das Vertrauen in einen Betrieb, der bereits seit einem Jahrhundert mit seiner Expertise und seinem riesigen Produktportfolio wesentlich zur Wiener Infrastruktur beiträgt, haben dazu beigetragen, dass wir letztlich von der ARGE U2 17-21 beauftragt wurden«, erzählt Prokurist Stefan Kizlink. »Nach den vielen spektakulären Tübbing-Projekten unserer Unternehmensgruppe von der Koralm bis nach Stuttgart freuen wir uns ganz besonders, unsere Expertise nun quasi vor der Haustür zur Verfügung stellen zu können«, freut sich auch Michael Wardian, CEO der Kirchdorfer Gruppe.

Tübbing: Die Quadratur des Kreises im Tunnelbau
Die Betonfertigteile werden mit äußerst geringen Toleranzen hergestellt, die sonst nur im Maschinenbau üblich sind – ein Umstand, der hoch spezifisches Know-how erfordert. Die präzise Geometrie wird nach der Entschalung mit laserbasierten Theodoliten vermessen und kontrolliert.
Durch die hohen Qualitätsanforderungen und die mehrmals pro Woche erfolgende Überprüfung direkt vor Ort wird sichergestellt, dass die Fahrgäste der Wiener Linien später einmal durch ein makelloses Tunnelbauwerk transportiert werden.

Tübbinge.jpg

Insgesamt 19.000 Betonfertigteile werden für den U-Bahnbau im Stammwerk der Maba Fertigteilindustrie in Wöllersdorf gefertigt.

Komplexe Herausforderungen
Der Tunnelbau in bis zu 37 Metern Tiefe unter der Stadt stellt eine Reihe von Herausforderungen dar. »Aus bautechnischer Sicht ist dieses U-Bahn-Erweiterungsprojekt enorm spannend, da hier die unterschiedlichsten Baumethoden miteinander interagieren – von der offenen Bauweise für die Errichtung der Stationsschächte über den zyklischen Vortrieb bis hin zum kontinuierlichen Tunnelvortrieb«, erklärt der U2-Projektleiter der Wiener Linien, Helmut Schweiger.
Ein beträchtlicher Teil des Gesamtprojekts, das mit den ersten Planungen bereits vor knapp zehn Jahren begonnen hat, findet lange vor Beginn der Hauptbaumaßnahmen statt. »Nach den ersten Planungen müssen bei so einem Projekt zunächst zahlreiche Vereinbarungen getroffen und grundbücherliche Verträge abgeschlossen werden – noch lange bevor die ersten Bauarbeiten ausgeschrieben werden. Darüber hinaus werden Setzungsprognosen erstellt und gegebenenfalls diverse Fundamente verstärkt oder neu errichtet«, so Schweiger. Enorm komplex sei natürlich auch die Verlegung der gesamten unter der Erde verlegten Infrastruktur – hier müssen zahlreiche Einbauten wie Kanäle, Wasser-, Gas- und Telekommunikationsleitungen sowie Hausanschlüsse manipuliert und die Baufelder entsprechend freigelegt werden. Dazu kommen noch diverse Entwässerungsmaßnahmen, die das Graben unter der Stadt enorm anspruchsvoll machen.
Entsprechend der Unternehmensphilosophie vergeben die Wiener Linien generell keine Generalbaulose, sondern wollen im Vergabeprozess auch zahlreichen lokalen Klein- und Mittelbetrieben die Möglichkeit bieten, direkt an dem Projekt teilnehmen zu können. Auch die örtliche Bauaufsicht wird in erster Linie intern abgewickelt. Es ist daher nicht überraschend, dass von den ca. 175 Mitarbeitern in der Hauptabteilung »Infrastrukturentwicklung und -realisierung« zurzeit beinahe zwei Drittel der Belegschaft mit dem U2xU5-Großprojekt beschäftigt sind.

 

Hintergrund:
Herrenknecht stellt die Maschine, Maba die Tübbinge:
Der beim U2-Ausbau zum Einsatz kommende Maschinentyp des »Erddruckschilds« (EPB – Earth Pressure Balance Shield) löst mit einem rotierenden Schneidrad Material, das über eine Förderschnecke in den hinteren Bereich der Vortriebsmaschine transportiert wird. In einem ständigen Wechsel von Ringbauphase und Vortriebsphase wird die Maschine über Hydraulikzylinder nach vorne gepresst und stößt sich dabei am jeweils zuvor gesetzten Tübbingring ab. Die EPB-Methode ist besonders für den Vortrieb in nicht standfesten Böden geeignet: Über Düsen im Schneidrad kann lockeres Erdreich konditioniert werden und das Erddruckschild wirkt dem Stabilitätsverlust durch die Erzeugung eines entsprechenden Stützdrucks entgegen. Dabei wird das Erdreich so weit komprimiert, bis ein Gleichgewicht hergestellt ist. Diese nahezu setzungsfreie Vortriebsmethode ist optimal für den innerstädtischen Bereich.

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