Freitag, November 22, 2024

Ein Bauunternehmen klagte den Mehraufwand von Corona-Maßnahmen auf der Baustelle ein. Der OGH bestätigte, dass Auftraggeber bei ÖNORM-Verträgen die Covid-19 bedingten Mehrkosten zu tragen haben. Das Bauunternehmen konnte diese zusätzlichen Kosten aber nicht konkret nachweisen. Die Entscheidung wird für Bauunternehmen weitreichende Folgen bei der Nachweisführung von Mehrkostenforderungen („MKF“ oder „Claims“) haben. Eine umfassende Dokumentation wird immer wichtiger. Ein Gastbeitrag von Lukas Andrieu, Partner der ScherbaumSeebacher Rechtsanwälte GmbH. 


Corona-Mehraufwand auf Baustellen

Als die Corona-Krise im Frühjahr 2020 über Österreichs Baustellen hereinbrach, war die Verunsicherung bei Auftraggebern und Bauunternehmen groß. Nach anfänglichen vollständigen Baustopps konnte die Arbeit zwar bald wieder aufgenommen werden, doch die Corona-Verordnungen der Bundesregierung und ein im Eiltempo erarbeiteter Maßnahmenkatalog der Sozialpartner erforderte auch am Bau plötzlich das Tragen von Masken, Abstand halten, regelmäßiges Desinfizieren, die Ausdünnung von Personaltransporten und mehr.  

Es war daher nur eine Frage der Zeit bis solche coronabedingten Mehrkosten in den Fokus rechtlicher Auseinandersetzungen zwischen Bauherrn und Bauunternehmen gerückt sind. Auch wenn bei vielen Projekten außergerichtliche „partnerschaftliche“ Lösungen gefunden werden konnten, wurde schon lange auf eine Leitentscheidung des Obersten Gerichtshofes (OGH) zu pandemiebedingten Mehrkostenforderungen von Bauunternehmen gewartet.

Klage eines Bauunternehmers

In der am 31.01.2023 veröffentlichten Entscheidung des OGH (6Ob136/22a) ging es um die Behauptung eines Bauunternehmens, dass es bei der Arbeit an einer Kärntner Brücke im Jahr 2020 durch die pandemiebedingten Maßnahmen (Tragen von Schutzmasken und dadurch verursachter Leistungsabfall der Arbeiter, laufendes Desinfizieren, Stehzeiten etc.) zu „erheblichen Kosten und Produktivitätsminderungen“ gekommen sei. Geltend gemacht wurden rund 30.000 Euro.

Nach der ÖNORM B 2110 treffen die beim Vertragsabschluss nicht vorhersehbaren und nicht abwendbaren Folgen die Auftraggeberin. Da dies auch auf die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zutrifft, war klar, dass dem Bauunternehmen Kosten vertraglich grundsätzlich zustehen können. Ob das aber auch für andere Vertragstypen (etwa reine ABGB-Verträge) so gilt, ließ der OGH ausdrücklich offen, ist aber eher zu bezweifeln. Die Erfolgsaussichten vergleichbarer Ansprüche können daher immer nur auf Basis des jeweiligen individuellen Bauvertrages geprüft werden.

Dokumentation ist entscheidend

Die beklagte Auftraggeberin wendete die Unschlüssigkeit der Mehrkostenforderung ein, weil keine baustellenspezifischen konkreten Nachweise über die angefallenen Aufwendungen vorgelegt wurden. Das klagende Bauunternehmen stütze sich bei der Berechnung der Forderung nämlich im Wesentlichen auf abstrakte prozentuelle Zuschläge zur ursprünglichen Angebotskalkulation, die aus einem für die Wirtschaftskammer erstellten (nicht auf die konkrete Baustelle bezogenen) bauwirtschaftlichen Sachverständigengutachten abgeleitet wurden.  

Der OGH hielt die Mehrkosten im Ergebnis für nicht ausreichend unter Beweis gestellt und sprach dem Bauunternehmen keinen zusätzlichen Werklohn zu. Dreh- und Angelpunkt war damit die Frage, ob die Mehrkosten damit für einen Zuspruch vom klagenden Bauunternehmen ausreichend nachgewiesen wurden. Für die erfolgreiche Geltendmachung von Mehrkostenforderungen ist laut Höchstgericht die Behauptung und der Beweis von ganz konkret entstandenen Mehrkosten erforderlich. Das Bauunternehmen müsse den Mehraufwand im Detail nachweisen. Ein Zuschlag anhand einer in einem Gutachten vorgenommenen abstrakten Kalkulation sei unzureichend.

Konkretisierungspflicht bei Mehrkostenforderungen

Auseinandersetzungen über unerwartete Mehrkosten prägen seit vielen Jahren größere Bau- und Infrastrukturprojekte. Die Bedeutung der Entscheidung wird daher weit über den spezifischen Anlassfall hinausgehen, da sich der OGH erstmals mit der bislang unter Juristen umstrittenen Frage auseinandersetzt, wie detailliert und konkret Bauunternehmen bauwirtschaftliche Mehrkostenforderungen („MKF“, „Nachträge“, oder „Claims“) vor Gericht beweisen müssen. Die Aussagen des Urteils lassen sich auch jenseits von Corona generell auf gerichtliche Auseinandersetzungen über unerwartete Mehraufwendungen auf Baustellen übertragen. Um vor Gericht eine Chance zu haben, müssen bauausführende Unternehmen zukünftig noch mehr darauf achten, bereits auf der Baustelle eine möglichst detaillierte Dokumentation der Gründe von Mehrkosten vorzunehmen. Diese bildet sodann die Grundlage für die Darlegung nachvollziehbarer monetärer Auswirkungen. Wer die Dokumentation auf der Baustelle vernachlässigt, hat auch vor Gericht das Nachsehen. 


Der Autor

Bau- und Vergaberechtsexperte Mag. Lukas Andrieu, LL.M ist Partner der ScherbaumSeebacher Rechtsanwälte GmbH in Wien und Graz.  

(Titelbild: iStock)

Meistgelesene BLOGS

Mario Buchinger
07. August 2024
Der Ruf nach Resilienz in den Lieferketten wird lauter. Nach den Erfahrungen einer weltweiten Pandemie und den immer deutlicheren Auswirkungen der Klimakrise scheint das sinnvoll. Doch was macht eine ...
Nicole Mayer
19. August 2024
Am qualityaustria Excellence Day im Juni wurde nicht nur das AMS Kärnten mit dem Staatspreis Unternehmensqualität 2024 ausgezeichnet, sondern auch drei weitere exzellente Unternehmen zum Staatspreis n...
Marlene Buchinger
09. August 2024
CSRD, ESRS, CBAM – Nachhaltigkeitsbegriffe schnell erklärt. Nachhaltigkeit wird immer mehr Teil der Führungsarbeit. Daher lohnt ein Blick auf die wichtigsten Begriffe. Wie in jeder Fachdisziplin gibt ...
Firmen | News
24. September 2024
Konkrete Lösungen und relevante Technologien für eine klimaneutrale Industrie stehen im Mittelpunkt der dritten internationalen Konferenz am 24./25. Oktober in Wien Am 24. und 25. Oktober 2024 veranst...
Firmen | News
20. September 2024
Gemeinsam die Welle der Vorschriften meistern: Navigieren im Cybersecurity-Meer Donnerstag, 10. Oktober 2024, 09:00 Uhr bis 17:15 Uhr Austria Trend Hotel Savoyen WienRennweg 16, 1030 Wien Neue Regulie...
Marlene Buchinger
07. August 2024
Schulungsangebote und ESG-Tools schießen wie Pilze aus dem Boden. Doch anstelle das Rad neu zu erfinden, sollten bestehende Strukturen neu gedacht werden. Die Anforderungen an Unternehmen punkto Verbe...
Marlene Buchinger
07. August 2024
Was bedeutet Nachhaltigkeit und warum ist das Thema so wichtig? Der Begriff Nachhaltigkeit und die damit verbundenen Veränderungen werfen bei vielen Führungskräften noch Fragen auf. Aus diesem Grund e...
Marlene Buchinger
11. September 2024
Prozessverständnis und Bestandsaufnahme der Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit ist wie das Thema Qualität – jede*r trägt dazu bei und die Betrachtung endet nicht am Werkstor oder der Bürotür. Daher sind Pr...

Log in or Sign up