Mittwoch, November 20, 2024

Lean Construction ist in der Baubranche in aller Munde und findet sich immer öfter als Prinzip in den Bauverträgen wieder. Auf juristischer Ebene gibt es allerdings zahlreiche Unsicherheiten und Hürden. Gemeinsam mit der Rechtsanwaltskanzlei Toms Legal zeigt der Bau & Immobilien Report wie die Lean-Prinzipien in Verträgen effektiv und durchsetzbar verankert werden können. 


Das Konzept der Lean Construction basiert auf dem Prinzip der Minimierung von Verschwendung. Dazu werden verschwendete Materialien, Anstrengungen und Zeit mit dem Ziel untersucht, qualitativ hochwertigere und effizientere Ergebnisse zu erzielen. Alle Beteiligten entwickeln die Strategien immer mit Blick auf dieses Ziel. Anstatt zu reagieren und die Dinge kurzfristig zu betrachten, legt Lean Construction den Schwerpunkt auf langfristige Produktivität und Effizienz. In der Baubranche liegt der Fokus vor allem auf Störungen und Mehraufwände, die zusätzliche Kosten verursachen. Solche Störungen sind oft auf eine unzureichende Ausführungsplanung zurückzuführen.

Bei klassischen Projektabläufen werden die einzelnen Gewerke getrennt geplant, womit eine gezielte Zusammenarbeit kaum möglich ist. Es fehlt an Organisation und wechselseitiger Abstimmung. Das führt zu Störungen im Bauablauf, längeren Bauzeiten und erhöht die Projektkosten. Mit Hilfe der Prinzipien der Lean Construction können solche Störungen im Bauprozess und die damit verbundenen Mehrkosten reduziert werden. 

Rechtliche Realität vertraglicher Planung

Juristisch betrachtet stellt die Verankerung von »Lean Construction« in Verträgen einige Herausforderungen dar. Das beginnt bei der Formulierung der Prinzipien und reicht bis zur Frage, wie solche getroffenen Formulierungen im Vertrag bei Konflikten zu lesen sind, um festzustellen, was wer wann und wie schuldet. Laut § 914 ABGB ist bei der Auslegung eines Vertragspunktes zunächst vom Wortsinn auszugehen und gleichzeitig der dahinterstehende Wille der Parteien zu erforschen. Wenn beides zu keinem eindeutigen Ergebnis führt, ist der Vertragspunkt so zu verstehen, wie typische Vertragsparteien in der Baubranche den Vertragspunkt typischerweise verstehen würden.

Diese gesetzlichen Regeln können zu einem merkwürdigen Ergebnis führen. Oft kann der »Wille der Parteien« nicht festgestellt werden, beispielsweise wenn zu einem Vertrag keine Unterlagen existieren (wie beispielsweise Protokolle einer Vorbesprechung). Oft ist der »Wortsinn« nicht eindeutig, weil ein mehrdeutiger Begriff verwendet wurde oder ein Eingrenzungsmerkmal fehlt. Eben dann gilt zwischen den Vertragsparteien die Verkehrsübung, also was typische Vertragsparteien unter dem Vertragspunkt typischerweise verstehen würden. Und darüber lässt sich typischerweise gut streiten.

Sobald es unterschiedliche Ansichten zur Vertragsauslegung gibt, sind Konflikte und Verzögerungen vorprogrammiert. Im Einklang mit den Prinzipien der Lean Construction sollen nachfolgend Ansätze zur vertraglichen Verankerung und zur gleichzeitigen Konfliktvermeidung angeboten werden. 

Tipp: Im PDF unter folgendem Link finden Sie einen Überblick zu rechtlichen Stolpersteinen bei Lean (& Lösungansätzen) zum Ausdrucken oder Abspeichern: Die rechtliche Seite von Lean Construction

1. Vertragsklarheit

Vertragsklarheit und Vertragsvollständigkeit sind oberstes Gebot. Im Vertrag sollten möglichst viele Themen klar abgebildet werden. Allgemeine Umschreibungen sind fehl am Platz, Begriffe, Zeiträume, Leistungsumfang sind zu präzisieren. Im Bauvertrag sollte es keinen Raum für Interpretationen geben. Die Klarheit des Bauvertrags soll nicht durch ungenaue Begriffe abgewertet werden. 

2. Schlichtung bei Uneinigkeit

Nachdem aber an irgendeiner Stelle die Vollständigkeit endet, da nicht alle faktisch denkbaren Themen vorweg bedacht werden können, wäre im Vertrag eine schnelle, übergeschaltete Schlichtungsinstanz, die für die Vertragsparteien verbindlich auslegt, eine empfehlenswerte Lösung. Voraussetzung der Wirksamkeit der »schnellen Schlichtung« in Form eines unparteiischen Dritten ist, dass die Vertragsparteien sich verpflichten, diese Entscheidung als verbindlich zu akzeptieren, selbst wenn diese die eigenen Interessen nicht stützt, und dass diese Schlichtungsentscheidung so schnell erfolgt, dass die Bauabläufe bis dahin nicht stillliegen. 

3. Kommunikation

Die notwendige Kommunikation sollte bereits im Vertrag genau festgelegt werden, hinsichtlich Häufigkeit und Form (schriftlich oder mündlich) und welche Entscheidungen vor welchen Schritten abzustimmen sind. Die Herausforderung dabei liegt sicher darin, sämtliche Beteiligte in die Kommunikation einzubinden.

Beispielsweise sollte abgestimmt werden, in welchem Zeitfenster ein Gewerk auszuführen ist und wie die Beteiligten sich gegenseitig abzustimmen haben, allenfalls mithilfe eines dritten Organisators, damit die Gewerke nahtlos ineinander übergehen. Weiters ist es notwendig, dass alle Beteiligten informiert werden, wenn ein Gewerk in Verzug gerät und ob hier der Zeitplan durch Forcierung aufrecht bleibt oder es zu einer Verschiebung kommt. Optimal wäre eine Abfederung durch eine alternative zeitliche Einteilung der Einzelgewerke.

4. Änderungen im Bauablauf

Änderungen und Anpassungen sind bei jedem Projekt unvermeidlich. Ein detaillierter Bauvertrag bedeutet, dass diese Änderungen nicht zu Stolpersteinen werden müssen. Dazu ist im Bauvertrag genau festzulegen, wie Änderungen vorgenommen werden sollen, wer sie vornimmt (Organisationskompetenz) und wie der Prozess aussieht. Wichtig ist, dass sich alle Vertragsparteien verpflichten, die Entscheidung der Organisationsinstanz als verbindlich zu akzeptieren, selbst wenn diese die eigenen Interessen nicht stützt.

5. Pull-Planung

Die Pull-Planung ist eine Methode, bei der Personal, Materialien, Informationen oder Ausrüstung nur zu dem Zeitpunkt und an dem Ort eintreffen, an dem sie zur Aufrechterhaltung des Produktionsflusses benötigt werden.

Dabei sind Übergaben innerhalb der Projektstruktur zu spezifizieren und zu planen, um festzulegen, welche Schritte die nächsten Schritte im Ablauf »auslösen« (»Trigger«-Planung). Hier stellen Kapazitäten und zeitliche Verfügbarkeit des beischaffenden Vertragspartners die größten Herausforderungen dar; eine Dauerbereitschaftsverpflichtung wäre hierfür äußerst ungünstig.

Genau zu regeln ist daher auch das Signal (der »Abruf«) mit welchem der Schritt »abgerufen« wird – im Hinblick darauf, wer das Signal abgibt, in welchem Zeitabstand vor dem Schritt, in welcher Form und welche Folgen ein nicht rechtzeitiger Abruf auslöst. 

6. Meilenstein-Planung

Zu empfehlen ist das Setzen von schrittweisen Zielen, die in den Gesamtzeitplan passen. Um eine Wirkung zu erzielen, müsste die Einhaltung verbindlich festgelegt werden, da bei der Vereinbarung als »Best-Effort«-Ziel die Vertragsparteien aufgrund der Sanktionslosigkeit wenig Motivation hätten, die Meilensteine tatsächlich einzuhalten.

Die verbindliche Festlegung hilft, allerdings müsste bei Nichteinhaltung ein tatsächlicher Schaden nachgewiesen werden. Das Fehlen einer Kostenersparnis ist schwer nachweisbar. Darüber hinaus müsste dieser Schaden erst über den mühsamen Weg eines Gerichtsverfahrens und eines Sachverständigengutachtens festgestellt werden, und ist daher erst bei einer gewichtigen Abweichung von einem Meilenstein wirtschaftlich sinnvoll. Alternativ könnte die Vereinbarung von Vertragsstrafen vereinbart werden (in der Praxis oft anzutreffen). 

7. Allianzverträge

Der Allianzvertrag ist ein alternativer Vertrag. Er weicht von den bisher in der Praxis oft verwendeten Bauverträgen wie Einheitspreisvertrag oder Pauschalpreisvertrag ab. Er soll eine gemeinsame Interessenlage nach dem Grundsatz »best for project« schaffen. 
Der Vertrag basiert auf der Idee, dass Auftragnehmer und der Auftraggeber gemeinsam für das Projekt arbeiten und gemeinsam am Erfolg oder Misserfolg des Projekts partizipieren.

Benötigt wird dafür eine klare Definition von Verantwortlichkeiten und von gemeinsamen Risiken, ein eigenständiges Vergütungsmodell (direkte Kosten, indirekte Kosten, Bonus-Malus-Prinzip) und das Best-for-project-Prinzip (gemeinsame Verantwortung, direkte Kommunikation, Transparenz, No-Blame-Prinzip, Respekt).

Solche Verträge sind in der Praxis noch eher selten anzutreffen und stoßen zuweilen auf den Widerstand der agierenden Parteien mit dem Unverständnis, mehr Verantwortung übernehmen zu  sollen als üblicherweise. Voraussetzung für die Effektivität einer derartigen Vertragsgestaltung ist allerdings die Zustimmung aller Beteiligten.

8. Eine Frage der Verbindlichkeit

Sämtliche der obigen Prinzipien lassen sich zwischen den Vertragsparteien in verschiedenen »Stufen« der Verbindlichkeit vereinbaren. Eine Verankerung in Bauverträgen kann mittels »Best-Effort«-Klauseln erfolgen, in welchen die Beteiligten sich zur Einhaltung nach bestem Wissen und Gewissen verpflichten. Eine solche Verankerung ist zwar symbolisch interessant, rechtlich aber leider etwas zahnlos, da die Einhaltung nicht gerichtlich durchsetzbar ist und damit auch praktisch allenfalls optional.

Notwendig zur Absicherung der Einhaltung der Prinzipien der Lean Construction ist daher die Festlegung der Verbindlichkeit der Einhaltung. Dabei stellt sich allerdings die Frage der Sanktion, die bei Nichteinhaltung ausgelöst wird. Zunächst ist an Schadenersatz zu denken, hier ist allerdings das Vorliegen eines Schadens Voraussetzung (ohne Schaden kein Ersatz).

Behauptet werden könnte nun, dass durch die Nichteinhaltung eine Verzögerung oder Störung des Produktionsflusses eingetreten wäre, die Bezifferung eines Schadens wird dadurch aber nicht vereinfacht: sind dies in etwa die Forcierungskosten – sofern diese tatsächlich nicht aufgewendet wurden, möglicherweise die fiktiven Forcierungskosten –, ist dies noch einigermaßen leicht; schwierig wird es allerdings in Fällen, in denen Forcierungsmaßnahmen nicht denkbar sind, und die Verzögerung eine Vertragsstrafe nicht ausgelöst hat.

Als weitere Absicherungsmöglichkeit bietet sich die Vereinbarung von Vertragsstrafen an. Nach ständiger Rechtsprechung trifft allerdings auch bei diesen den Gläubiger die Beweislast dafür, dass überhaupt ein solcher Umstand eingetreten ist, dass der Anspruch auf eine Vertragsstrafe besteht. Auch ist eine Vertragsstrafe nur bei Verschulden zu bezahlen, wobei den Schuldner die Beweislast für sein fehlendes Verschulden trifft.

Letztendlich ist die Frage der Art der Verbindlichkeit auch eine solche, die davon abhängt, was die Vertragsparteien untereinander akzeptieren, da niemand ohne seinen Willen in eine derartige Verpflichtung hineingedrängt werden kann.

Zusammenfassung

Lean Construction ist als Idee in der Baubranche sehr zu begrüßen. Wie diese vertraglich verankert und zwischen den Beteiligten effektiv durchgesetzt werden kann, wird sich in der Praxis künftig weisen. Nachdem die Idee auf eine nachhaltige und sinnvolle Zukunftsgestaltung hinausläuft, werden sich schnell neue Wege entwickeln die deutlich von der bisherigen Vertragsgestaltungspraxis abweichen.


Über die Kanzlei

TOMS LEGAL ist eine Rechtsanwaltskanzlei im Zentrum Wiens mit Anwaltszulassung für sowohl die österreichische als auch die englische Rechtsordnung. Der Fokus liegt auf Zivilrecht, Gesellschaftsrecht und M&A, mit besonderer Spezialisierung im Bau-, Planungs- und Energierecht. Mit ihrer langjährigen Erfahrung in gerichtlichen Streitigkeiten und alternativer Streitbeilegung sowie in der Entwicklung umfassender Vertragsgesamtlösungen legt die Kanzlei großen Wert auf eine kompetente und individuelle Beratung ihrer Mandant*innen. 

www.tomslegal.eu 

(Titelbild: iStock)

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