Mittwoch, November 20, 2024
Renaturierungsgesetz – die Auswirkungen auf die Bau- und Immobilienwirtschaft
Bild: iStock

Nicht nur wegen des überraschenden Alleingangs von Umweltministerin Leonore Gewessler hat das EU-Renaturierungsgesetz zur Wiederherstellung von Ökosystemen für jede Menge Aufsehen gesorgt. Gemeinsam mit PHH Rechtsanwält:innen zeigt der Bau & Immobilien Report, was das Gesetz für die Branche bedeutet.


Am 17. Juni 2024 verabschiedete der EU Rat beim Treffen der EU-Umweltminister:innen ein Gesetz zur Wiederherstellung der Natur, in Österreich auch unter Renaturierungsgesetz bekannt. Die Abstimmung war denkbar knapp. 20 Länder mit insgesamt 66,07 Prozent der EU-Bevölkerung stimmten für das Gesetz. Italien, Ungarn, Polen, Finnland und Schweden stimmten dagegen, Belgien enthielt sich. Österreichs Stimme war damit entscheidend für die Verabschiedung des Renaturierungsgesetzes. Das heftig umstrittene Ja von Umweltministerin Leonore Gewessler wird die Koalition wohl noch länger beschäftigen. Fakt ist, dass der ursprüngliche Vorschlag der EU Kommission durch zähe Verhandlungen abgeschwächt wurde und das EU Parlament schon vor einem Jahr, im Juli 2023, den jetzt vorliegenden Kompromiss beschlossen hatte. Mit der Zustimmung des EU Rats ist der Weg frei für die Verordnung. Mit der Veröffentlichung im EU Amtsblatt tritt sie in Kraft und gilt unmittelbar in allen EU-Mitgliedsstaaten.

Die folgende Übersicht zeigt, was das Gesetz genau regelt und welche Auswirkungen es auf die Bau- und Immobilienwirtschaft haben wird. Angesichts der hoch emotionalen Diskussion haben die PHH Partnerinnen Julia Fritz, Expertin für Immobilienrecht, und Stefanie Werinos, Expertin für Umweltrecht, für den Bau & Immobilien Report die Fakten geprüft und insbesondere die Anwendbarkeit des Gesetzes in städtischen Gebieten untersucht.

Die Auswirkungen des Renaturierungsgesetzes auf die Bau- und Immobilienwirtschaft

Ziele

Endfassung Renaturierungsgesetz: Bis 2030 sollen in allen EU-Mitgliedstaaten mindestens 20 % der Land- und Meeresgebiete wiederhergestellt werden. Ökosysteme, die sich in einem schlechten Zustand befinden, werden schrittweise bis 2050, wiederhergestellt. Priorität haben dabei die definierten Natura-2000-Gebiete. Ziel der EU ist, durch intakte Ökosysteme Naturkatastrophen zu minimieren bzw. ihre Folgen abzuschwächen.

Kriterien: Gefordert wird ein guter Zustand der Zielgebiete:
- guter physikalischer, chemischer, struktureller und funktioneller Zustand
- hohes Maß an ökologischer Integrität, Stabilität und Widerstandsfähigkeit
- Potenzial, um die langfristige Erhaltung eines Ökosystems zu gewährleisten.

Ausnahmen: Das Renaturierungsgesetz zielt auf geschädigte Ökosysteme ab. Bis 2030 sind die definierten Natura-2000-Gebiete im Fokus, erst danach werden weitere Gebiete – sofern erforderlich – wiederhergestellt.

Kommentar PHH: Ähnlich wie beispielsweise in der Wasserrahmenrichtlinie wird die aktive Wiederherstellung bereits geschädigter Ökosysteme gefordert. 


Maßnahmen zur Renaturierung

Endfassung Renaturierungsgesetz: Die EU Staaten müssen konkrete Pläne vorlegen, wie sie diese Ziele erreichen. Dies gilt auch für städtische Gebiete, die in der Verordnung einen wichtigen Schwerpunkt bilden.

Kriterien: Fortschritte in zwei der folgenden drei Indikatoren.
1. Index der Wiesenschmetterlinge und Insekten-Bestäuber
2. Anteil der landwirtschaftlichen Flächen mit Landschaftselementen mit großer biologischer Vielfalt
3. Bestand an organischem Kohlenstoff in mineralischen Ackerböden

Außerdem:
- Feldvogelindex
 - EU-weit sollen bis 2030 drei Milliarden neue Bäume gepflanzt werden
 - 25.000 Flusskilometer sollen EU-weit wieder frei fließen, regulierende Maßnahmen sollen dazu zurückgebaut werden.

Ausnahmen: Die Zielvorgaben für landwirtschaftliche Ökosysteme können dann ausgesetzt werden, wenn dadurch die Versorgungssicherheit gefährdet ist. Das gleiche gilt für Flussregulierungen. Energieversorgung und andere notwendige Bebauungsmaßnahmen bleiben ausgenommen. Bei der Wiedervernässung von Torfgebieten gilt zudem das Prinzip der Freiwilligkeit, wenn es sich bei den Besitzern um Landwirte oder private Grundbesitzer handelt.

Kommentar PHH: Die EU regelt das Was, nicht aber das Wie. Dies bleibt auch weiterhin Sache der einzelnen Mitgliedstaaten. Es bleibt daher abzuwarten,wie Österreich konkret die jeweiligen Pläne ausarbeitet. Mit den beschriebenen Ausnahmen hat die EU zudem die Einwände der Landwirtschaft berücksichtigt, damit die Lebensmittelversorgung in der EU weiterhin garantiert bleibt. Allerdings könnten damit EU Staaten unter dem Deckmantel der Versorgungssicherheit die Ziele auch weiterhin boykottieren oder großzügige Ausnahmeregeln schaffen.

Geltungsbereich in Städten

Endfassung Renaturierungsgesetz: Nach Art 6 der EU-Wiederherstellungsgesetz sollen die Mitgliedsstaaten Sorge tragen, dass es insgesamt zu keinem Nettoverlust von städtischen Grünflächen und Baumkronen bis 2030 sowie anschließend zu einem Zuwachs kommt.

Kriterien: Bis 2030 soll keine Grünfläche mehr verbaut werden, es sei denn, es wird dafür ein gleichwertiger Ersatz geschaffen. Nach 2030 soll der Anteil der Grünflächen dann zunehmen.

Ausnahmen: Stadtzentren, in denen die städtischen Grünflächen 45 % und die städtischen Baumkronen 10 % übersteigen, können von den Mitgliedstaaten ausgenommen werden.

Kommentar PHH: Dieser Ausnahmebereich ist denkbar klein und wohl in den überwiegenden Fällen, insbesondere in Wien, nicht einschlägig.


Auswirkungen auf den Städtebau

Endfassung Renaturierungsgesetz: Das Renaturierungsgesetz möchte der weiteren Verbauung und Umwidmung in städtischen Gebieten einen Riegel vorschieben. 

Kriterien: Gemessen wird der Anteil von Grünflächen und Baumkronen in allen städtischen Gebieten in Österreich.

Ausnahmen: Kompensationsflächen können etwa Verkehrsflächen vor allem für den ruhenden Verkehr sein, die in Parks oder Ackerland umgewandelt werden. Auch Straßen- und Fassadenbegrünung, Dachgärten oder die Entsiegelung von Innenhöfen gelten als Grünflächen und können damit zur Kompensation mitberechnet werden.

Kommentar PHH: Die Vorgaben darf man nicht lokal sehen, das EU-Wiederherstellungsgesetz betrachtet stets die Mitgliedsstaaten als Ganzes, auf die einzelnen Bundesländer wird grundsätzlich keine Rücksicht genommen. So wäre es etwa möglich, dass in Zusammenarbeit mit anderen Bundesländern eine bundesländerübergreifende Raumplanung weiterhin das Wachstum von Wien und anderen Städten gewährleisten kann. Fraglich ist, wie diese auch rechtlich ausgestaltet werden kann. 


Kompatibilität mit Energiewende

Endfassung Renaturierungsgesetz: Die bereits verabschiedete Erneuerbaren Energien Richtlinie 3 (RED III) sieht vor, dass bis 2030 rund 50 % aller Gebäude mit Erneuerbaren Energien geheizt und gekühlt werden. 

Kriterien: Vereinfachter Ausbau von PV-Paneelen und anderen Erneuerbaren Energiegewinnungsanlagen, insbesondere auf bereits versiegelten Flächen.

Ausnahmen: Sonderstellung für gemischte Nutzung, etwa Argo-PV-Anlagen

Kommentar PHH: Damit sowohl die Wiederherstellung von Ökosystemen als auch die Energiewende gelingt, wäre es wünschenswert, wenn die Bundesländer das Ortsbild nicht als Negativargument für die Genehmigung einer Dachanlage heranziehen können, sondern stets beides im Auge behalten.


Chancen und Förderungen

Endfassung Renaturierungsgesetz: Das EU-Wiederherstellungsgesetz hält explizit fest, dass es von größter Bedeutung ist, dass private und öffentliche Investitionen in die Wiederherstellung getätigt werden. Als Finanzierungsprogramme werden etwa das
LIFE-Programm, der Landwirtschaftsfonds, der Europäische Fonds für regionale Entwicklung und der Kohäsionsfonds genannt.

Ausnahmen: Die Vergabe der EU Fördergelder ist an die Berechnung der Kosten in den nationalen Wiederherstellungsplänen gekoppelt. 

Kommentar PHH: Es wird wohl über Förderungen oder Unterstützung geben. Sofern diese auch für die Schaffung von städtischen Grünflächen gelten, könnten diese gut mit etwaigen und auch schon bestehenden Förderungen für Wärmepumpen oder Fassadendämmung kombiniert werden und für zusätzliche Nachfrage sorgen. 


Fazit von Julia Fritz und Stefanie Werinos

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Die EU-Verordnung zur Wiederherstellung von natürlichen Lebensräumen, auch Renaturierungsgesetz, ist ein wesentlicher Baustein im Green Deal der EU und soll einen einheitlichen Standard schaffen, der eine Instandsetzung von Ökosystemen ermöglicht. Die Verordnung gibt dabei vor allem die Ziele vor, die Umsetzung bleibt den Mitgliedern vorbehalten. Damit obliegt es den einzelnen Staaten, wie sie die Vorgaben erfüllen möchten. Dabei bietet das Renaturierungsgesetz auch Chancen und Impulse für die Bau- und Immobilienbranche. Zwar wird die Umwidmung von Grünland in Bauland durch die EU-Vorgaben in Zukunft deutlich schwieriger bis nahezu unargumentierbar. Auf der anderen Seite eröffnen sich Chancen durch die Schaffung von Kompensationsflächen sowie den Vorrang von Versorgungssicherheit für eine nachhaltige Städte- und Landschaftsplanung. Wichtig ist hier allerdings, dass die Ziele nicht – wie zuletzt bei der Bodenversiegelung – bundeslandweise diskutiert werden, sondern ein nationaler Plan erarbeitet und umgesetzt wird.


Über PHH Rechtsanwält:innen
PHH Rechtsanwält:innen ist eine der führenden Anwaltskanzleien für Wirtschaftsrecht in Österreich. Seit ihrer Gründung 2001 ist die Kanzlei stetig gewachsen und wurde international mehrfach ausgezeichnet. Die sechs PHH-Partner und mehr als 50 Mitarbeiter*innen arbeiten in Experten-Clustern,die von M&A über Prozessführung, Bank- und Finanzrecht, Steuerplanung bis hin zu Wirtschaftsstrafrecht reichen. PHH steht für persönliche und kompetente Beratung, Loyalität gegenüber Kunden und kreative Lösungsansätze. www.phh.at

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