Ein Bauunternehmen klagte den Mehraufwand von Corona-Maßnahmen auf der Baustelle ein. Der OGH bestätigte, dass Auftraggeber bei ÖNORM-Verträgen die Covid-19 bedingten Mehrkosten zu tragen haben. Das Bauunternehmen konnte diese zusätzlichen Kosten aber nicht konkret nachweisen. Die Entscheidung wird für Bauunternehmen weitreichende Folgen bei der Nachweisführung von Mehrkostenforderungen („MKF“ oder „Claims“) haben. Eine umfassende Dokumentation wird immer wichtiger. Ein Gastbeitrag von Lukas Andrieu, Partner der ScherbaumSeebacher Rechtsanwälte GmbH.
Corona-Mehraufwand auf Baustellen
Als die Corona-Krise im Frühjahr 2020 über Österreichs Baustellen hereinbrach, war die Verunsicherung bei Auftraggebern und Bauunternehmen groß. Nach anfänglichen vollständigen Baustopps konnte die Arbeit zwar bald wieder aufgenommen werden, doch die Corona-Verordnungen der Bundesregierung und ein im Eiltempo erarbeiteter Maßnahmenkatalog der Sozialpartner erforderte auch am Bau plötzlich das Tragen von Masken, Abstand halten, regelmäßiges Desinfizieren, die Ausdünnung von Personaltransporten und mehr.
Es war daher nur eine Frage der Zeit bis solche coronabedingten Mehrkosten in den Fokus rechtlicher Auseinandersetzungen zwischen Bauherrn und Bauunternehmen gerückt sind. Auch wenn bei vielen Projekten außergerichtliche „partnerschaftliche“ Lösungen gefunden werden konnten, wurde schon lange auf eine Leitentscheidung des Obersten Gerichtshofes (OGH) zu pandemiebedingten Mehrkostenforderungen von Bauunternehmen gewartet.
Klage eines Bauunternehmers
In der am 31.01.2023 veröffentlichten Entscheidung des OGH (6Ob136/22a) ging es um die Behauptung eines Bauunternehmens, dass es bei der Arbeit an einer Kärntner Brücke im Jahr 2020 durch die pandemiebedingten Maßnahmen (Tragen von Schutzmasken und dadurch verursachter Leistungsabfall der Arbeiter, laufendes Desinfizieren, Stehzeiten etc.) zu „erheblichen Kosten und Produktivitätsminderungen“ gekommen sei. Geltend gemacht wurden rund 30.000 Euro.
Nach der ÖNORM B 2110 treffen die beim Vertragsabschluss nicht vorhersehbaren und nicht abwendbaren Folgen die Auftraggeberin. Da dies auch auf die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zutrifft, war klar, dass dem Bauunternehmen Kosten vertraglich grundsätzlich zustehen können. Ob das aber auch für andere Vertragstypen (etwa reine ABGB-Verträge) so gilt, ließ der OGH ausdrücklich offen, ist aber eher zu bezweifeln. Die Erfolgsaussichten vergleichbarer Ansprüche können daher immer nur auf Basis des jeweiligen individuellen Bauvertrages geprüft werden.
Dokumentation ist entscheidend
Die beklagte Auftraggeberin wendete die Unschlüssigkeit der Mehrkostenforderung ein, weil keine baustellenspezifischen konkreten Nachweise über die angefallenen Aufwendungen vorgelegt wurden. Das klagende Bauunternehmen stütze sich bei der Berechnung der Forderung nämlich im Wesentlichen auf abstrakte prozentuelle Zuschläge zur ursprünglichen Angebotskalkulation, die aus einem für die Wirtschaftskammer erstellten (nicht auf die konkrete Baustelle bezogenen) bauwirtschaftlichen Sachverständigengutachten abgeleitet wurden.
Der OGH hielt die Mehrkosten im Ergebnis für nicht ausreichend unter Beweis gestellt und sprach dem Bauunternehmen keinen zusätzlichen Werklohn zu. Dreh- und Angelpunkt war damit die Frage, ob die Mehrkosten damit für einen Zuspruch vom klagenden Bauunternehmen ausreichend nachgewiesen wurden. Für die erfolgreiche Geltendmachung von Mehrkostenforderungen ist laut Höchstgericht die Behauptung und der Beweis von ganz konkret entstandenen Mehrkosten erforderlich. Das Bauunternehmen müsse den Mehraufwand im Detail nachweisen. Ein Zuschlag anhand einer in einem Gutachten vorgenommenen abstrakten Kalkulation sei unzureichend.
Konkretisierungspflicht bei Mehrkostenforderungen
Auseinandersetzungen über unerwartete Mehrkosten prägen seit vielen Jahren größere Bau- und Infrastrukturprojekte. Die Bedeutung der Entscheidung wird daher weit über den spezifischen Anlassfall hinausgehen, da sich der OGH erstmals mit der bislang unter Juristen umstrittenen Frage auseinandersetzt, wie detailliert und konkret Bauunternehmen bauwirtschaftliche Mehrkostenforderungen („MKF“, „Nachträge“, oder „Claims“) vor Gericht beweisen müssen. Die Aussagen des Urteils lassen sich auch jenseits von Corona generell auf gerichtliche Auseinandersetzungen über unerwartete Mehraufwendungen auf Baustellen übertragen. Um vor Gericht eine Chance zu haben, müssen bauausführende Unternehmen zukünftig noch mehr darauf achten, bereits auf der Baustelle eine möglichst detaillierte Dokumentation der Gründe von Mehrkosten vorzunehmen. Diese bildet sodann die Grundlage für die Darlegung nachvollziehbarer monetärer Auswirkungen. Wer die Dokumentation auf der Baustelle vernachlässigt, hat auch vor Gericht das Nachsehen.
Der Autor
Bau- und Vergaberechtsexperte Mag. Lukas Andrieu, LL.M ist Partner der ScherbaumSeebacher Rechtsanwälte GmbH in Wien und Graz.
(Titelbild: iStock)