Mittwoch, November 20, 2024

Ob eine Wirtschaftstätigkeit als ökologisch nachhaltig einzustufen ist, definiert unter anderem die Taxonomie-Verordnung. Einen wichtigen Beitrag zu nachhaltigerem und gesünderem Bauen können die Hersteller bauchemischer Produkte leisten. 

Vor 20 Jahren waren emissionsarme Klebstoffe und Wandfarben die absolute Ausnahme am Baumarkt, die Chemie-Ampel stand auf Rot, heute sind sie eine Selbstverständlichkeit. Entwick­ler*innen und Chemiker*innen arbeiten mit Erfolg daran, weitere alternative Materialien und Produktkombinationen zu finden – nicht nur für den Neubau, sondern v. a. für Bestandsgebäude und deren Sanierung. Die Ampel hat auf Grün gewechselt.

»Bei der Entwicklung nachhaltiger Lösungen spielen bauchemische Fragestellungen eine große Rolle. Am OFI forschen wir z. B. zur Wiederverwertung vorhandener Baustoffe und zum Einsatz von Photovoltaik«, betont CEO Michael Balak. Thomas Belazzi, Geschäftsführer bauXund, selbst Chemiker, verweist auf zahlreiche Beispiele, wo mit biogenen Quellen gearbeitet wird, z. B. Linoleum, das aus Leinöl, Baumharzen und Jute besteht. »Ein praktisches Beispiel in unserer täglichen Arbeit ist der Einsatz von Schalöl, das in der Ortbetonbauweise verwendet wird, um das Anhaften von Beton an Schaltafeln zu verhindern.«

»Bei der Entwicklung nachhaltiger Lösungen spielen bauchemische Fragestellungen eine große Rolle. Am OFI forschen wir z. B. zur Wiederverwertung vorhandener Baustoffe und zum Einsatz von Photovoltaik«, so Michael Balak. (Bild: OFI/Michael Pyerin)

Die Standardlösung ist ein petrochemisches Schalöl. Bei bauXund-Projekten wird seit zwei Jahren mit Schalölen gearbeitet, die biogenen Ursprungs sind und aus Raps- und Knochenölen bestehen. »Das Himberger Unternehmen mapo beweist, dass es heute möglich ist, marktfähige, das heißt technisch mindestens gleichwertige und preislich konkurrenzfähige Produkte aus nicht-fossilen Rohstoffen anzubieten.« Damit erhält Bauchemie eine andere Ökobilanz als jene auf Basis von Erdöl aus Kasachstan oder Libyen und entspricht damit den Zielen der EU-Taxonomie. Ziel der Forschung ist die Produktion hochwertiger Produkte, die langlebig und wiederverwendbar sind – fit für »cradle to cradle«.

»Der Klimawandel fordert, wertvolle Ressourcen sparsam zu nutzen«, betont Gunther Sames. Es braucht Systeme, die einfach zu verarbeiten, emissionsarm und lange haltbar sind. (Bild: Pletterbauer)

Auch Kreislaufwirtschaft ist ein Punkt der Taxonomie. Bei verklebten Materialien ist die Trennbarkeit gleich Null. »Manche Befestigungen können verdübelt oder verschraubt werden«, betont Thomas Belazzi und nennt als ein positives Beispiel das Klettverschlusssystem StoSystain von STO. Mit diesem Prinzip werden mehrschichtige Vollwärmeschutz-Fassadenaufbauten trennbar gemacht. Solche Klebealternativen zu finden, wird künftig zur Aufgabe der chemischen Industrie gehören.

Bauchemische Zukunft in der Taxonomie

Die EU-Taxonomie wird sich laut Wolfgang Lengauer, Verkaufsleiter Bautenschutz bei Avenarius Agro, mit Sicherheit auf die Bauchemie auswirken, in welchem Ausmaß sei noch nicht ganz absehbar. »Viele Rohstoffe, die wir für unsere Spezialprodukte v. a. im Epoxidharzbereich benötigen, beziehen wir aus dem ostasiatischen Raum, da sie in Europa nicht produziert werden.« Momentan gebe es sehr große Turbulenzen am Beschaffungsmarkt. Wie sich das künftig entwickeln wird, erwartet er mit Spannung. Er vermutet die eine oder andere Änderung im Produktsortiment.

Andreas Wolf, Geschäftsführer von Mapei, sieht eine starke Trendwende bei zementären Produkten. »Wir sind stark in der Forschung engagiert, die generell in Richtung CO2-sparender Substitute geht.« Derzeit laufe ein Projekt mit smart Minerals, das Alternativen zu Zement erarbeitet. Erste marktfähige Produkte erwartet Wolf Anfang 2023. Fest steht: Für Formaldehyd und z. B. VOCs sind Grenzwerte festgesetzt, egal ob es sich um Holzwerkstoffe, Dämmstoffe, Farben, Lacke, Bodenbeläge oder Klebstoffe handelt. Das wird laut Thomas Belazzi zu mehr Produktprüfungen und damit mehr Produkt-Know-how führen. »Vor 20 Jahren wurde mit Emissionsprüfungen begonnen. Damals gab es viele Aha-Erlebnisse, weil Schadstoffe nachgewiesen wurden, wo man gar keine vermutete.« 

Grüne Schiene

Bauchemie verlängert entscheidend die Lebens- und Nutzungsdauer von Bauwerken, Baustoffe werden dauerhafter und effizienter, widerstandsfähiger gegen aggressive Umweltbedingungen sowie ergiebiger. »Weniger Material heißt auch weniger Handling, Transport und Verpackungsmüll auf der Baustelle«, erklärt Gunther Sames, Geschäftsführer von Ardex. Bauchemische Produkte werden zudem immer anwenderfreundlicher und schneller. »Bauzeiten werden verkürzt, das wirkt sich positiv auf das Baubudget aus«, ergänzt Wolfgang Lengauer und verweist auf den zunehmenden Einsatz von Recyclingrohstoffen und -gebinden.

»Der Klimawandel fordert, wertvolle Ressourcen sparsam zu nutzen«, betont Gunther Sames. Es braucht Systeme, die einfach zu verarbeiten, emissionsarm und lange haltbar sind. (Bild: Ardex)

In der Forschung an neuen umweltfreundlichen Betonrezepturen arbeitet die TU Graz gemeinsam mit der Chemiepraxis. »Wenn Bauen mit Beton nachhaltiger und klimafreundlicher gestaltet werden soll, müssen wir an neuen Rezepturen arbeiten und gleichzeitig Beton gezielter und smarter einsetzen« betont Florian Mittermayr, Leiter des Labors für Bauchemie an der TU Graz. Derzeit läuft eine große Forschungsinitia­tive zu Spritzbeton. Da wird extrem viel Bauchemie eingesetzt, wesentlich mehr als bei allen anderen Betonen. Auch bei Ardex steht die Forschungsampel auf Grün. »Entwickelt werden Produkte mit einem hohen Anteil nachwachsender Rohstoffe, einem geringen CO2-Ausstoß bei der Produktion und einer reduzierten Schadstoffemission nach der Verarbeitung«, berichtet Geschäftsführer Gunther Sames und nennt die Wandspachtelmasse Ardex A 828 Comfort als eines dieser Produkte.

Bauchemie verlängert die Nutzungsdauer von Bauteilen und Gebäuden und trägt damit zur Nachhaltigkeit im Bauwesen bei. (Bild: Pressebüro Legat)

Kriterien an Nachhaltigkeit erfüllt auch EFC, der erste zementfreie Beton, entwickelt von der MC-Bauchemie und der australischen Firma Wagners. Damit kann der CO2-Ausstoß im Vergleich zu klassischem Beton um bis zu 70 Prozent reduziert werden. Neue Betonrezepturen hat auch Perlmooser Beton in den letzten Jahren entwickelt. »Mit ECOPact bieten wir eine 30-prozentige CO2-Reduktion gegenüber Standardbeton/m3 durch Verwendung von klinkerreduzierten Bindemittel-Konzepten und rezyklierter Gesteinskörnung«, beschreibt Michael Piller, technischer Leiter, das Konzept. »Derzeit arbeiten wir an einer Betonrezeptur, bei der der CO2-Gehalt um bis zu 50 Prozent gegenüber Standardbeton/m3 reduziert werden soll.« 


Arena del Futuro

Auf der Forschungsarbeit von Mapei beruht das innovative Straßenbelagssystem der Arena del Futuro. Ein Spulensystem unter dem Asphalt ermöglicht das Aufladen der Batterien von Elektrofahrzeugen, während diese in speziellen Fahrspuren unterwegs sind. »Wir haben eine Technologie entwickelt, mit denen wir die Straßenbelagsschichten, in denen die magnetischen Induktionsspulen untergebracht sind, langlebiger und kompatibel mit den örtlichen Störfestigkeitsanforderungen gestalten konnten«, erklärt Geschäftsführer Andreas Wolf.

Das Straßenbelagssystem der »Arena del Futuro« enthält u. a. Spezialmörtel für die Induktionsstrahler, eine modifizierte Bitumenbahn und einen speziellen Untergrundmörtel zur Einbettung der Kabel und Steuergeräte. (Bild: Mapei)


Umweltziele der EU-Taxonomie Verordnung

Die Taxonomie-Verordnung trat im Juli 2020 in Kraft und gibt die Rahmenstruktur der Taxonomie vor. Als wichtigste Grundlage der Nachhaltigkeits-Einstufung definiert sie sechs Umweltziele:

1. Klimaschutz
2. Anpassung an den Klimawandel
3. Nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen
4. Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft
5. Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung
6. Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme


Schaumbeton

Ein Spezialgebiet des Instituts für Tragwerksentwurf an der TU Graz ist geschäumter Beton. Dabei werden mittels Proteinschaum Luftblasen eingebracht und stabilisiert, was den Materialeinsatz erheblich reduziert und dem Beton bessere Wärmedämmeigenschaften verleiht. Produziert wurde der Beton erstmals via 3D-Drucker.

Infos zum Projekt »Schaumbeton« der TU Graz finden Sie hier: ITE - COEBRO (tugraz.at)

(Bild: Robert Schmidt/ ITE/ TU Graz)

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