Die schweren Erdbeben in der Türkei und in Syrien haben eine Schneise der Zerstörung geschlagen. Tausende Menschen haben ihr Zuhause, ihr Hab und Gut und im schlimmsten Fall Familienangehörige und Freunde verloren. Wie konnte es zu dieser Tragödie kommen? Günter Rombach, Professor und Leiter des Instituts für Massivbau der Technischen Universität Hamburg, spricht im Interview über Erdbebenschutz.
Das Erdbeben mit einer Stärke von 7,5 hat Tausende Tote zur Folge, und noch immer werden Menschen aus den Trümmern geborgen. Foto- und Videoaufnahmen zeigen, wie ganze Gebäudekomplexe während des Bebens in sich zusammengefallen sind. Wie konnte es zu den massiven Gebäudeeinstürzen kommen - und wie sieht erdbebensicheres Bauen aus? Nachgefragt beim Experten Günther Rombach von der TU Hamburg.
Wie schafft man es, dass Gebäude bei Erdbeben nicht einstürzen?
Günther Rombach: Um ein Gebäude erdbebensicher zu bauen, braucht es komplexe statische und dynamische Berechnungen vor dem Bau. Die Lage des Baugebiets gibt an, welche Erdbebenstärke rechnerisch angesetzt werden muss Daraus ergeben sich Belastungen, dem ein Gebäude im Extremfall standhalten muss. Außerdem sind konstruktive Verstärkungen vorgeschrieben. Die Herausforderung beim Erdbeben sind die großen Horizontalkräfte, denen das Gebäude ausgesetzt wird. Um die sehr große Energie eines Erdbebens zu tilgen, müssen die Tragglieder eines Gebäudes ein gewisses Verformungsvermögen haben. Bei einem Erdbeben schwingt ein sicheres Gebäude also mit.
Was ist das Besondere an diesen Berechnungen?
Rombach: Es geht vor allem um dynamische Berechnungen, die in einfacher Form auch beim Bau von Tribünen oder Brücken notwendig sind. Das ist im Bauwesen relativ ungewöhnlich, da Gebäude normalerweise eher statische Lasten tragen. Da ein Erdbeben hochdynamisch ist und sehr große Beanspruchungen entstehen, ist es allerdings fast unmöglich, Gebäude so zu bauen, dass sie überhaupt keinen Schaden davontragen. Das ist vergleichbar mit dem Brandschutz.
Wie meinen Sie das?
Rombach: Der konstruktive Brandschutz hat in erster Linie nicht zum Ziel, das Gebäude nach einem Brand möglichst normal weiter nutzen zu können. Priorität ist, bei einem Notfall die Menschen lebend in Sicherheit zu bringen und der Feuerwehr die Brandbekämpfung zu ermöglichen. So ist es auch beim Erdbebenschutz: Das Gebäude soll nicht so gebaut werden, dass es hinterher noch 1A aussieht, sondern so, dass es nicht einstürzt, um Menschenleben zu retten. Im Normalfall ist es nach einem extremen Erdbeben dann nicht mehr nutzbar, beispielsweise bei Stahlbetontragwerken aufgrund von breiten Rissen oder großen Verformungen.
Welches Material eignet sich besonders gut für erdbebensichere Gebäude?
Rombach: Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Letztendlich hängt es von der Konstruktion ab. Hochhäuser bestehen größtenteils aus Beton und Stahl. Dieser Baustoff kann große Lasten abtragen. Stahl hat ein weiches Verhalten, gibt bei Schwingungen nach und nimmt Druck- und Zugkräfte gut auf. Holz ist theoretisch auch geeignet. Es kann Erdbebenwellen nachgeben, weil es elastisch ist. Allerdings können Hochhäuser kaum aus Holz gebaut werden.
Wie konnte es zu den massiven Gebäudeeinstürzen in den Erdbebengebieten im Süden der Türkei und im Norden Syriens kommen?
Rombach: Betrachtet man die Videos aus den betroffenen Gebieten liegt der Verdacht nahe, dass die eingestürzten Gebäude nicht für so ein starkes Erdbeben bemessen waren. Gebäude sind praktisch senkrecht in sich zusammengefallen, das zeigt, dass die Sicherheitsstandards sehr wahrscheinlich nicht eingehalten wurden.
(Titelbild: TU Hamburg)