»Die nächsten zwei Jahre werden schwierig, teilweise brutal«, sagt Stefan Graf, CEO Leyrer + Graf, und legt im Interview mit dem Bau & Immobilien Report dar, warum er trotzdem keinen Grund sieht, sich zu fürchten. Außerdem erklärt er, warum er nichts von der Viertagewoche hält und wie er die Motivation seiner Mitarbeiter*innen hochhält.
Die Bauwirtschaft steuert auf stürmische Zeiten zu. Welche Erwartungen haben Sie an die nächsten Monate, das nächste Jahr?
Stefan Graf: Die nächsten zwei Jahre werden schwierig, anstrengend und für den einen oder anderen sicher auch brutal. Aber wenn ich ehrlich bin, und ohne Überheblichkeit, aber mit vollster Überzeugung: Ich fürchte mich überhaupt nicht vor den kommenden zwei Jahren.
Warum? Weil Sie Herausforderungen lieben?
Graf: Auch. Vor allem aber, weil ich glaube, dass die Branche Antworten auf diese Herausforderungen finden wird. Nicht nur die ausführenden Unternehmen, sondern auch die Auftraggeber und die Planer. Alle stehen unter Druck und müssen mit der Situation fertig werden. Das kann man nicht isoliert betrachten. Natürlich müssen wir Opfer bringen, aber ich bin überzeugt, dass es nach diesen zwei Jahren auch wieder aufwärts gehen wird, sofern nicht der nächste große Impact kommt. Aktuell erleben wir eine Konjunkturdelle, wie sie im Konjunkturzyklus immer wieder vorkommt. Die Delle ist tiefer durch eine Ansammlung mehrerer Elemente, es ist aber kein Weltuntergang. Wir müssen uns den Themen stellen, dafür braucht es auch ein gewisses Maß an Gelassenheit.
Wie könnten diese Antworten aussehen? Liegen sie schon am Tisch oder müssen sie erst noch ge- und erfunden werden?
Graf: Beides. Erst muss man sich ansehen, wo die Probleme liegen. Natürlich kämpfen wir alle mit der hohen Inflation und den hohen Zinsen. Dazu kommt, dass wir in einer Zeit gewaltiger Unsicherheiten leben. Die Inflation zeigt, dass im System irgendwas nicht stimmt. Die steigenden Zinsen sind die Antwort darauf. Meiner Meinung nach ist die Nullzinspolitik der letzten Jahren mit Schuld an der heutigen Inflation. In den letzten Jahrzehnten waren vier Prozent Zinsen ganz normal und das Wirtschaftssystem hat funktioniert. Daran werden wir uns wieder gewöhnen müssen. Natürlich tut das weh, beruflich wie privat.
Aber die Zinsen bedeuten auch, dass Geld etwas wert ist. Global gesehen, bin ich froh, dass es wieder höhere Zinsen gibt, auch wenn Einzelschicksale natürlich tragisch und bedauerlich sind. Aber dafür gibt es einen Sozialstaat. Als Bauunternehmen können wir auf diese Herausforderungen nur mit höherer Effizienz und Produktivität antworten.
Wie erreicht man diese?
Graf: Das geht über Lean Construction, Digitalisierung, Automatisierung und Robotik. Darauf haben wir uns in den letzten Jahren vorbereitet. Damit wird nicht alles gelöst, aber es sind Möglichkeiten. Lean Construction beispielsweise wird ja in vielen Ausschreibungen schon aktiv gefordert.
In den letzten Jahren haben wir oft über den Fachkräftemangel gesprochen. Haben die aktuellen Rahmenbedingungen zumindest in diesem Bereich für eine Erleichterung gesorgt?
Graf: In einzelnen Segmenten gibt es schon eine Erleichterung. Dadurch, dass einzelne Firmen ins Stolpern kommen, wird Personal frei. Wir kommen aus einer Höchstkonjunktur. Wenn es jetzt Rückgänge gibt, ist es keine absolute Katastrophe.
Aktuell wird viel über die Viertagewoche diskutiert. Auch in der Bauwirtschaft gibt es prominente Vertreter, die die Viertagewoche eingeführt haben und von positiven Ergebnissen berichten. Ist die Viertagewoche auch bei Leyrer + Graf Thema?
Graf: Eine generelle und starre Viertagewoche von Montag bis Donnerstag sehe ich überhaupt nicht. Ein starres System kann nie die Lösung sein. Mich stört auch der Begriff »Work-Life-Balance«, weil damit suggeriert wird, dass Arbeit nicht zum Leben gehört und wir nach einer Freizeitmaximierung streben sollten. Schon mein Vater hat gesagt und dem stimme ich voll zu: »Der wahre Fortschritt in der Arbeitswelt liegt in der Freude an der Arbeit.« Natürlich braucht es Erholungszeit. Deshalb spreche ich gerne von der »Work-Privacy-Balance«, denn zwischen Arbeit und Privatleben braucht es selbstverständlich ein Gleichgewicht. Aber wir sollten danach streben, in diesem Gleichgewicht mehr Leistung zu erbringen. Die Lösung liegt eher in der Flexibilität.
»Die Motivation, etwas zu leisten, entsteht darin, einen Sinn in seinem Tun zu erkennen, nicht darin, weniger zu arbeiten«, sagt Stefan Graf.
Diese Flexibilität wurde durch die letzte Regierung ermöglicht…
Graf: Das habe ich sehr begrüßt. Dieser Flexibilität, auch des Einzelnen, etwa durch Homeoffice, kann man nicht mit einer starren Vier-plus-drei-Tage-Regel begegnen. Das ist ein Widerspruch. Es gibt schon jetzt die Möglichkeit des Zeitausgleichs oder der Gleitzeit. Mit diesen Möglichkeiten, die das Gesetz erlaubt, sollte für jeden das Passende dabei sein.
Also ist die Viertagewoche kein Thema, weil die aktuellen gesetzlichen Rahmenbedingungen eine flexible Gestaltung der Arbeitszeiten ermöglichen?
Graf: Zu den gesetzlichen kommen auch die internen Rahmenbedingungen. Mich stört nicht die Viertagewoche, sondern das enge Korsett. Wir haben schon jetzt lange und kurze Wochen.
Gilt das auch auf der Baustelle, oder nur im Büro?
Graf: Das gilt überall. Aber natürlich ist es auf der Baustelle schwerer umzusetzen. Da muss man auch auf die Witterung und die Anforderungen des Auftraggebers Rücksicht nehmen. Arbeiten an der Verkehrsinfrastruktur werden hauptsächlich am Wochenende durchgeführt. Prinzipiell muss sich das die Partie selber ausmachen. Die Teams müssen das so lösen, dass alle Interessen im Gleichgewicht sind, die des Auftraggebers, des Unternehmens und der Mitarbeiter.
Im Zuge der aktuellen Diskussionen wird mancherorts auch die Viertagewoche mit Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich gefordert, um damit Arbeitsplätze attraktiver zu machen. Können Sie dem etwas abgewinnen?
Graf: Überhaupt nicht. Wie lange dauert es, bis 32 Stunden auch zu viel sind? Was dann? Noch weniger? Ich halte diese Diskussion für grob fahrlässig. Denn wenn weniger geleistet wird, geht der Wohlstand zurück. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass Arbeit Freude macht. Wir müssen den Leistungsbegriff positiv besetzen. Als Unternehmer habe ich die Aufgabe, Rahmenbedingung zu schaffen, damit die Arbeit Freude machen kann.
Das Argument, dass man in 32 Stunden motivierter und produktiver ist, lassen Sie nicht gelten?
Graf: In meiner Welt ist das nicht so. Die Motivation, etwas zu leisten, entsteht darin, einen Sinn in seinem Tun zu erkennen, nicht darin, weniger zu arbeiten.
Wie gelingt es Ihnen, dass Ihre Mitarbeiter Freude bei der Arbeit haben und einen Sinn in dem sehen, was sie tun?
Graf: Sinn zu finden, ist eine höchstpersönliche Aufgabe. Aber natürlich kann ich die passenden Rahmenbedingungen schaffen. Das hat viel mit Führung zu tun. Meine Mitarbeiter wissen, warum sie etwas machen. Ich glaube, dass jeder Mensch bereit ist, sich anzustrengen, um etwas zu schaffen, auf das er stolz sein kann. Da geht es auch viel um Wertschätzung.
Glauben Sie, dass die Unternehmen, die jetzt auf die Viertagewoche setzen, das Experiment auch wieder beenden werden?
Graf: Ja, das glaube ich. Es wird noch eine Zeit dauern, aber dann wird es beendet werden. Es stumpft ab und verliert seinen Reiz. Es mag zu Beginn gut klingen, aber auf Dauer wird es nicht funktionieren.