Österreichs Gemeinden vergeben jedes Jahr Bauaufträge in der Höhe von rund 3,6 Milliarden Euro. Rechtskonforme Ausschreibung und Vergabe stellen aber viel Kommunen vor große Herausforderungen. Der Bau & Immobilien Report präsentiert einen Leitfaden für die gewerksweise Vergaben von Bauaufträgen.
Text: Stephan Heid und Magdalena Ralser, Heid & Partner Rechtsanwälte.
Das jährliche Beschaffungsvolumen des Staates beträgt laut WIFO rund 67 Milliarden Euro, rund 18 Prozent davon entfallen auf Gemeinden. Vom gesamten Vergabevolumen können rund 30 Prozent dem Bau zugerechnet werden. Somit betragen die jährlichen Bau-Vergaben aller Gemeinden in Österreich rund 3,6 Milliarden Euro. Österreichs Gemeinden zählen damit zu den größten öffentlichen Auftraggebern in Österreich.Die kommunalen Volumina entstehen in Summe nicht nur bei Großprojekten, sondern vor allem bei einer Vielzahl von »kleineren« Bauvorhaben (insbesondere bei der Errichtung von Kindergärten, Volksschulen, Sportstätten und im Straßen- und Siedlungswasserbau). Alle diese Bau-Vergaben unterliegen den Vorschriften des Bundesvergabegesetzes (BVergG 2018).
Vergabekonform contra Vergabeverstoß
Das BVergG 2018 ist streng formalisiert, inhaltlich komplex und durch eine lebendige Rechtsprechung ständigen Veränderungen unterworfen. In der kommunalen Vergabepraxis wird die Durchführung eines Vergabeverfahrens daher oft als unnötig zeit- und kostenintensiv angesehen und mitunter gefährliche Wege zur Vermeidung einer formalen Ausschreibung gesucht (z. B. durch unzulässiges »Auftragssplitten«). Übersehen werden dabei die zwei wesentlichsten Folgen eines Vergabeverstoßes: Zum einen droht die Aufhebung des Vertrages nach erfolgreicher Beeinspruchung durch einen Mitbewerber (mit allen weiteren zivilrechtlichen Folgen einer Rückabwicklung und der Pflicht zu Schadenersatz), zum anderen riskiert die Gemeinde den rückwirkenden Entfall von Fördergeldern (wegen der Verletzung von Förderbedingungen).
Im Worst Case schaltet sich auch die Staatsanwaltschaft ein. Die dargelegten Nachteile stehen in keinem Verhältnis zum Zeit- und Ressourcenaufwand, der mit der Durchführung eines ordnungsgemäßen Vergabeverfahrens verbunden ist. Ist daher in einer Gemeinde die Entscheidung gefallen, ein Vorhaben zu realisieren, ist zunächst zu prüfen, nach welchen konkreten Regeln (Ober- oder Unterschwellenbereich), nach welcher Verfahrensart (offenes Verfahren, nicht offenes Verfahren, Verhandlungsverfahren, Direktvergabe etc.) und nach welchem Vertragstypus (gebündelt als Generalunternehmer oder gewerksweise für Einzelprofessionisten) dieses rechtlich korrekt und wirtschaftlich sinnvoll durchgeführt werden kann. Die nachfolgenden Ausführungen dienen als Orientierungshilfe für diese Entscheidungen – einerseits für die mit der Beschaffung selbst betrauten Gemeindeorgane, andererseits aber auch für potenzielle Bieter, um mit den formalen Vorgaben besser umgehen zu können.
Vergabegrundsätze
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Vergabeverfahren nach einem im BVergG 2018 vorgesehenen Verfahren unter Beachtung der unionsrechtlichen Grundsätze, insbesondere der Gleichbehandlung aller Bewerber und Bieter, der Nichtdiskriminierung, der Verhältnismäßigkeit, der Transparenz sowie des freien und lauteren Wettbewerbs und unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit durchzuführen sind. Die Aufträge sind an fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige (d. h. an »geeignete«) Unternehmer zu angemessenen Preisen zu vergeben.
Auftragswertberechnung
Die Frage, ob ein Vergabeverfahren im »Oberschwellenbereich« (= EU-weite Bekanntmachung) oder im »Unterschwellenbereich« (= bloß österreichweite Bekanntmachung oder manchmal überhaupt keine Bekanntmachung) auszuschreiben ist, wird vom sogenannten »EU-Schwellenwert«, der alle zwei Jahre neu festgelegt wird, entschieden. Dieser Schwellenwert für EU-weite Ausschreibungen wurden zum 1.1.2024 leicht angehoben und beträgt derzeit für öffentliche Auftraggeber (jeweils exkl. USt) bei Bauaufträgen 5.538.000 Euro (bisher 5.382.000 Euro) und bei Liefer- und Dienstleistungen 221.000 Euro (bisher 215.000 Euro).
Im Oberschwellenbereich muss die Vergabe nicht nur EU-weit bekannt gemacht werden, es gelten auch generell längere Fristen (z. B. Angebotsmindestfrist im offenen Verfahren von 30 Tagen) und das Verfahren ist vom Auftraggeber zwingend elektronisch abzuwickeln (dies erfordert in der Folge auch eine »qualifizierte elektronische Signatur« des Bieters für sein Angebot). Im Unterschwellenbereich gibt es Erleichterungen bei den Fristen, keine Pflicht zur elektronischen Ausschreibung und weitere Verfahrenserleichterungen (z. B. bei der Eignungs- oder Angebotsprüfung). Die Höhe des Auftragswertes ist darüber hinaus für die Wahl des Vergabeverfahrens und für die Frage der konkreten Bekanntmachungspflicht maßgeblich (so ist z. B. für Bauaufträge eine Direktvergabe ohne Bekanntmachung nur bis 100.000 Euro, mit Bekanntmachung bis 500.000 Euro zulässig).
Grundlage für die Berechnung des geschätzten Auftragswertes ist der vom Auftraggeber voraussichtlich zu zahlende Netto-Gesamtwert aller Bauleistungen für ein konkretes »Bauvorhaben« (zeitlicher, örtlicher und technischer Zusammenhang). Vom Auftraggeber beigestellte Baumaterialien sind bei der Berechnung mitzuberücksichtigen. Der Auftragswert ist vor der Durchführung des Vergabeverfahrens (also vor Bekanntmachung oder vor dem Erstkontakt mit den Bietern) »sachkundig« (d. h. in der Praxis häufig unter Zuhilfenahme von externen Ziviltechnikern) zu ermitteln. Wurde der Auftragswert einmal »sachkundig« ermittelt, schadet es auch nicht, wenn er von den eingelangten Angeboten überschritten wird (kein Nachteil für »Unvorhersehbares«). »Auftragssplitten«, also das künstliche Aufteilen des Gesamtauftrages in kleine Häppchen zur Umgehung z. B. einer EU-weiten Ausschreibungspflicht oder um eine Direktvergabe zu ermöglichen, ist natürlich unzulässig. Das zeigt sich unter anderem auch bei der nachfolgenden »Kleinlosregel«.
Die »Kleinlosregel«
Besteht ein Bauvorhaben aus mehreren (örtlich oder fachlich) getrennten Losen, für die jeweils ein gesonderter Auftrag vergeben wird, so ist der Gesamtwert aller Lose zusammenzurechnen. Bei Fachlosen wird auch von »Gewerken« gesprochen (z. B. Baumeister, Elektro- und Haustechnik). Übersteigt dieser Gesamtwert aller Lose den EU-Schwellenwert von 5.538.000 Euro so sind grundsätzlich alle Lose im Oberschwellenbereich auszuschreiben. Ausgenommen davon sind allerdings sogenannte »Kleinlose« mit kumuliert maximal 20 Prozent des Gesamtvolumens, sofern das jeweilige Los unter einer Million Euro liegt (doppelte Grenze). Für diese Kleinlose gelten die einfacheren Bestimmungen für Unterschwellenaufträge (so gilt vor allem für die Wahl des zulässigen Verfahrens der Wert des einzelnen Kleinloses). In der Praxis werden diese Kleinlose in der Regel für formlose Vergaben an lokale Unternehmen eingesetzt. Lobbying in Brüssel zur Förderung von KMUs könnte sich sinnvollerweise z. B. für eine Verdoppelung des Kleinlosvolumens von 20 Prozent auf 40 Prozent einsetzen.
Ab einer Million: Das Bestbieterprinzip
Gleichgültig ob es sich um einen Ober- oder Unterschwellenauftrag handelt: Bei Baulosen über einer Million Euro muss immer zwingend das Bestbieterprinzip gewählt werden (also neben dem »Preis« zwingend ein weiteres Zuschlagskriterium). Die Praxis arbeitet hier häufig mit der »Verlängerung von Gewährleistungsfristen«, was von Bietervertretern kritisch gesehen wird.
Erleichterung: Die Schwellenwerteverordnung
Unser österreichisches Spezifikum in Form der sogenannten »Schwellenwerteverordnung« bringt seit vielen Jahren Erleichterungen bei Unterschwellenvergaben und wurde jüngst bis 31.12.2025 verlängert (BGBl II 405/2023). Das bedeutet vor allem, dass Gemeinden wie gewohnt auch weiterhin die Direktvergabe an einen Unternehmer bis 100.000 Euro und das nicht offene Verfahren ohne Bekanntmachung im Baubereich bis eine Million Euro wählen dürfen. Die Schwellenwerteverordnung ermöglicht somit eine stärkere Beteiligung von KMUs an Ausschreibungen, da der Verwaltungsaufwand auf beiden Seiten reduziert wird und Gemeinden schnell und unbürokratisch Aufträge an die regionale Wirtschaft vergeben können.
Die Wahl des zulässigen Verfahrens
Je nach Auftragswert sind – wie bereits dargelegt – verschiedene Verfahrensarten zulässig. Die Tabelle auf der linken Seite gibt einen Überblick, welche Verfahrensarten bis zu welchen Auftragswerten bei Bauaufträgen einerseits sowie bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen andererseits zulässig sind.
Zusammenfassung
Kommunale Bauvergaben sind ein wesentlicher Motor für die lokale Bauwirtschaft. Vergaberecht ist dabei zwingend einzuhalten. Danach, ob die Gesamt-Baukosten des Bauvorhabens im Ober- oder Unterschwellenbereich liegen, richten sich die zulässigen Verfahrensarten sowie die damit verbundenen Bekanntmachungsvorschriften. Zulässige Spielräume (z. B. die Kleinlosregel, nicht offene Verfahren ohne Bekanntmachung oder Direktvergaben) lassen sich nutzen, wenn die Vergabestrategie für alle Gewerke zeitgerecht (d. h. vor Verfahrenseinleitung) und mit vergaberechtlichem Know-how entwickelt wird.
Vorschau: In der kommenden Ausgabe des Bau & Immobilien Report stellen wir die vergaberechtskonforme gewerksweise Vergabe von Bauaufträgen an Hand zweier Praxisbeispiele dar.
Über die Autoren
(Fotos: Heid & Partner Rechtsanwälte)
Stephan Heid ist Rechtsanwalt und Partner bei Heid & Partner Rechtsanwälte. Seine Spezialgebiete sind das Vergabe- und Nachhaltigkeitsrecht und innovative Vertragsmodelle in den Bereichen Bau, Gesundheit, IT, Kommunikation und Mobilität. Magdalena Ralser ist juristische Mitarbeiterin bei Heid & Partner Rechtsanwälte. Ihr Spezialgebiet ist das Vergaberecht in den Bereichen Infrastrukturprojekte für Gemeinden.