Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report erklärt Gernot Tritthart, Sales & Marketingdirektor Lafarge Österreich, wie die nächsten Schritte zu einer echten Kreislaufwirtschaft aussehen, wie Lafarge das CO2 aus Zement und Beton bekommen will und welche konkreten Forderungen er an die Politik hat. Kleiner Spoiler: Es geht um Flächenwidmung und ein de facto Bauverbot für nicht nachhaltige Systeme.
Auch wenn die österreichische Zementindustrie im internationalen Vergleich sehr gut dasteht, gilt sie doch als Klimasünder und CO2-Schleuder. Was tut Lafarge um von diesem Image, das ja auch nicht unberechtigt ist, wegzukommen?
Gernot Tritthart: Im wesentlichen sind es zwei konkrete Maßnahmen. Da ist zum einen die Technik. Wie geht man mit dem Produkt um, wie mit den Rohstoffen und der Anwendung? Es ist klar, dass wir im Prozess eine CO2-Emission haben. Das ist naturgegeben, weil wir Kalkstein entsäuern. Es ist wahnsinnig schwierig, reines Calciumoxid zu finden. Das bekommt man eigentlich nur über Recycling, womit wir auch beim Thema Kreislaufwirtschaft sind. Da sind wir schon sehr stark, werden aber noch besser werden.
Beim Zement selber geht es darum, den Klinker zu reduzieren, obwohl er der »Kraftstoff« des Produkts ist. Da geht es um Mahltechnologien und Veredelung von Alternativstoffen. Wir geben CO2 ja nicht nur ab, sondern können es auch wieder einbinden. Da beginnen sich völlig neue Ideen zu entwickeln. Wir kennen das Konzept von Carbon Capture & Utilization CCU, das sich bei uns etwa im Projekt C2PAT niederschlägt. Das geht aber auch in kleinerem Maßstab, in Form von Mini-CCUs. Es gibt Stoffe, die hungrig sind nach CO2, die versuchen wir in unseren Aggregaten zu verwenden.
Was genau ist darunter zu verstehen?
Tritthart: Es gibt Stoffe, die aus der Kreislaufwirtschaft zurückkommen und CO2 aufnehmen. Die versuchen wir zu veredeln und wieder in den Zement zu integrieren. Das ist enorm spannend. Damit haben wir ein absolutes Alleinstellungsmerkmal in der Zementindustrie. Wir arbeiten auch an einem Patent zur Schnellkarbonatisierung von Stoffen, die von außen kommen und dem Zement zugeführt werden.
Wie soll der Klinker im Zement reduziert werden ohne die Leistungsfähigkeit negativ zu beeinflussen?
Tritthart: Es haben viele Kunden tatsächlich Sorge, dass neue Bindemittel langsamer sind und sich die Ausschalzeiten verlängern. Mit neuen Mahltechnologien gelingt es uns, die Leistungsfähigkeit zu erhalten. Das bedeutet nicht, dass wir den Status quo des Bauens erhalten wollen, sondern wir müssen auch das Bauen selbst überdenken, die Konstruktion. Das geht auch in Richtung Multifunktionalität, Stichwort Bauteilaktivierung. Plakativ gesagt, können wir mit zwei Euro pro Quadratmeter und Jahr heizen und kühlen. Da geht es nicht mehr um den Baustoff Beton, sondern um Lösungen.
Kann damit das Bild von Zement und Beton in der Öffentlichkeit verbessert werden?
Tritthart: Nur an neuen Technologien und Produkten zu arbeiten, ist zu wenig. Es geht auch um Marketing, Promotion und Kommunikation. Holcim ist da in den letzten Jahren einiges gelungen. Es wird uns geglaubt, dass wir wissenschaftsbasiert an neuen, nachhaltigen Lösungen arbeiten. Das ist unglaublich wichtig. Das sehen wir auch in Österreich. Berthold Kren hat Lafarge 2020 übernommen und ist sehr transparent in die Öffentlichkeit gegangen. Wir zeigen, wo wir hin wollen und wie das gelingen soll. Das Bild in der breiten Öffentlichkeit ist wichtig, es muss uns aber vor allem gelingen, die Entscheidungsträger zu erreichen und die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass etwa bei Umweltproduktdeklarationen oder Gebäudezertifizierungen faktenbasierte, neutrale und faire Entscheidungen getroffen werden.
Ist es nicht trotzdem frustrierend, wenn in Publikumsmedien alle paar Wochen von den »Betonierern« die Rede ist und jede Bodenversiegelung mit Ihrem Baustoff in Verbindung gebracht wird?
Tritthart: Es ist nicht frustrierend, sondern Ansporn. Mir ist vollkommen bewusst, dass noch viel Arbeit vor uns liegt. Aber nicht nur vor unserer Branche. Der Klimawandel erfordert von uns als Gesellschaft zwei ganz konkrete Maßnahmen. Zum einen muss jegliche Verbrennung vermieden werden, zum anderen müssen wir die CO2-Konzentration in der Atmosphäre reduzieren. Für die Zementbranche bedeutet das entweder, die Öfen so weit wie möglich runterzufahren oder das CO2 im Kreislauf zu nutzen. Wir werden den Punkt erreichen, wo unser Baustoff technisch betrachtet CO2-neutral ist, weil Beton auch eine CO2-Senke ist. Und dieser Tag wird bald kommen. Dann wird auch ein Ruck durch die Gesellschaft gehen.
Seit 1990 sind 440 Millionen Hektar Waldfläche verloren gegangen. Wer behauptet, das sei eine nachhaltige Entwicklung oder die Substitution von Beton durch Holz sei nachhaltig, hat von Physik und Chemie keine Ahnung. Jeder Baustoff hat seine Berechtigung und ist so intelligent wie er eingesetzt wird. Die Bodenversiegelung ist eine Frage der Raumplanung, nicht des Baustoffes. Deshalb sollte man schon darüber nachdenken, die Flächenwidmung in die Hände von Profis zu legen.
»Ich fordere von der Politik, nur dann bauen zu lassen, wenn nachhaltige Bausysteme zum Einsatz kommen«, lehnt sich Gernot Tritthart ein Stück weit aus dem Fenster.
CO2-reduzierte Zemente gab es schon in der Vergangenheit, meist war ihnen wenig Erfolg beschieden. Ist erst jetzt die Zeit reif dafür? Sind die Konsumenten auch bereit, dafür zu zahlen?
Tritthart: Da muss man auch uns als Industrie in die Pflicht nehmen. Ich glaube, dass wir erst jetzt dazu bereit sind, die Produkte mit Nachdruck und Glaubwürdigkeit in den Markt bringen. Wir mussten auch erst die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Produkte funktionieren, Stichwort: separate Mahlung. Das ist enorm kapitalintensiv wie man an der neuen vertikalen Rohmühle in Mannersdorf sieht. Wir haben 20 Millionen Euro investiert, um bei gleichbleibender Performance den Klinkergehalt zu reduzieren. 2023 wird die Hauptsorte der Lafarge Zementwerke zu 95 Prozent in eine neue Zementsorte umgewandelt, die letztlich bei der Verwendung im Beton um etwa zwölf Prozent weniger CO2 verursacht. Das wird von den Kunden auch angenommen, weil sich das Bewusstsein in der gesamten Prozesskette verändert hat. Damit geben wir unseren Kunden Argumente in die Hand, mit denen auch sie bei ihren Kunden punkten können.
Mit dem naBe gibt es auch ein Instrument, die öffentliche Beschaffung nachhaltiger zu gestalten. Ist der naBe ausreichend? Wo braucht es aus Sicht der Zementindustrie Nachschärfungen?
Tritthart: Der Ansatz ist richtig, aber noch nicht ausreichend. Aus meiner Sicht muss man früher ansetzen, beim Bauherrn, bei der Idee, etwas zu bauen. Der Bauherr ist umgeben von nachhaltigen Bausystemen. Wenn man Fragen der Finanzierung mit Nachhaltigkeitskriterien über den gesamten Lebenszyklus verbindet, ist man auf dem richtigen Weg. Man darf nicht nur den Baustoff betrachten sondern muss auch die Auswirkungen des Baustoffs auf den Lebenszyklus berücksichtigen. Die EU-Taxonomie ist dafür ein wichtiges Instrument. Ich fordere von der Politik, nur dann bauen zu lassen, wenn nachhaltige Bausysteme zum Einsatz kommen.
Der Streit, was nachhaltige Bausysteme sind, wäre aufgelegt.
Tritthart: Ja, aber wir haben heute schon sehr gute, internationale Systeme wie DGNB, Leed oder BREEAM. Damit kann man arbeiten. Ich bin aber kein Freund von lokalen Systemen, die oft sehr lobbygetrieben sind. Das alles soll nicht nur für den naBe gelten, sondern bis hinunter zum Einfamilienhaus. Wir dürfen in Zukunft Ressourcen nicht mehr in der Form verschwenden, wie wir es heute tun.
Wie geht Lafarge in die nächsten Monate? Neue Aufträge werden meines Wissens angesichts der enormen Kosten gar nicht mehr angenommen? Können bestehende Kunden bedient werden? Zu welchem Preis?
Tritthart: Wir haben aktuell eine absolute Ausnahmesituation, die man nicht generalisieren darf. Die Strompreiserhöhungen haben uns überrollt. Deshalb müssen wir sparsam sein. Wir haben dem Markt signalisiert, ein wenig Tempo aus dem Bauen zu nehmen. Man muss auch dort, wo es möglich ist, über Verschiebungen nachdenken bis sich hoffentlich die gesamte Situation wieder etwas beruhigt hat. Gerade bei Großbaustellen würden wir uns Anpassungen wünschen. Wir haben auch bereits gute Gespräche geführt, denn es ist allen klar, dass noch sehr spannende Monate wenn nicht Jahre vor uns liegen. Ganz allgemein gilt, wenn wir glauben, dass wir so weitermachen können wir bisher, werden wir noch sehr lange in stürmischen Zeiten leben. Und irgendwann droht auch der Kollaps.
(Bilder: Lafarge)