Freitag, November 22, 2024
Generative Design: Individualität von der Stange
»Mit Generative Design geben wir den Auftraggebern schon in einer sehr frühen Phase sehr konkrete Informationen und anschauliche Beispiele, was am Standort möglich ist«, sagt Marco Bornschlegl. (Fotocredit: Strabag)

Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report spricht Marco Bornschlegl, Head of Strabag Innovation & Digitali­sation, über das Potenzial und die Grenzen von Künstlicher Intelligenz und erklärt, wie mit Generative Design der Planungsprozess revolutioniert werden kann.

Text: Bernd Affenzeller

In den frühen Planungsphasen eines Bauprojekts ist der Einfluss auf Ressourcen, Qualität, Kosten und Termine am größten. Mit Generative Design erstellt die Strabag in dieser Phase eine Vielzahl von Designentwürfen. Was passiert dann mit diesen Entwürfen und welche Vorteile ergeben sich daraus?

Marco Bornschlegl: Da muss ich ein wenig ausholen. Ein konventioneller Planungsprozess verläuft sequenziell. Man beginnt mit der Grobplanung und wird nach hinten hinaus immer feiner. Je später im Prozess, desto schwieriger sind Änderungen. Mit Generative Design nehmen wir den sequenziellen Planungsprozess, binden quasi die Enden zusammen und schaffen so einen kreisförmigen Prozess. Mit Generative Design schaffen wir datengetriebene Entscheidungen und können Gebäude in einer sehr frühen Phase von der Gebäudehülle bis zur TGA simulieren. Wenn wir dann bei fertig simulierten Gebäuden Wände verschieben, ändert sich alles andere auch automatisch mit. Damit ist der Prozess nicht mehr linear. 

Sie ändern aber nicht nur den Planungsablauf, sondern erstellen in diesem Planungsprozess auch zahlreiche Parallelentwürfe, um den besten Entwurf zu finden.

Bornschlegl: Was ich jetzt kurz umrissen habe, ist das Bigger Picture. Jetzt kommen wir zum Detail und den Besonderheiten. Wenn ich Ihnen sage: »Planen Sie einen Stuhl«, haben Sie natürlich einen Stuhl vor Augen. Damit limitiere ich aber Ihre Flexibilität. Wenn ich sage: »Planen Sie etwas, worauf ich sitzen kann«, dann können Sie Ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Dann kommen weitere Kriterien hinzu und Ihre Vorstellung der Sitzfläche wird klarer, vielleicht eine Liege, vielleicht eine Bank. Genau das machen wir mit Generative Design.

Wir haben eine Strabag-Standard-Immobilie, ein parametrisiertes Gebäude mit einem Rohbau-Kern. Damit können wir unzählige Gebäudetypen simulieren, die auf ein Grundstück passen. Wie bei dem Beispiel mit der Sitzfläche entscheiden die Kriterien und ihre Gewichtung, wie das Gebäude am konkreten Grundstück idealerweise aussieht. Je nachdem, was mir wichtiger ist, ob das etwa die Bruttogeschoßfläche ist oder die Sonneneinstrahlung.

Man kann den Aufschrei der Planer und Architekten förmlich hören, die das Ende der Kreativität und den Siegeszug der Einheitsarchitektur beklagen.

Bornschlegl: Das kann ich auch ein Stück weit nachvollziehen. Das war beim Thema Cloud-Computing nicht anders. Da hatten alle Systemadministratoren Angst, nicht mehr gebraucht zu werden. Das ist auch nicht passiert, sie haben nur andere Aufgaben. Wir bauen auch weiterhin keine Standardimmobilien, sondern Unikate. Das ist die Herausforderung von Generative Design: Mit Standardisierung und Automatisierung Individuallösungen finden. Wir reden bei Künstlicher Intelligenz immer von einem Kopiloten. Der Mensch wird nicht ersetzt, aber die KI ergänzt und hilft. Es wird immer den Menschen brauchen, um das Ergebnis der KI abzunehmen und zu prüfen.

Bei einem Projekt der Strabag Real Estate in Hamburg haben wir etwa mit Generative Design festgestellt, dass der Grundstückspreis für die möglichen Gebäudevarianten auf diesem Grundstück nicht gepasst hat. Und wir haben auch herausgefunden, dass sich die Optionen deutlich verbessern, wenn man das Nachbargrundstück dazunimmt, weil plötzlich ganz andere Gebäudevarianten möglich waren. Mit Generative Design sind wir als Projektentwickler somit in der Lage, die rechtlichen und tatsächlichen Potenziale eines Grundstücks früh und mit sehr überschaubarem Aufwand zu erkennen. Dies gilt umso mehr für komplexe Quartiersentwicklungen. Dieses Werkzeug nutzt uns selbst als Projektentwickler genauso, wie wir in der Lage sind, diese Erkenntnisse unseren Kunden im Rahmen Service Development anzubieten.

Generative Design zum Anschauen:



Mit der Strabag Real Estate haben Sie einen internen Kunden. Wurde Generative Design auch schon bei externen Auftraggebern angewendet?

Bornschlegl: Unser Anwender ist die Zentrale Technik, gewissermaßen unser internes Ingenieurbüro für alle technischen Planungskompetenzen, das mit unserer Lösung auf den externen Markt geht. Was wir entwickelt haben, ist auch kein Tool für den End-User, sondern ein Expertentool.

Wie sehen die nächsten Schritte aus? Irgendwann soll das Tool ja wahrscheinlich auch von der Zentralen Technik externen Kunden angeboten werden?

Bornschlegl: Es gibt verschiedene Visionen. Ich zeige mal den Happy Path und den Worst Case. Der Worst Case ist, dass wir das weiterhin nur als interne Dienstleistung verkaufen, um die Planung zu optimieren. Das wäre zwar ein enormer Effizienzgewinn, das darf man nicht kleinreden, aber eben auch nicht mehr. Meine Vision ist, dass wir datenbasierte, digitale Planung mit Algorithmen als Service anbieten. Bis es soweit ist, müssen aber auch noch viele rechtliche Fragen geklärt werden.  

Rein technisch ist es aber kein Problem, Subunternehmer und andere Gewerke einzubeziehen?

Bornschlegl: Gar nicht. Das muss sogar das Ziel sein, dass wir alle miteinbeziehen und eine gemeinsame Datenbasis bekommen. Mit unseren eigenen Tools haben wir das geschafft, jetzt kommt der nächste Schritt. Beispielsweise könnte es ein Ziel sein, nicht nur die Fassade zu definieren, sondern auch gleich die passenden Rollläden zu integrieren. Dafür braucht es eine gemeinsame Datenbasis, aber das ist wie Sie wissen ja auch bei anderen Themen wie BIM schwierig. Jetzt geht es darum, einen Standard zu definieren.

Wo sehen Sie ganz allgemein das größte Potenzial für KI am Bau?

Bornschlegl: Da gibt es viele Anwendungen. Aber: KI kann keine real fehlende Intelligenz ersetzen. Das Besondere an der KI ist: Einfach ist schwer und schwer ist einfach. Das ist das KI-Paradoxon. Jedes Kleinkind erkennt sein Stofftier, wenn es verkehrt herum in der Spielzeugkiste liegt. Damit tut sich eine KI enorm schwer. Dafür ist Schweres einfach. Wir haben eine Unmenge an Projektdaten, dennoch erkennen wir Projektrisiken oft zu spät.

Das wiederum kann die KI sehr gut, weil sie Regelwerke sehr schnell anwenden kann. Da gibt es enormes Potenzial. Bauen ist mit den vielen Ausschreibungen, Verträgen und Gutachten ja unglaublich textlastig und Risikomanagement ist enorm wichtig. Und da bietet die KI enorme Chancen. Wir arbeiten intern mit einer projektdatengetriebenen Risikoanalyse, die erkennen soll, ob ein Projekt ein Erfolg wird oder nicht. Aktuell liegen bei einer Erkennungsrate zwischen 70 und 80 Prozent nach drei Monaten Bauausführung. Viele Projekte, die schief gehen, deuten sich in den Daten schon früh an.

Ein Bauprojekt hat viele komplizierte Berechnungen, aber wenig komplexe. Alles, was dem Menschen viel erscheint, kann eine KI sehr gut bearbeiten. Komplexe, unvorhersehbare Dinge kann man nicht parametrisieren und kann auch eine KI nicht abbilden. KI kann keine Probleme lösen, die man nicht beschreiben kann. Die KI kann lernen, so intelligent zu werden wie ein Mensch, aber nicht darüber hinaus, noch nicht. 

Wie werden aus Ihrer Sicht die KI und Generative Design das Bauen in fünf oder zehn Jahren verändert haben?

Bornschlegl: Ich hoffe auf zwei Dinge: Dass wir etwa Nachhaltigkeits- und CO2-Berechnungen genauso selbstverständlich hinbekommen wie eine Preiskalkulation. Der zweite Punkt ist, dass wir mit Generative Design eine höhere Wertschöpfung erzielen, weil wir mehr in die Vorfertigung gehen können. Wir designen ein Bauwerk, das ein Roboter zusammenbaut. Natürlich haben wir andere Herausforderungen als eine Automobilindustrie, aber ich sehe das ein wenig wie Lego bauen.

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