Im März starten die Kollektivvertragsverhandlungen für die Bauwirtschaft. Für Report(+)PLUS haben sich der Chef der Gewerkschaft Bau-Holz, Josef Muchitsch, und die Vertreter der Arbeitgeber, Peter Krammer für die Bauindustrie und Robert Jägersberger für das Baugewerbe, schon jetzt an einen Tisch gesetzt und über die drängendsten Probleme der Branche gesprochen. Fazit: Die KV-Verhandlungen sollen auch heuer konsensorientiert laufen und eine verträgliche Lösung für beide Seiten bringen. Es werden aber intensivere und längere Gespräche erwartet.
Titelbild: »Bau ist anders«: Immer wieder wurde im Interview von den Arbeitgeber-Vertretern Robert Jägersberger (M.) und Peter Krammer (l.) sowie Gewerkschafts-Chef Josef Muchitsch betont, wie wichtig ein konsensorientiertes Vorgehen ist. Der Tenor: »Wir verfolgen ein gemeinsames Ziel, das nur mit einer für beide Seiten verträglichen Lösung erreicht werden kann.« (Credit: Report Verlag)
Die Baubranche kommt aus einer absoluten Boomphase, für 2023 werden mitunter aber sehr düstere Prognosen erstellt. Wie wird 2023 aus Ihrer Sicht für die österreichische Bauwirtschaft laufen?
Robert Jägersberger: Wir kommen tatsächlich von einem sehr hohen Niveau. Damit war eigentlich nicht zu rechnen. Aber das Baugewerbe ist im Vergleich zur Bauindustrie zum großen Teil von privaten Auftraggebern abhängig. Gerade in diesem Bereich ist jetzt leider mit deutlichen Rückgängen zu rechnen. Die Ursachen liegen in der hohen Inflation, den Lieferkettenproblemen und der daraus resultierenden Preisdynamik. Dazu kommen die strengeren Kreditrichtlinien, die gerade für den privaten Häuslbauer das Bauen deutlich erschweren. Es ist daher absolut begrüßenswert, dass hier wieder Lockerungen angedacht sind.
Unsicherheiten gibt es auch bei einer weiteren wichtigen Auftraggebergruppe, den Gemeinden.
Josef Muchitsch: Wenn man sich die letzten zehn Jahre ansieht, dann war 2022 tatsächlich am höchsten Level. Allerdings war auch schon absehbar, dass Nebel aufzieht. Aber nach jedem Nebel kommt auch wieder die Sonne heraus. Ja, es wird eine Delle geben, von der aber noch niemand sagen kann, wie stark und wie lang sie sein wird. Ich bin aber dennoch optimistisch, dass man der Gefahr wieder Herr werden und von der Bremse steigen wird, auch wenn es jetzt zu einem Rückgang kommt, speziell im Eigenheimbereich oder den gemeinnützigen Wohnbauträgern. Es wird wieder gebaut werden und es wird dann auch einen Aufholprozess geben, denn der Bedarf ist da.
Mit welchem Gefühl blickt die Bauindustrie in die Zukunft?
Peter Krammer: Die Situation in der Bauindustrie ist sicher eine andere als im Gewerbe. Die Auftraggeberstruktur unterscheidet sich doch maßgeblich, gerade im Infrastrukturbereich. Wir haben deutlich längere Auftragsdurchgangszeiten, höhere Auftragsbestände und vor allem ein breiteres Portfolio. Öffentliche Auftraggeber wie ÖBB oder Asfinag haben gute Budgets und setzen diese auch um. Im Vergleich zum Hochbau halten sich im Tiefbau auch die Kostensteigerungen in Grenzen. Das spiegelt sich auch in den Zahlen wider. Wir rechnen im Verhältnis zur Inflation mit einer gleichbleibenden Bauproduktion.
Die Zahl der Insolvenzen steigt wieder. 2022 verzeichnete die Bauwirtschaft 778 Fälle mit Passiva in der Höhe von 348 Mio. Euro. Das ist gegenüber 2021 mit 583 Fällen mit 193 Mio. Euro Passiva ein deutlicher Anstieg. Rechnen Sie mit einer weiteren Steigerung im Jahr 2023?
Jägersberger: Die Baubranche wird sich von anderen Wirtschaftszweigen nicht gänzlich abkoppeln können. Nachdem die Insolvenzzahlen generell steigen, wird das auch auf den Bau zutreffen. Der Bau ist eine Branche mit sehr geringen Margen. Da fallen die aktuellen Kostensteigerungen natürlich noch mehr ins Gewicht.
Muchitsch: Das sind sicher auch Mitnahme- und Nachzieheffekte aus den Coronajahren, in denen vieles mit Förderungen und Unterstützungen abgefedert wurde. Es wird 2023 laut Kreditschutzverband noch einmal einen Anstieg geben, dann wird sich das aber wieder normalisieren.
Jägersberger: Da sprichst Du jetzt aber von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
Muchitsch: Richtig.
Jägersberger: Gerade am Bau sind aber aus meiner Sicht die Mitnahme- und Nachzieheffekte eher gering, weil wir ja mit einer kurzen Ausnahme durchgearbeitet haben und im Vergleich zu anderen Branchen dadurch auch deutlich weniger Unterstützung und Förderung bekommen haben.
Krammer: Aber die Konjunkturlage und die große Nachfrage hat auch weniger effizienten Unternehmen das Überleben gesichert. Dennoch ist die befürchtete große Insolvenzwelle ausgeblieben und wird aus meiner Sicht auch nicht mehr kommen. Außer natürlich, es kommt zu einem kompletten Einbruch, das ist aber nicht absehbar.
Peter Krammer hat im September im Interview mit dem Bau & Immobilien Report gemeint, dass ein leichter Rückgang der Branche durchaus gut tun würde. Dem hat sich im Dezember auch Habau-Chef Hubert Wetschnig angeschlossen. Teilen Gewerkschaft und Baugewerbe diese Einschätzung?
Muchitsch: Niemand will einen Rückgang, aber wir waren in den letzten Jahren sicher am Anschlag. Es gab eine Rekordbeschäftigung am Bau und eine immense Nachfrage. Damit sind wir auch beim Thema Fachkräfte, die es in dem Ausmaß einfach nicht gibt. Unter diesem Blickwinkel hat ein leichter Rückgang nicht nur negative Aspekte.
Jägersberger: Uns haben die größeren Volumina insofern gut getan als man auch die höheren Kosten, speziell die Geschäftsgemeinkosten, damit kompensieren bzw. auf mehrere Projekte aufteilen konnte. Sollte es jetzt zu Auftragsrückgängen kommen und damit die Gemeinkosten prozentuell wieder steigen, stellt uns das schon vor Probleme.
Der Fachkräftemangel beschäftigt die Branche seit langem. Wird es die von Josef Muchitsch angedeutete Entspannung durch Auftragsrückgänge auch aus Sicht der Unternehmen geben?
Krammer: Nein, diese Entspannung wird es nicht geben. Wir stehen jetzt vor dem absoluten Peak. Wir haben wie Josef Muchitsch vorher ausführte eine absolute Rekordbeschäftigung am Bau. Aber die Babyboomer gehen auch am Bau demnächst in Pension und es kommt demographisch viel zu wenig nach. Ein leichter Rückgang würde nur zu einem etwas weniger intensiven Wettlauf führen, denn in Wahrheit hat der Kampf um die Fachkräfte gerade erst begonnen.
Was kann man dagegen tun? Wie kann dieses Problem gelöst werden?
Jägersberger: Wir versuchen ganz intensiv, schon bei den jungen Leuten Interesse an der Baubranche zu schüren. Dazu haben wir die Lehrlingsausbildung komplett umgekrempelt und den aktuellen Anforderungen angepasst. Auch investieren wir viel in Aus- und Weiterbildung und Höherqualifizierung der bestehenden Mannschaft.
Muchitsch: Das ist wie in einer Fußballmannschaft. Da möchte der Trainer auch immer noch bessere Fußballer haben. Aber Scherz beiseite. Die Bauwirtschaft hat da auch bereits viele Schritte unternommen, wie Robert Jägersberger angesprochen hat. Es ist uns besser als anderen Branchen gelungen, den Beruf an sich attraktiver zu machen und die Lehrlingszahlen zu erhöhen. Laut einer AK-Studie führt eine Lehre am Bau zur höchsten Zufriedenheit. Das muss man den Unternehmen auch ganz hoch anrechnen. Auch die Bauindustrie ist heute viel aktiver in der Lehrlingsausbildung als das früher der Fall war.
Wird eine nationale und EU-interne Lösung ausreichen?
Muchitsch: Der gute Arbeitsmarkt ist in Europa abgegrast. Wenn wir mit der Einladungskarte in Richtung Drittstaaten winken, heißt das nicht, dass gute Arbeitskräfte kommen. Man muss schon weiterhin auch hierzulande die richtigen Maßnahmen in Aus- und Weiterbildung setzen.
Jägersberger: Wir setzen uns auch sehr dafür ein, das Hilfspersonal, das schon bei uns arbeitet, durch Fortbildungsmaßnahmen zumindest teilzuqualifizieren, damit sie gewisse Bereiche der Facharbeitertätigkeit abdecken können. Außerdem müssen wir die Grenzen der Tätigkeiten unserer Facharbeiter ausweiten. Aber klar ist auch, ganz ohne qualifizierte Zuwanderung wird es nicht gehen. Das ist ein demographischer Fakt.
Krammer: Wir müssen auch darauf schauen, dass wir die Produktivität auf den Baustellen mit gleichem oder weniger Personalaufwand durch Digitalisierung, Automatisierung und Effizienzsteigerung weiter erhöhen. Das kann ich ruhigen Gewissens auch neben dem Chef der Gewerkschaft sagen, weil es anders nicht geht und dadurch nicht wie früher die Arbeitslosigkeit steigt.
Muchitsch: Ich hätte da auch einen Wunsch an die Politik. Die Regierung möge den Sozialpartnern, die eigene Lösungen entwickeln, um des Problems Herr zu werden, nicht Steine in den Weg legen. Ich erinnere an die vielen jungen Asylwerber nach 2015, die von der Wirtschaft ausgebildet und dann abgeschoben wurden oder keine Arbeitserlaubnis erhielten. Das ist Dummheit pur.
Ein großes Thema sind die steigenden Kosten. Neben den Material- und Energiekosten betrifft das auch die Personalkosten. Im März starten die KV-Verhandlungen, die in anderen Branchen teils sehr hohe Abschlüsse brachten. Mit welchen Erwartungen werden Sie in die Verhandlungen gehen?
Jägersberger: Es wird wie auch in der Vergangenheit darum gehen, eine für beide Seiten verträgliche Lösung zu finden.
Muchitsch: Wir werden es in der Bauwirtschaft weiterhin so halten, dass wir uns nicht in der Öffentlichkeit gegenseitig Forderungen ausrichten. Das unterscheidet uns von anderen Branchen.
Tatsächlich hat man in der Vergangenheit von den KV-Verhandlungen der Bauwirtschaft hauptsächlich die Vollzugsmeldungen mitbekommen. Von allen Seiten wird bestätigt, dass die Verhandlungen in der Vergangenheit – auch in schwierigen Phasen wie nach der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 – sehr konsensorientiert, fast freundschaftlich verlaufen sind. Erwarten Sie schwierigere, längere und intensivere Diskussionen?
Muchitsch: Es geht nicht um freundschaftlich oder kollegial. Aber die Gespräche waren immer vernünftig. Es gab auch in der Vergangenheit intensive Diskussionen. Im Vorfeld der eigentlichen KV-Verhandlungen sind unsere Expertinnen und Experten beauftragt, Lösungen zu erarbeiten, um Zahlen außer Streit zu stellen. Das erspart viel Aufwand und reduziert das Konfliktpotenzial enorm. Aber bedingt durch die Teuerung ist schon davon auszugehen, dass die Gespräche heuer länger dauern werden. Aber wir werden alles daran setzen, einen vernünftigen Abschluss zu finden. Dafür müssen wir die Entwicklung in den nächsten Wochen und Monaten mitbetrachten und -bewerten. Der Abschluss in diesem Jahr wird aber auf jeden Fall sehr kreativ sein müssen.
Krammer: Wir spüren den Druck von allen Seiten. Gerade im Hochbau ist der Lohn eine sehr wesentliche Komponente. Das weiß auch die Gewerkschaft. Und deshalb bin ich überzeugt, dass wir eine vernünftige Lösung finden werden.
Jägersberger: Wir wollen auch nicht die Auftraggeber mit Hiobsbotschaften verschrecken. Das Ziel muss sein, das Interesse am Bauen weiter hoch zu halten.
Ist der Druck Ihrer Mitglieder aktuell höher als in den letzten Jahren, einen für die jeweilige Seite guten Abschluss zu erzielen? Gibt es auch Sorge, dass der konsensorientierte Zugang der Bau-Sozialpartner bessere Abschlüsse verhindert?
Muchitsch: Man muss das schon ganzheitlich betrachten. Es geht ja nicht nur um einen Prozentsatz, sondern auch um rahmenrechtliche Verbesserungen, die man mitbewerten muss. Natürlich ist auf unserer Seite der Wunsch groß, möglichst hohe Abschlüsse zu erzielen, und auf Arbeitgeberseite soll er möglichst niedrig ausfallen. Da muss man sich irgendwo in der Mitte treffen.
Krammer: Wir treten für unsere Mitglieder in Verhandlungen mit der Gewerkschaft. Wir wissen aber auch, dass wir ein gemeinsames Ziel haben. Die Gewerkschaft will ihre Arbeitnehmer gut bezahlt und beschäftigt wissen, aber das wollen wir auch. Denn es sind unsere Mitarbeiter, die eine produktive Leistung erbringen, mit der wir Geld verdienen.
Jägersberger: Es geht darum, dass wir unsere Leistung verkaufen können. Wenn wir das nicht können, gibt es nur Verlierer. Wenn die Kosten steigen, steigt der Preis. Schwierig ist es, wenn bei bereits fixierten Preisen die Kosten steigen. Das bereitet unseren Mitgliedern schon Sorge.
Muchitsch: Ich will nicht widersprechen, aber ich gehe davon aus, dass die Unternehmen die Lohnerhöhungen auch jetzt schon in ihre Preise einkalkulieren.
Jägersberger: Die Frage ist, zu wie viel Prozent. Es gibt ja auch noch den Mitbewerb, der vielleicht etwas weniger einkalkuliert und damit einen Preisvorteil hat.
Gibt es schon jetzt gemeinsame Forderungen an die Politik, damit das Jahr besser läuft als vielleicht befürchtet?
Muchitsch: Wichtig ist, dass die Mischmaschine am Laufen gehalten wird. Dafür braucht der Konjunkturmotor Bau aber den richtigen Treibstoff. Das reicht von Förderungen für die thermische Sanierung über Investitionsprämien bis zur Verlängerung der Schwellenwerteverordnung. Da könnte die Politik schon Hilfe leisten.
Krammer: Ganz wichtig wird es sein, die Gemeinden zu unterstützen. Die sind der Träger unseres Flächengeschäfts. Nach der Covid-Krise und den aktuellen Preissteigerungen stehen viele Gemeinden aber mit dem Rücken zur Wand. Da wird es massive Unterstützung brauchen.
Jägersberger: Die Erhöhung der Förderung der thermischen Sanierung war ein ganz wesentlicher Schritt. Aber auch steuerliche Modelle könnten wesentlich dazu beitragen, den Konjunkturmotor Bau am Laufen zu halten.
Krammer: Es geht nicht um Subventionen, sondern um Anreize, die Wirtschaft am Laufen zu halten.
Die Gesprächspartner
...zum Thema Fachkräfte
Peter Krammer: Der studierte Bauingenieur war von 2010 bis 2022 im Vorstand der Strabag. Mit Anfang 2023 wechselte er in den Vorstand der Swietelsky, wo er im April die Nachfolge von Karl Weidlinger als Vorstandsvorsitzender übernehmen wird. Seit 2020 ist Krammer Branchensprecher der österreichischen Bauindustrie.
Josef Muchitsch: Der gelernte Maurer ist seit 2012 Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Bau-Holz, seit 2017 Mitglied im Weltrat der Bau-Holz-Internationale und soll im Juni zum Vorsitzenden der Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen gewählt werden.
Robert Jägersberger: Der Baumeister ist seit 1998 Geschäftsführer der Jägersberger Unternehmen. Er war Landesinnungsmeister NÖ bevor er Ende 2020 Hans-Werner Frömmel als Obmann der Bundesinnung Bau nachfolgte. Weiters ist er auch als Obmann-Stellvertreter der Sparte Gewerbe und Handwerk der Wirtschaftskammer NÖ aktiv.
(Bilder: OeGB, Wilke - Das Fotostudio)