Massivbau wird oft nur mit Zement und hohen CO2-Emissionen in Verbindung gebracht. Er erfüllt aber zahlreiche Nachhaltigkeitsaspekte.
Titelbild: Der Einsatz von Carbonbeton (Textilbeton) als Bewehrung beweist sich als hochwertige Alternative zur klassischen Stahlbewehrung. (Im Bild: Krumbachbrücke, Vorarlberg). (Credit: Prof. Feix Ingenieure)
Mit der Frage, wie Beton nachhaltiger werden kann, beschäftigt sich heute fast jede Hochschule«, berichtet Univ.-Prof. Jürgen Feix, Leiter des Arbeitsbereichs Massivbau und Brückenbau an der Universität Innsbruck. Auch die Industrie forsche an CO2-reduzierten Produktionsweisen, denn Beton bildet den wichtigsten Konstruktionsbaustoff. 80 Prozent der Hochbautätigkeit beruhen auf Beton und Ziegel, 15 Prozent auf Holz und Trockenbau, fünf Prozent auf Stahl.
»Wir müssen den Betonbau neu denken«, fordert Frank Dehn, Professor für Baustoffe und Betonbau sowie Leiter der Materialprüfungs- und Forschungsanstalt des Karlsruher Institut für Technologie KIT. Es brauche neue betontechnologische, tragwerksplanerische, ausführungstechnische und regulatorische Konzepte. Zur Rohstoffeffizienz spricht Philipp Preinstorfer von der TU Wien den Wandel auf der Strukturebene an. Beton wird heute ineffizient verwendet, weil er billig ist – teuer sei die Arbeitskraft. »Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Verhältnis anders – Material war teuer, die Arbeitskraft günstig. Damals hat man mit dünnen Platten und Rippen gearbeitet.«
»Das beste CO2-effiziente Bauwerk ist jenes, das man nicht abreißen muss. Hochleistungsmaterialien – eines der Forschungsgebiete an der TU Wien – bieten hohe Festigkeit, hohe Dauerhaftigkeit und erhöhte Beständigkeit gegenüber chemischen und mechanischen Angriffen«, berichtet Philipp Preinstorfer. (Bild: TU Wien)
Laut ETH Zürich lässt sich durch eine Änderung der Baustruktur auch 20 Prozent an Zement einsparen. Angesichts des CO2-Verbrauchs und der Notwendigkeit, materialsparend zu bauen, erwartet Jürgen Feix aber wieder einen Wandel.
Massivbau neu berechnen
»Man wirft Beton immer vor, dass er wegen der Zementherstellung sehr CO2 intensiv ist. Das ist unbestritten, aber die CO2-Bewertung erfasst nicht den gesamten Lebenszyklus«, kritisiert Feix die Vorbehalte und fordert ein Überdenken. Transportwege würden nicht einberechnet – Beton sei aber ein regionaler Baustoff. »Wenn man sich ansieht, woher Holz vielfach importiert wird, ist die gute Ökobilanz rasch passé.«
Zudem nehme Beton wie alle mineralisch gebundenen Baustoffe im Zuge der Karbonatisierung über die Lebensdauer wieder CO2 aus der Luft auf. Dieser Faktor falle momentan völlig unter den Tisch. Auch Univ.-Prof. Christian Hanus, Leiter des Departments für Bauen und Umwelt an der Donau-Universität Krems, erkennt Fehler bei der Bewertung. »Gerechnet wird mit völlig veralteten Daten, man muss die Klimadaten der Zukunft heranziehen.«
Nachhaltiger Beton
Klimaschutz und Massivbau stellen per se keinen Widerspruch dar, vor allem wenn wiederverwertbar über mehrere Nutzungszyklen und rezyklierbar gebaut wird«, betont Hanus und verweist dazu passend auf das Projekt »Monumentum ad usum«, das den Leerstand reduzieren und denkmalgeschützte Gebäude wieder in Nutzung bringen soll. »Bei diesem Projekt haben wir Alt- mit Neubauten verglichen, den gesamten Lebenszyklus analysiert. Altbau hat für die Sanierung sehr geringe Aufwendungen, was Energie und Emissionen anbelangt.« Zielgruppe des Projekts sind gemeinnützige Bauträger, der Endbericht erscheint in den nächsten Wochen.
»Digitale Verfahren helfen, wirtschaftlich filigrane Betonquerschnitte herzustellen«, betont Stefan Peters vom Forschungszentrum für Nachhaltiges Bauen. Dies wird deutlich am Praxisbeispiel einer Wohnsiedlung in Nördlingen, bei der durch gedruckte Aussparungskörper Ressourcen eingespart und 35 Prozent CO2 durch die Konstruktion substituiert wurde. (Bild: Studio Herzig/Eigner Bauunternehmung)
Beton könne auch mit seiner thermisch wirksamen Masse punkten, Bauteilaktivierung verstärke diesen Effekt. Entscheidend für nachhaltiges Bauen sind laut Univ.-Prof. Manfred Curbach, Leiter des Instituts für Massivbau der TU Dresden, »effiziente Ressourcenverwendung, CO2-reduzierte Zementproduktion ebenso wie eine Revolution in der Bauweise.« Mit Carbonbeton lässt sich der Materialeinsatz um mindestens 50 Prozent reduzieren, die TU Dresden hat sogar 80 Prozent erreicht. Die textile Bewehrung besteht aus Carbon-Garnen, die auf Textilmaschinen zu einer gitterartigen Matte gestickt und mit Kunstharz getränkt in eine steife Form gebracht werden.
Derzeit wird Carbon noch aus Erdöl hergestellt, eine Alternative bildet Lignin. Die TU Dresden arbeitet gemeinsam mit der TU München daran, Carbonfasern aus dem Ausscheideprodukt von Blaualgen herzustellen. Die Erstinvestition bei Carbonbeton ist etwas höher, bei steigender Nachfrage sinken die Preise. Über den Lebenszyklus betrachtet rechnet sich Carbonbeton auf jeden Fall, da die Korrosionsproblematik wegfällt.
Nachhaltiger Ziegel
Neben Beton kann auch Ziegel im Nachhaltigkeitswettlauf punkten. Norbert Prommer, Geschäftsführer des Verbands Österreichischer Ziegelwerke, schätzt am Ziegel vor allem dessen lange Lebensdauer, die kurzen Transportwege und das Potenzial moderner einschaliger Bauweise. »So errichtet die ARE in Kooperation mit Wienerberger im Wildgarten in Wien auf den beiden letzten Bauplätzen 14 Gebäude, wobei die weltweit ersten Wohngebäude mit acht Vollgeschoßen in monolithischer Ziegelbauweise mit integrierter Wärmedämmung ausgeführt werden.«
»Neben den Bemühungen um die Senkung der CO2-Emissionen entlang der Wertschöpfungskette arbeitet die österreichische Zementindustrie seit Jahren an Kreislaufwirtschaft und Schonung der Ressourcen«, betont Claudia Dankl, Geschäftsführerin von Zement+Beton und verweist auf den 15-Prozent-Klinkeranteil mit Baustoffrecycling-Material im Vergleich zum EU-Schnitt von 3,9 Prozent. (Bild: Z+B Schwentner)
Mit der Frage nach Rohstoffeffizienz befasst sich die TU Graz. »Durch digitale Bemessung von Mauerwerkswänden kann sparsamer mit dem Material umgegangen werden«, so Univ.-Prof. Stefan Peters, Leiter des Instituts für Tragwerksentwurf ITE und Sprecher des Forschungszentrums für Nachhaltiges Bauen. Auch Kreislauffähigkeit ist für Ziegel kein Fremdwort, Reststoffe wie Schleifstaub werden bereits als Bestandteil von Zementen und als Zusatzstoff im Beton verwendet. Pionier*innen arbeiten am zerstörungsfreien Rückbau und der Wiederverwendung von großformatigen Ziegelfertigteilwänden und den damit verbundenen Geschäftsmodellen nach der Devise Re-Using statt Downcycling.
Nachhaltige Rezepte
Das Betonrezept Zement, Sand/Kies und Wasser ist veraltet, mittlerweile gibt es viele neue Herstellungsverfahren, es werden zahlreiche zusätzliche Stoffe einbezogen, die ihn z. B. fester und dauerhafter machen. Am KIT wird mit Reststoffen wie Hüttensanden, kalzinierten Tonen, die alkalisch aktiviert werden, und Geopolymeren, die in der Industrie anfallen, gearbeitet. Damit entfällt Deponieren, die Materialien bilden einen Teil des Wertstoffkreislaufs. In der Masse sind sie noch nicht so verfügbar wie Zement, aber für gewisse Nischen- und Sonderanwendungen bilden sie laut Frank Dehn eine sehr lukrative und technisch sinnvolle Alternative.
Brantner green solutions hat ein anderes Verfahren entwickelt, um Kreislauffähigkeit zu realisieren: »Brantner Slagtory«. In einem patentierten Nassverfahren werden Aschen und Schlacken aus der Müllverbrennung bis zu einer Korngröße von 50 Mikrometern von Wert- und Schadmetallen befreit, die Salze ausgewaschen und die Gesteinskörnungen können damit wieder verwertet werden. »Wir sind damit bereits mit namhaften Betonherstellern in Kontakt«, informiert Gerhard Stockinger, Geschäftsfeldleiter Aschen- und Schlackenbehandlung. Aktiv involviert sind die beiden großen Städte Österreichs Wien und Linz.
Mit Brantner Slagtory können 80 Prozent der Schlacke in den Stoffkreislauf rückgeführt werden. (Bild: Brantner digital solutions)
Ausweg neue Strukturen
»Wenn wir in dem Tempo weitermachen wie bisher, wird es mehr als ein oder zwei Jahrzehnte dauern, bis wir klimaneutral produzieren«, so Manfred Curbach, der die Möglichkeit des Rolling-Review-Verfahrens ähnlich wie in der Medizin empfiehlt. Die Strabag arbeitet bereits systematisch an Technologien zur CO2-Reduktion im Beton. »Wir setzen Forschungs- und Pilotprojekte zu CO2-reduziertem Beton um und intensivieren zirkuläres Bauen«, betont Vorstandsmitglied und technischer Unternehmensbereichsleiter Markus Engerth.
Eine realisierbare Lösung besteht im Monitoring massiver Bestandsstrukturen. Bei Bedarf kann mittels textiler Aufbetonschichten oder Verbundankerschrauben gestärkt werden wie bei der Krumbachbrücke in Vorarlberg. »Das ist ein extremer Nachhaltigkeitsfaktor, den weder der Stahl- noch der Holzbau momentan so stark verfolgen«, so Jürgen Feix.
Blick in die massive Baulandschaft
Nachhaltig massiv zu bauen ist keine Premiere für heimische Bauunternehmen. Karl-Heinz Strauss, CEO der Porr, berichtet von Arbeiten und Versuchen mit Recyclingprodukten wie Ziegelsand und diversen Aschen. Beim Projekt Fildertunnel wurde feingemahlene Hochofenschlacke als Ersatzstoff verwendet. Die Strabag hat beim Bau des Innovation Centers am Züblin-Campus in Stuttgart erstmals ausschließlich CO2-reduzierten Beton eingesetzt. Johann Marchner, Geschäftsführer von Wienerberger Österreich, verweist auf Innovationen bei keramischen Baustoffen wie z. B. Dematerialisierung und das Produkt Eco-brick. »Ab Sommer 2023 arbeiten wir im Demo Plant in Uttendorf mit dem weltweit größten Industrie-Elektroofen, ab Mitte 2024 produzieren wir den grünsten Ziegel Europas.«
(Bild: Porr)