Mittwoch, November 20, 2024
Neues Bauniveau

Bauen ist bis zum heutigen Tag ein vor allem handwerklicher Prozess, der sich aber zunehmend zu einer Bauindustrie 4.0 entwickelt. Die Bauzeit kann um bis zu 70 Prozent reduziert und die Gesamtkosten durch geringere Material- und Lohnkosten um ein Viertel gesenkt werden.


Rund 80 Prozent der Arbeiten, die beim Bau eines Gebäudes anfallen, können bereits von Maschinen übernommen werden, vor allem monotone, körperlich anstrengende Tätigkeiten wie im Fassadenbau, dem Wandverbau aber auch z. B. im Bauabfallrecycling, wo Abfallstoffe zu sortieren sind. Mobile Systeme, die sich an wechselnde Einsatzbedingungen anpassen und sich auf der Baustelle bewegen, um wechselnde Aufgaben zu übernehmen, gewinnen an Raum. Die Bandbreite reicht dabei vom Mauerroboter über sich autonom bewegende Baumaschinen und Exoskelette bis hin zum Gerüst-, Inspektions- und Bohrroboter, der Bohrungen für Installationen im Bereich Heizung, Klima und Lüftung vornimmt.

ABB Robotics kann bereits auf eine Reihe entsprechender Pilotprojekte verweisen, darunter die automatisierte Herstellung von Wänden, Böden und Decken für mehrstöckige Wohnbauprojekte bei Autovol in den USA, die robotergestützte Installation von Aufzügen beim Schweizer Aufzugshersteller Schindler sowie die automatisierte Herstellung von vorgefertigten Modulhäusern bei Intelligent City in Kanada. Hier hat sich die Produktionsleistung um 15 Prozent und die Geschwindigkeit um 38 Prozent erhöht, während die Abfallmenge um 30 Prozent gesunken ist.

Steigerung der Qualität am Bau
Nur wenige Bauunternehmen nutzen bereits Automatisierungslösungen. Eine Mehrheit will diese laut einer ABB-Umfrage unter 1.900 Bauunternehmen in Europa, den USA und China allerdings künftig einführen, schon allein aus Gründen des bestehenden Fachkräftemangels. Denn mit konsequenter Automatisierung der Bauprozesse lassen sich laut Dario Stojicic, Channel Specialist Collaborative Robots, Standardabläufe digitalisieren und optimieren. Der gezielte Einsatz von Robotern auf Baustellen ermöglicht es, potenziell gefährliche Tätigkeiten, wie Arbeiten in großer Höhe oder das Handhaben schwerer Lasten, von menschlichen Arbeitern auf Roboter zu übertragen. Diese Automatisierung reduziert das Risiko von Arbeitsunfällen erheblich und trägt maßgeblich zur Verbesserung der Gesamtsicherheit auf der Baustelle bei.

Speziell angefertigte Roboter eignen sich auch bei Überkopfarbeiten wie Verputz- und Malerarbeiten. Eine besondere Art von Robotern, die das Handhaben schwerer Lasten und körperlich anspruchsvoller Arbeiten erleichtern können, sind Exoskelette. Autonom fliegende Drohnen bieten sich für Arbeiten in der Höhe an. Neue Möglichkeiten der Videoerfassung mithilfe von AI und maschinellem Lernen, z. B. von Leica Geosystems, erlauben eine bessere Baustellendokumentation und -überwachung. Durch solche Maßnahmen werden Bauberufe abwechslungsreicher, Baustellentätigkeiten weniger witterungsabhängig und für digital affine Menschen durch den Einsatz zeitgemäßer Technologien im großen Anwendungsmaßstab attraktiver – vor allem für junge Menschen. Diese schrecken vielfach noch vor einer Karriere in der Bauindustrie zurück, weil sie den Eindruck haben, dass die Tätigkeiten körperlich langfristig anstrengend und gefährlich wären.

»Unser Hauptziel ist es, die Arbeit auf Baustellen einfacher und sicherer zu machen«, betont Peter Radel, Geschäftsführer von Peri Österreich. »Dazu kombinieren wir Informationen aus Bauwerksmodellen, Fachmodellen und der Baustelle selbst, um sie den Anwender*innen zugänglich zu machen. Wir setzen auch XR-Technologien wie das Spatial Computing ein, um Informationen benutzerfreundlich darzustellen.« Mit Mesh setzt Peri vermehrt auf robotergestützte und automatisierte Bewehrungsverarbeitung.

Roboter-Mensch
Auf lange Sicht wird der Einsatz von Robotik Bauprozesse und die Bauwirtschaft tiefgreifend verändern. Roboter werden Menschen aber nie komplett ersetzen können. Vielmehr erleichtern sie den Alltag und bieten z. B. Architekten bisher wenig genutztes, gestalterisches Potenzial. Ein Modul eines geschwungenen Dachs kann von einem Roboter etwa in rund zehn Stunden gefertigt werden. Menschen bräuchten für die gleiche Arbeit mehr als 100 Stunden. Peter Radel bestätigt die notwendige Rolle des Arbeiters. »Trotz des Einsatzes moderner Technologien wie künstliche Intelligenz und Automatisierung bleibt der Mensch im Mittelpunkt unserer Bemühungen und ist unverzichtbar im Bauwesen.« Denn der eigentliche Arbeitsablauf der meisten Maschinen muss noch manuell gesteuert werden.

Vermessungsdrohnen benötigen Pilot*innen und Geoinformatiker*innen für die Auswertung der Daten, Fertigungsroboter Betriebs- und Wartungspersonal und ein 3D-Betondrucker ein hochqualifiziertes Team von Techniker*innen. »Es braucht eine Interaktion von Menschen mit Robotern, zum Beispiel in neuen Umgebungen und jenen, die nicht vollständig beschreibbar sind«, stimmt Wilfried Wöber, Leiter des Kompetenzfelds Digital Manufacturing, Automation & Robotics an der Fachhochschule Technikum Wien, zu. Automatisierung sei in vielen Bereichen durch die hohe Dynamik der Umgebung einfach noch nicht möglich.

Offene Grenzen
Die Automatisierung mittels Roboter steckt im Bausektor laut Kuka, einem weltweit führenden Anbieter von intelligenter Robotik, Anlagen- und Systemtechnik, noch in den Kinderschuhen. Eine der Herausforderungen, an der branchenweit gearbeitet wird, ist die durchgängig digitale Prozesskette idealerweise von der ersten Entwurfszeichnung bis zur Schlüsselübergabe des Gebäudes. Das Reagieren auf unerwartete Situationen und eine sich ständig ändernde Umgebung ist eine weitere Einschränkung, erklären Forscher*innen. An digitalen Innovationen für die Baustelle der Zukunft wird bereits intensiv gearbeitet, in Österreich z. B. im Rahmen von »Stadt der Zukunft«, als eigener Forschungsbereich an den technischen Universitäten und FHs oder bei Digital Findet Stadt. Im Zentrum stehen Fragen rund um Advanced Automation, Innovative Sensorkonzepte, generative Fertigungsverfahren, Werkstofftechnologien und Industrial Operations Management.

Die FH Technikum Wien betreibt eine digitale Fabrik, die aus Robotersystemen und Hardwarekomponenten von Firmenpartnern sowie aus Softwarekomponenten zur Steuerung und Simulation besteht. Die heterogene Systemlandschaft der digitalen Fabrik erlaubt die realitätsnahe und insbesondere auch KMU-geeignete Untersuchung und Weiterentwicklung von Automationslösungen und Robotersystemen. Das Themengebiet Robot-based Manufacturing befasst sich mit der Durchführung von subtraktiven Fertigungsverfahren durch Industrieroboter sowie mit der additiven Fertigung (3D-Druck) mittels Robotern (Robot-based additive Manufacturing). Im Jänner fand der Robotics Day statt, der den rund 450 Besucher*innen die Vielfalt und Dynamik der aktuellen Entwicklungen in der Robotik zeigte. Forschung betreiben auch Unternehmen – Schindler arbeitet z. B. daran, wie Robotertechnologien Bauprozesse von Hochhäusern positiv beeinflussen können, um Qualität sowie Geschwindigkeit des Baus zu verbessern und gleichzeitig ein Maximum an Sicherheit zu gewährleisten. Die fischerwerke (Bauroboter BauBot) sind ein neues Mitglied im Innovation Park Artificial Intelligence und arbeiten an der verstärkten Einbindung von KI, Robotik und Digitalisierung im Bauwesen.

Bild: »Das Roboterinstallationssystem Schindler R.I.S.E. wird in Zukunft im Aufzugsschacht mit BIM-Informationen gespeist und anhand des digitalen Modells arbeiten«, sagt die Geschäftsleiterin für Schindler Österreich, Janine Schwabe-Häder. 


Dimension KI

Aktuell gibt es am österreichischen Markt rund 240 KI-Anbieter. Vielfältig sind die Einsatzmöglichkeiten von KI, gerade in den Bereichen der Analyse großer Datenmengen und der datenbasierten Entscheidung und Prognose.

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Bild: »Im Durchschnitt laufen beim DFKI 350 bis 400 Projekte zu KI, was ihrem großen Potenzial entspricht«, informiert Antonio Krüger.

Großes Potenzial zur Produktivitätssteigerung am Bau bietet nicht nur Robotik, auch Künstliche Intelligenz unterstützt die gesamte Wertschöpfungskette. »KI wird das Bauwesen in mehreren Dimensionen verändern«, stellt Professor Antonio Krüger, CEO des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI), fest. »Sowohl in der Entwurfs- und Planungsphase durch VR-Anwendungen, bei Beantragung und Compliance durch den effizienteren Einsatz von BIM-Systemen, bei der Baustelleneinrichtung, Materialverwaltung und Unterbeauftragung, bei der Sicherstellung der Einhaltung der jeweils gültigen Brandschutzvorgaben als auch bei Nachnutzung, Gebäudeumbau oder Materialrecycling.« Vernetzte Augmented-Reality-Anwendungen und intelligente Wearables erhöhen darüber hinaus die Sicherheit, können Kollisionen und Quetschungen vermeiden und in vielen konkreten Situationen den Informationsfluss bedarfsgerecht durch mobilen Echtzeitzugriff auf die Baustellendaten unterstützen. »Mensch-Roboter-Kollaborationen sind zwar noch nicht reif für den generellen praktischen Einsatz auf der Baustelle, der Bau wird aber wie die Landwirtschaft zu den Profiteuren gehören«, ist sich Krüger sicher. Einen Nutzen für KI bietet der Ende 2023 vom Europäischen Parlament verabschiedete AI Act, der sicherstellt, dass KI-Systeme transparent, nachvollziehbar, umweltfreundlich und nicht diskriminierend sind. »Der Regulierungsansatz basiert auf der Definition einzelner Risikoklassen. Es ist notwendig zu regulieren, um für KI einen verlässlichen Rahmen zu schaffen, der Investitionen anzieht und damit Innovation ermöglicht.«

 


Projekte mit Potenzial für die Zukunft

Der In Situ Fabricator ist ein umgebungsintelligenter, mobiler Bauroboter für die Fabrikation von Bauelementen direkt auf der Baustelle, entwickelt an der ETH Zürich.

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Kuka ermöglicht die robotische Fertigung in der Holzbauarchitektur. Die Verlagerung der Baustelle in die Fabrik bietet neben höherer Effektivität beispiellose Qualität, verbesserte Arbeitsbedingungen und Nachhaltigkeit am Bau.

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BauBot übernimmt die Bohrlocherstellung präzise an im Bauplan vorgegebenen Stellen und wird in Kürze fischer Befestigungslösungen in­stallieren. Sind keine digitalen Daten der Baustelle vorhanden, lässt sich ein 3D-Scan durchführen.

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Bei Peri werden einsatzoptimierte Schalungs- und Gerüstfachmodelle mit zusätzlichen Informationen angereichert, wie z. B. Echtzeit-Sensordaten. Diese intelligente Kombination von Lösungen und Technologien verbessert Effizienz und Sicherheit auf Baustellen.

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Die Baumit BauMinator 3D-Betondruck Technologie hat es ermöglicht, dass durch die Verwendung von 3D-gedruckten Aussparungskörpern eine Decke umgesetzt wurde, bei der über 35 Prozent weniger Stahl und Beton bei gleicher Leistungsfähigkeit benötigt werden und der CO2-Fußabdruck stark reduziert ist – Fläche 717 m², Länge 46 m, Spannweite 14 m. »Der BauMinator platziert das Material nur dort, wo es benötigt wird«, informiert Baumit Geschäftsfeldleiter Eduard Artner.

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Roboter-Mikrofabriken treiben innovative Verfahren im modularen Wohnungsbau voran. (Kooperation zwischen ABB Robotics und Porsche Consulting)

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Die Human Augmentation mithilfe von Exoskeletten optimiert menschliche Fähigkeiten mittels maschineller Power. (Jaibot bei der Anwendung Absaugung.)

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