Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report erklärt Florian Steindl, Business Development Bauwesen bei Quality Austria, warum Qualität konjunkturunabhängig ist - und wie unterschiedlich die Branche auf neue Herausforderungen reagiert.
Titelbild: Florian Steindl, Quality Austria. Er meint im Interview: »Unternehmen müssen heute verstärkt agil reagieren. Ein gelebtes Managementsystem hilft einerseits dabei, die geforderte Flexibilität und andererseits die notwendige Stabilität zu gewährleisten.« (Fotocredit: Quality Austria)
Die Bauwirtschaft erlebte in den letzten Jahren einen enormen Boom und konnte sich vor Aufträgen kaum retten. Welche Auswirkungen hat so eine Hochphase auf das Qualitätsbewusstsein von Unternehmen? Sinkt der Anspruch, weil ohnehin genug Aufträge da sind?
Florian Steindl: Im Gegenteil, das Qualitätsbewusstsein hat sich definitiv in sämtlichen Branchen erhöht bzw. auch aufgrund äußerer Rahmenbedingungen erhöhen müssen – das liegt mitunter daran, dass die Anforderungen von Kund*innen und gesetzliche Anforderungen immer höher werden. Es gibt aber derzeit auch viel Angebot am Markt, weswegen bei der Auswahl von Partner*innen, Lieferant*innen und anderen Stakeholder*innen ein gewisses Qualitätsniveau gefordert ist. Das zwingt alle Betriebe dazu, sich mit ihrem Qualitätsverständnis auseinanderzusetzen. Unternehmen, die ihre Beziehungen mit Lieferant*innen, Personal oder Geräteherstellern strategisch und systematisch verwalten, können auf diesen Boom in der Baubranche unter Aufrechterhaltung der Qualität besser reagieren.
Kritisch wird es dann, wenn durch Ressourcenknappheit – etwa bei Lieferant*innen, Subunternehmen oder Leihpersonal – auf neue Anbietende zurückgegriffen werden muss, bei denen sich bei der Abwicklung dann womöglich qualitative Defizite bemerkbar machen. Das führt zu steigenden internen Aufwendungen aufgrund von erhöhtem Zeitaufwand für Kontrollen, zusätzlichen Abnahmen, Nacharbeiten etc.
Aktuell stehen wir vor dem kompletten Gegenteil, dem Einbruch der Baukonjunktur. Gewinnt Qualität in Zeiten steigenden Wettbewerbs an Bedeutung?
Steindl: Der Markt fordert immer mehr und mehr. Es gibt ein größeres Angebot, strengere gesetzliche Vorgaben und geänderte Bedürfnisse von Kund*innen. Das sind definitiv schwierige Rahmenbedingungen bzw. ambitionierte Forderungen, aber Unternehmen, die Qualitätsstandards implementiert haben, klare Prozesse verfolgen und systematisch arbeiten, können sich hier eindeutig vom Markt abheben und den wirtschaftlichen Erfolg langfristig sicherstellen. Sie reagieren nicht nur vorausschauend auf Trends (Stichwort: proaktiv), sondern durchleuchten laufend die eigenen Stärken aber auch Schwachstellen und arbeiten so höchsteffizient – unter Einbezug aller relevanten Stakeholder*innen.
Hat sich die Branche aus Ihrer Sicht in den guten Zeiten ausreichend auf die Zeit danach eingestellt?
Steindl: Dies lässt sich nicht pauschal beantworten, da es immer abhängig davon ist, in welchem Bereich man tätig ist, also beispielsweise, ob es sich um ein Nachunternehmen oder ein Generalunternehmen handelt. Um mit dem aktuellen Tempo, der täglichen Dynamik und Komplexität mithalten zu können, müssen Unternehmen unter ständiger Abwägung aktueller Bedingungen agil reagieren. Ein gelebtes Managementsystem hilft einerseits dabei, die geforderte Flexibilität und andererseits die notwendige Stabilität zu gewährleisten.
Viele zertifizierte Betriebe verfügen meist auch über ein eingespieltes Team aus Auftraggebenden und Nachunternehmen, haben einen fortlaufenden Verbesserungsprozess implementiert und arbeiten mit Tools wie Kontext- oder SWOT-Analysen. All das sind Faktoren, die helfen, neben dem Tagesgeschäft künftige Entwicklungen und generell die Zukunft im Fokus zu behalten.
Die Baubranche erschafft ohne Zweifel Großartiges, allerdings oftmals mit Methoden aus dem vorigen Jahrhundert. Wie sehr sind Produkt-, Prozess- und Organisationsqualität in der Bauwirtschaft entkoppelt?
Steindl: Die Digitalisierung führt zu einer Verschmelzung und Integration der unterschiedlichen Qualitätsdimensionen. Die digitale Transformation macht auch vor der Baubranche nicht Halt und treibt die digitale Integration zwischen Produkterstellung, Prozess- und Produktmanagement stark voran. Die Betrachtung einer einzelnen Dimension wird heute bzw. künftig nicht mehr ausreichen, um den Markt erfolgreich bedienen zu können.
Wie gut sind die Unternehmen aus der Baubranche auf die neuen gesetzlichen Anforderungen wie EU-Taxonomie oder Lieferkettengesetz vorbereitet?
Steindl: Auch hier gilt wieder: alle Unternehmen, die schon länger verschiedene Managementsysteme, also z. B. ISO 9001, ISO 14001, ISO 45001 oder ISO 50001, in ein ganzheitliches Managementsystem integriert und dieses auf die zusätzlichen Anforderungen aus EU-Taxonomie und Lieferkettengesetz angepasst haben, erfüllen die neuen gesetzlichen Anforderungen zu einem großen Teil jetzt schon. All jene Betriebe ohne einem »Integrierten Managementsystem« müssen nun erst die notwendigen Grundlagen schaffen – also Prozesse und Daten –, wodurch mit einem beträchtlichen Ressourcenaufwand zu rechnen ist.
Die Zeit drängt also für all jene, die noch nicht begonnen haben. Wichtig ist es, diese Themen schon jetzt in die strategische Planung zu integrieren, um a) gesetzeskonform zu handeln und b) Sanktionen weitgehend zu vermeiden. In der Baubranche sehe ich hier zwei Umsetzungsgeschwindigkeiten: die Big Player der Branche und alle die viel für öffentliche Auftraggeber bauen, haben schon vor längerem begonnen, sich auf die neuen kommenden gesetzlichen, aber auch auf jene Anforderungen in puncto Investor Relations vorzubereiten.
Hingegen hinken der Mittelstand und kleinere Betriebe mit Sicherheit hinterher und werden versuchen müssen, diese Lücke zu schließen, vor allem, was das Lieferkettengesetz betrifft.
Die Bauwirtschaft produziert unglaublich viel Daten, ist aber auch dem Vorwurf ausgesetzt, diese Daten kaum oder zu wenig zu nutzen. Wie bewerten Sie die Situation aus der Sicht des Qualitätsmanagers?
Steindl: Durch die fortschreitende Digitalisierung auf Prozess-, Produkt- und Organisationsebene werden unheimlich viele Daten automatisch aus diversen Systemen generiert. Die Datenmengen werden laufend mehr – und durch die zunehmende Vernetzung von Anlagen, Produkten, Prozessen, Geräten und weiteres werden sie auch immer komplexer. Das zwingt auch die Baubranche dazu, Know-how zu erweitern, neue Methoden einzusetzen, agile Arbeitsweisen an den Tag zu legen und vieles mehr.
Die Herausforderung liegt hier mitunter in der Festlegung der tatsächlich relevanten Daten bzw. Key Performance Indikatoren (KPIs), die zur Steuerung eben dieser Prozesse, der Produktherstellung und Organisationslenkung notwendig sind. Wobei hier nicht die Quantität, sondern die Qualität der Daten entscheidend ist. Diese hängt u. a. von der Nachvollziehbarkeit, der zeitnahen Erfassung sowie der Messbarkeit der direkten bzw. indirekten Einflussfaktoren auf diese Daten ab. Es benötigt dafür natürlich auch Personen und betriebsinternes Know-how, um sich mit dieser Flut an Informationen auseinandersetzen und diese richtig analysieren zu können.
Was muss passieren, um die Prozess- und Organisationsqualitäten in Unternehmen weiter zu erhöhen?
Steindl: Es braucht eine Strategie mit Weitblick und einen integrierten Managementansatz, um sämtliche Anforderungen – sei es z. B. im Zuge von neuen rechtlichen Rahmenbedingungen und Regulatorien, neuen Kund*innenanforderungen durch Ausschreibungen oder Partner*innen – auch zukünftig integriert und somit ganzheitlich zu betrachten sowie um parallele interne Strukturen zu vermeiden.
Im Qualitätsmanagement sprechen wir hier häufig vom Plan-Do-Check-Act-Zyklus (PDCA) oder der Wirksamkeitsüberprüfung. Dabei handelt es sich um Maßnahmen, die ermitteln sollen, ob mithilfe der umgesetzten Maßnahmen und Prozesse die geplanten Ergebnisse zugunsten der Nachvollziehbarkeit erreicht werden können.n