Freitag, Jänner 10, 2025
Wohnraum auf serbisch
Belgrader Architekt*innen erhielten ihre Ausbildung in Prag, Wien, Paris und Rom. Dadurch entstand eine Architekturvielfalt, Jugendstil ist ebenso zu finden wie Historismus, Architektur der 30er-Jahre, Brutalismus, Funktionalismus, byzantinische und lekobisianische Architektur. (Fotos: PRB)

Die diesjährige Studienreise des Vereins für Wohnbauförderung, VWBF, führte nach Belgrad. In der serbischen Hauptstadt wurde wieder deutlich, welche Bedeutung sozialer Wohnbau hat.


Am Weg in das Hotel Moskva, einem der ältesten Hotels in ganz Serbien und Architekturdenkmal der Stadt, erklärt Michael Gehbauer, Obmann des VWBF, die Entscheidung für Belgrad. »2009 habe ich mit einer Delegation Belgrad besucht. Damals war ein Aufbruch spürbar, leistbares Wohnen anzugehen und breitere Bevölkerungsschichten miteinzubeziehen. Man wollte 1.000 geförderte Wohnungen im Jahr schaffen.« Bereits nach dem ersten Tag ist in der VWBF-Gruppe Ernüchterung eingetreten. Belgrad und ganz Serbien unterliegen der nationalistischen Ausrichtung von Präsident Vučić. Die Devise lautet Marktausrichtung, Förderungen gibt es lediglich für Eigentum in Form zinsgünstiger Darlehen. Mieterschutz ist für die breite Bevölkerung nicht vorhanden, ebenso fehlen Gewerkschaft und Architektenkammer.

Geld regiert den Wohnbau
»Größtenteils bestimmen Investoren«, berichtet die Reiseleiterin, Architektin Violeta Vujovic-Salhofer, die auch an der HTL Mödling unterrichtet, und nennt als Beispiel das Luxusviertel Waterfront, das an der Save liegt. »Es ist eine traurige Entwicklung. Auf einer der schönsten Flächen Belgrads war bis in die 2010er-Jahre der alte Bahnhof untergebracht. Es galt, das Areal anders zu nutzen, viele Wettbewerbe wurden durchgeführt.« Allerdings kam ein Investor aus Saudi-Arabien mit seinem Luxus­projekt Waterfront und rund 3,5 Milliarden Dollar und rannte damit offene Türen ein. Um das Projekt realisieren zu können, habe die serbische Regierung einfach die notwendigen Gesetze in einer Nacht-und-Nebel-Aktion geändert, das Stadtbauamt konnte nichts tun. Nun sind vor allem ausländische Büros eingemietet, großteils aus Irland und England. »Das Hochhausprojekt ist eine reine Investorengeschichte, kein Projekt von Stadtplanern«, kritisiert sie und verweist auf den Ausgang zur Save, der nur durch eine Shoppingmall zu erreichen ist, die Luxusgeschäfte aufweist und damit für die breite Bevölkerung nicht interessant ist. »Die Wohnungen der angrenzenden Türme gehören Personen, die Belgrad verlassen haben, jetzt in Vancouver, Sidney oder anderswo wohnen. Im Alter wollen sie nach Belgrad zurückkommen.«

Derzeit stehen die Wohnungen leer, denn Mieten sind für die Bevölkerung nicht leistbar. Das Projekt spalte die serbische Hauptstadt und das ganze Land. Es zeigt auch eine anonyme Architektur von schlechter Qualität. »Die serbische Architektur sieht anders aus, sie ist spritziger, phantasievoller.« Das kritisiert Vujovic-Salhofer auch in Neo-Belgrad, jenem Stadtteil der nach dem Zweiten Weltkrieg nach den städtebaulichen Ideen Le Corbusiers entstand. In den letzten 20 Jahren hat sich das Bild verändert, eine zunehmende Verdichtung ist erkennbar, Grünraum verschwindet, es wird anonymer. Es sei städtebaulich auch befremdendend, dass man Bauen bis an die Baufluchtlinie eingeführt hat. Das passe nicht in das Konzept Belgrads. Scharf kritisiert sie auch die Entwicklung beim alten Messegelände. »Es steht unter Denkmalschutz. Nun sollte eine Halle abgerissen werden, Immobilien für die reiche Bevölkerung waren geplant.« Widerstand hat hier aber dazu geführt, dass die Oper angesiedelt wird.

Glasfassade_Projekt.jpg

Bild: Angesichts von zuletzt 45 Grad ist die Wand- und Deckenkühlung im Wohnprojekt Infinity sehr gefragt, im Winter wird mit Geothermie via Boden und Wand geheizt. Die doppelte Glasfassade schafft ebenso Energieeffizienz.

Eigentum bestimmt Belgrad
In der serbischen Hauptstadt befinden sich rund 95 Prozent der Wohnungen in Eigentumsverhältnissen (in Österreich sind es 45 Prozent). Diese hohe Quote ist vor allem durch den Privatisierungsprozess in den frühen neunziger Jahren und die zahlreichen Kaufanreize der Regierung, mit Abschlägen von bis zu 90 Prozent vom Marktwert einer Immobilie, zustande gekommen. Eine Einschränkung war lediglich, dass nur eine Wohnung pro Mitarbeiter*in vergeben wurde, es galt ein fünfjähriges Weiterverkaufsverbot. Viele Eigentümer*innen nutzen die Wohnung nicht selbst, sie vermieten weiter. Allerdings gibt es kein Mietrecht. »Es gibt kaum einen Unterschied zu den Mieten in Wien,« informiert Michael Gehbauer, »nur zwei Prozent der Wohnungen fallen unter Social Housing.« Die Einkommenssituation stellt sich allerdings anders dar. Das durchschnittliche Bruttomonatseinkommen betrug im Jahr 2022 rund 1.000 Euro, Pensionen lagen bei rund 400 Euro. Mittlerweile ist Wohneigentum kaum mehr zu finanzieren. »Trotz schlecht erhaltener Substanz werden bei Zentrumsnähe 2.500 €/m² verrechnet, bei einem Neubau 6.000 Euro und mehr«, informiert Vujovic-Salhofer.

Wohnbau sichern
»Die Durchdringung des heimischen Wohnungsmarktes mit gefördertem Wohnungsbau erspart den Österreicher*innen rund 1,2 Mrd Euro«, zitiert Klaus Baringer, Obmann der GBVs und Vorstandsvorsitzender der Gesiba eine WIFO-Studie. Zudem dämpft sie die Mietenhöhe im frei finanzierten Bereich. Gemeinnütziger Wohnbau muss daher erhalten und gefördert werden. »Es darf keine begrüßenswerten Eintagsfliegen geben, nötig ist ein struktureller Ansatz, um leistbaren Wohnbau voranzubringen.« Und er nennt aktuelle Zahlen: 2023 gab es im gemeinnützigen Sektor noch 29.200 Baugenehmigungen, 2024 entstehen nur noch 14.100 Neubauwohnungen, ab nächstem Jahr werden es nur noch 10.000 bis 11.000 sein. »Die Forderung der ÖVP, dass alle geförderten Wohnungen künftig zu erwerben sein sollen, ist paradox«, kritisiert Gehbauer. »Wir sind zwar weit entfernt vom Belgrader Wohnungsmarkt, aber diese Pläne führen dahin.«

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Bild: Ein Konzept für umfassende Sanierung fehlt in Belgrad, erste Projekte erfolgen nur auf Eigeninitiative der Bewohner*innen.

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