Samstag, Juli 27, 2024
Entspannung oder Alarmsignal
Aktuell werden bei Riederbau 15 Lehrlinge ausgebildet, zehn weitere kommen im September dazu (im Bild: Lehrling Thomas Kapfinger).

Die aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen lassen den Fachkräftemangel etwas in den Hintergrund treten. Unternehmen sollten sich aber nicht verleiten lassen, ihr Engagement im Employer Branding schleifen zu lassen. Die vermeintliche Entspannung könnte langfristig negative Auswirkungen haben.


Wirft man einen Blick auf die aktuellen Statistiken des AMS, hat man nicht unbedingt den Eindruck, dass die heimische Bauwirtschaft in einer tiefen Krise steckt. Zahlreiche Berufe fallen immer noch in die Liste der Mangelberufe, vom Dachdecker über Gleisbauer und Betonbauer bis zum Maurer. Von einem Mangelberuf spricht das AMS dann, wenn der Stellenandrang, also das Verhältnis von offenen Stellen zu Arbeitslosen kleiner gleich 1,5 ist. Weniger mathematisch ausgedrückt, wenn auf zwei offene Stellen nur drei Arbeitslose mit einem entsprechenden Lehrabschluss kommen. Das ist aktuell bei zwölf Berufen der Fall (siehe Tabelle). Das ist allerdings nur ein Teil der Wahrheit. Vergleicht man die Zahlen vom Juni 2024 mit denen vom Juni 2022, sieht man eine deutliche Entspannung. In fast allen Berufen hat sich das Verhältnis von Arbeitslosen und offenen Stellen deutlich verändert. Während im Juni 2022 auf 1.661 offene Maurerstellen nur 1.038 Arbeitslose kamen, sind es jetzt 1.272 Arbeitslose auf 861 Stellen.

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Tabelle: Die vorliegende Tabelle zeigt den sogenannten Stellenandrang. Je geringer das Verhältnis von Arbeitslosen mit zumindest einem entsprechenden Lehrabschluss und offenen Stellen, desto größer der Fachkräftemangel. Ab einem Wert kleiner gleich 1,5 spricht das AMS offiziell von einem Fachkräftemangel.

Ganz ähnlich, wenn auch nicht immer so drastisch, ist die Entwicklung bei fast allen Mangelberufen. Das ist auch wenig verwunderlich, denn laut Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse BUAK sind aktuell im Vergleich zum Vorjahr rund 10.000 Arbeiter weniger am Bau beschäftigt. Dass der Kampf um die Fachkräfte aktuell etwas weniger hart geführt werden muss, bestätigen auch die Unternehmen. »Allgemein ist eine leichte Entspannung am Arbeitsmarkt spürbar, es ist wieder ein verstärkter Eingang an Bewerbungen festzustellen«, sagt Thomas Pointner, Learning and Development Manager Österreich beim Holzwerkstoffhersteller Egger. Allerdings seien spezifische Positionen speziell im Bereich IT, Technik und Logistik immer noch herausfordernd zu besetzen.

Auch Anton Rieder vom Tiroler Mittelständler Riederbau sieht eine leichte Entspannung. »Die Fluktuation ist geringer, jeder ist froh, einen sicheren Arbeitsplatz zu haben«, so der ehemalige Landesinnungsmeister. Der Ansturm von Facharbeitern bleibe aber aus. Den gibt es auch bei Branchenprimus Strabag nicht. Mitarbeiter*innen in Schlüsselpositionen seien weiterhin rar, heißt es. Konzernweit habe man über 3.500 offene Stellen zu besetzen.

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Bild: Am Strabag Campus in Ybbs sollen die Mitarbeiter*innen unter dem Stichwort »Lebenslanges Lernen« laufend auf den neuesten Stand der Technik gebracht werden.

Hausaufgaben gemacht
Ein leichtes Abklingen des Dauerthemas Fachkräftemangel sieht hingegen Josef Muchitsch, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Bau-Holz. »Aufgrund der Rezession am Bau werden aktuell auch Facharbeiter gekündigt«, ist Muchitsch überzeugt, warnt aber, dass diese Arbeitskräfte in andere Branchen abwandern und bei einem Konjunkturaufschwung dann schmerzlich vermisst werden. Diese Sorge teilt man auch beim Sozialpartner der Bundesinnung Bau, weshalb man sich weiterhin intensiv um das Thema Ausbildung und Sicherung des Fachkräftenachwuchs kümmern werde.

Dass sich die Branche in Sachen Nachwuchsarbeit in letzter Zeit nicht viel vorwerfen kann, bestätigt nicht nur Muchitsch, sondern kann man auch an der Lehrlingsstatistik der BUAK ablesen. Während mit dem Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 die Lehrlingszahlen kontinuierlich zurückgegangen sind, setzte nach dem absoluten Tiefpunkt im Jahr 2016, als nur noch 6.015 Lehrlinge ausgebildet wurden, die Trendwende ein. In Folge wurden bis 2021 jedes Jahr signifikant mehr Lehrlinge ausgebildet. Erst 2022 kam es zu einer Stagnation und im letzten Jahr aufgrund der Rahmenbedingungen zu einem leichten Rückgang. »Die Bereitschaft, Lehrlinge auszubilden, sinkt, weil Aufträge im personalintensiven Wohnbau fehlen. Weniger Aufträge bedeutet weniger Lehrlinge, leider«, bedauert Muchitsch.

Neben der Lehrlingsausbildung setzen die Unternehmen auch stark auf innerbetriebliche Weiterbildung. Auf der Plattform Egger Campus werden unterschiedlichste Aus- bzw. Weiterbildungsformate angeboten. Die Bandbreite reicht von fachspezifischen Themen wie Schweiß- oder Bilanzbuchhalter-Kursen über persönlichkeitsbildende Angebote wie Zeitmanagement, Selbstorganisation oder Konfliktmanagement bis hin zu individuellen Coachings für Führungskräfte oder Fachspezialist*innen. Auch am Strabag Campus in Ybbs gibt es je nach Beschäftigungsgruppe vom Facharbeiter bis zum Polier unterschiedliche Weiterbildungen. Ziel ist es, die Mitarbeiter*innen laufend auf den neuesten Stand der Technik zu bringen.

Auch Riederbau bietet seinen Mitarbeiter*innen umfassende Weiterbildungsmöglichkeiten an. »Das reicht von Zusatzausbildungen im Rahmen der Lehre, Vorarbeiter- und Polierausbildung, Spezialkursen für Techniker und Kaufleute bis zu zahlreichen Mitarbeitern, die ein berufsbegleitendes Studium absolvieren«, so Rieder, der die hohe Qualifikation seiner Mitarbeiter*innen als absolutes Muss für die komplexen Aufgaben sieht, die die Kernkomptenz des Unternehmens – Design & Build – mit sich bringt.

Arbeitgebermarke stärken
Auch wenn das Thema Fachkräftemangel aktuell nicht ganz so virulent sein mag, wie in den letzten Jahren, warnt Anna Nowshad, Partnerin bei Deloitte Österreich, die Unternehmen davor, sich beim Employer Branding zurückzulehnen. Eine starke Arbeitgebermarke könne dazu beitragen, sich vom Mitbewerb abzuheben und Toptalente so besser anziehen und halten zu können. »Das ist gerade jetzt, wo viele Betriebe aufgrund multipler Krisen gezwungen sind, Ausgaben und Ressourcen zu reduzieren, besonders wichtig«, ist Nowshad überzeugt. Gutes Employer Branding helfe, bestehende Mitarbeiter*innen zu motivieren und an das Unternehmen zu binden, was die Fluktuation reduziert und somit die Kosten für Neueinstellungen minimiert. Unternehmen aus der Bauwirtschaft empfiehlt Nowshad, Themen wie Sicherheit, Arbeitsplatzstabilität und Gesundheit hervorzuheben. »Dazu gehört die Schaffung sicherer Arbeitsbedingungen und die Förderung des Wohlbefindens der Arbeiterinnen und Arbeiter«, so die Deloitte-Expertin.

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Bild: »Benefits alleine reichen nicht aus, um eine starke Arbeitgebermarke aufzubauen. Was es braucht, sind auch entsprechende Veränderungen im Führungsverhalten und in der Arbeitsgestaltung«, informiert Anna Nowshad, Deloitte, darüber, was Unternehmen für Mitarbeiter*innen attraktiv macht.

Auch transparente Prozesse und faire Arbeitsbedingungen, etwa durch die Offenlegung von Sicherheitsprotokollen, faire Lohnstrukturen und klare Karriereentwicklungsmöglichkeiten sowie Schulungsprogramme helfen, die Arbeitgebermarke am Bau zu stärken. Nicht zuletzt stellt die Förderung von Innovation und Nachhaltigkeit ein entscheidendes Differenzierungsmerkmal dar.

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Hintergrund: Unterstützung durchs AMS

Das AMS unterstützt Bauunternehmen mit sogenannten Impulsberatungen, ihre Arbeitgeberattraktivität zu steigern und nachhaltige Lösungen für personalwirtschaftliche Herausforderungen zu finden. Beispiele, die Bauunternehmen diesbezüglich umgesetzt haben, sind:

Digitalisierung, Ergonomie und Wertschätzung: Verbesserung der Organisation durch gezielte Maßnahmen im Bereich Digitalisierung, Verbesserung der Arbeitsplätze durch ergonomische Maßnahmen sowie gezielter Fokus hinsichtlich der Wertschätzung der Mitarbeiter*innen durch gezielte Benefits.

Zukunftsgerichteter Know-how-Aufbau: Erstellung eines Schulungsplans und gezielte Weiterbildung der Mitarbeiter*innen.

Neue Mitarbeiter*innen: Kennenlernen der Zielgruppe und Maßnahmen, um die Zielgruppe angemessen anzusprechen.

Personal halten und gewinnen durch professionalisiertes HR-Management und Qualifizierung: Verbesserung der Aufbau- und Ablauforganisation, Neugestaltung der Stellenprofile und Ausbildung von Lehrlingen und Quereinsteiger*innen.

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