Dienstag, November 19, 2024

»Das Risiko, an gesellschaftlichen Strömungen vorbei zu entwickeln, ist heute schon sehr groß«, sagt Matthias Ortner, Partner bei der Advicum Consulting GmbH, im Interview mit dem Bau & Immobilien Report. Außerdem erklärt er, warum es ohne Digitalisierung keine nachhaltigen Immobilien geben kann und worauf Immobilienentwickler aktuell besonders achten. 


Report: Um die europäischen Klimaziele zu erreichen, muss sich auch in der Bau- und Immobilienwirtschaft einiges tun. Sie haben kürzlich eine Analyse veröffentlicht, wonach die Digitalisierung als Wegbereiter für Nachhaltigkeit fungieren muss. Inwiefern?

Matthias Ortner: Wir haben uns intensiv mit dem Thema nachhaltige Immobilien beschäftigt und sind immer zu dem selben Schluss gekommen. Eine Immobilie muss den Status eines Autos erreichen. Sie muss in Hinblick auf ihre Verbräuche absolut transparent und gläsern werden. Es gibt immer noch Neubauten, die nicht in der Lage sind, ordentlich zu reporten. Aber selbst wenn alle möglichen Daten gesammelt werden, fehlt oft die Möglichkeit einer sinnvollen Auswertung und vor allem Verknüpfung. Und da reden wir noch gar nicht von Gründerzeit- oder noch älteren Häusern. Eine nachhaltige Immobilie ist ohne Datentransparenz illusorisch. 

Report: Sensoren sind ja gerade in Neubauten genug installiert. Geht es also in erster Linie um das richtige Datenmanagement? Wo muss man den Hebel ansetzen?

Ortner: Es sind tatsächlich viele Sensoren verpackt, aber das sind fast alles Insellösungen. Die EU-Taxonomie wird jetzt aber für ordentlichen Druck sorgen. Ohne Reporting wird es in Zukunft nicht gehen.

Jetzt geht es darum, Datenbanken zu schaffen, die durch Verknüpfung einen echten Mehrwert bieten. Das kann ein riesiges Geschäftsfeld für IT-Unternehmen werden. Ein Anreiz für die Dateneinspielung könnte die Möglichkeit sein, andere Daten zu nutzen, eine echte Win-Win-Situation. Schwierig wird es im Sinne der DSGVO dort, wo es um Nutzerverhalten geht. Da muss man vorsichtig sein. Aber soweit muss man gar nicht gehen. Es reicht auch nicht-personenbezogene Daten auszuwerten und miteinander zu verknüpfen. Damit kann man Muster erkennen, die eine Immobilie erzeugt. Aus diesen Informationen können völlig neue Geschäftsmodelle entstehen. 

Report: Welche Rolle kann und muss hier BIM spielen? In der Planung und Ausführung hat BIM ja schon mehr oder weniger einen Fixplatz. Müsste der digitale Zwilling auch für den Betrieb zur Verfügung stehen?

Ortner: Auf jeden Fall. Ohne digitalen Zwilling wird es nicht gehen. Ich bin aber der Meinung, dass BIM noch viel zu wenig genutzt wird. Auch dort, wo es zum Einsatz kommt, werden die Potenziale nicht ausgeschöpft. Die technischen Voraussetzungen, um über den gesamten Lebenszyklus einer Immobilie ein echtes Datenmanagement zu haben, sind über den digitalen Zwilling gegeben. Das organisatorisch in die Betriebe zu bekommen, ist schon heikler. Am schwierigsten ist es aber, die Vorteile von BIM und einem echten Datenmanagement in den Köpfen der Verantwortlichen zu verankern. Da stehen wir noch ganz am Anfang.

Report: Der effiziente Betrieb stand bei der Errichtung bislang nicht zwingend im Fokus. Ändert sich das jetzt langsam? Viele Fonds oder auch Nutzer schauen doch verstärkt auf die Daten eines Gebäudes?

Ortner: Ja, da passiert tatsächlich etwas. Ich würde sagen, wir stehen an der Startlinie. Bei Immobilien, die 2023 oder 2024 fertig werden, schauen Developer schon sehr genau darauf, dass sie reportingfähig sind und der EU-Taxonomie entsprechen. Bei diesen Gebäuden spielt die Digitalisierung eine zentrale Rolle. Aber Druck kommt nicht nur von regulatorischer Seite, sondern eben auch von institutionellen Investoren, die immer öfter dazu übergehen, nachhaltige Fonds anzulegen. Der Trend Richtung ESG ist gewaltig. Auch wenn das Thema aktuell durch den Ukraine-Krieg und die Energiekrise etwas an Bedeutung verloren hat, weil das Hemd einfach näher ist als der Rock. 
Allerdings kann die aktuelle Krise auch ein echter Treiber in Richtung Energieeffizienz sein. 

Report: Sehen Sie an Projekten, die jetzt in der Planung sind, schon die Auswirkungen der Krise? Spielt das Energiethema eine größere Rolle?

Ortner: Ja, auf jeden Fall. Wenn ich heute mit Projektentwicklern über künftige Projekte spreche, ist das ein absolutes Muss. Es gibt ja auch schon Studien, dass eine nicht-nachhaltige Immobilie in der Bewertung bis zu zwölf Prozent verlieren kann. Für einen Fondsmanager, der einen 100-Millionen-Turm kauft, ist das dann kein Kleinigkeit mehr. Da kann es auch passieren, dass Immobilien nicht mehr mittels Forward Purchase finanzierbar sind. Bei immer mehr Banken gibt es auch Abschläge in der Finanzierung, wenn gewisse Kennzahlen nicht erreicht werden.

Report: Wie gut ist die österreichische Immobilienbranche auf diese Entwicklung vorbereitet? Wie können Unternehmen daraus auch Kapital schlagen?

Ortner: Da muss man unterscheiden zwischen Wohn- und Gewerbeimmobilien. Bei Gewerbeimmobilien werden die Verbrauchsdaten in Verbindung mit der Nutzerqualität eine zentrale Rolle spielen. Bei Wohnimmobilien wird auch in Zukunft die Lage sehr entscheidend sein. Die Auswahl der Immobilie nach Nachhaltigkeitskriterien muss man sich auch leisten können. Da stehen eher die Kosten für Heizung und Kühlung im Vordergrund. 

Report: Wenn Sie mit Projektentwicklern sprechen: Haben Sie den Eindruck, dass aktuell das Geschäft noch Spaß macht? Mit der Coronakrise kamen klassische Büroimmobilien unter Druck, jetzt folgt die Energiekrise durch den Ukraine-Krieg. Das macht die Immobilienentwicklung, die ja eine gewisse Vorlaufzeit benötigt, doch extrem schwierig.

Ortner: Es ist richtig, dass wir aktuell eine Dynamik haben, die es in dieser Form lange nicht gab. Vielleicht noch die Bankenkrise, aber selbst die war weniger allumfassend. Ob das wirklich aktuell Spaß macht, bezweifle ich. Man braucht in der aktuellen Situation sicher viel Leidenschaft, um dem Geschäft treu zu bleiben. Und selten war eine gewisse Prognosefähigkeit so wichtig wie heute. Das Risiko, an gesellschaftlichen Strömungen vorbei zu entwickeln, ist heute schon sehr groß.

Das noch größere Problem sind aktuell aber die davongaloppierenden Baukosten. Das hat man auch auf der MIPIM in Cannes gesehen. Da wurde kein Thema so intensiv diskutiert wie die Finanzierung.


Über Advicum

Die Advicum Consulting GmbH ist ein eigentümergeführtes österreichisches Beratungs- und Investmentunternehmen, das über umfassende Erfahrungen in der Consulting- und Finanzdienstleistungsbranche verfügt. Das Unternehmen ist spezialisiert auf Transformationsmanagement, also die Veränderung von Strategien, Strukturen, Abläufen, Denk- und Handlungsmustern in einem Unternehmen, um dieses deutlich wettbewerbsfähiger und erfolgreicher zu machen.

Die Verknüpfung von »Old & New Economy« und die adäquate Auswahl und Implementierung neuester Lösungsansätze aus den Bereichen der Digitalisierung und Automatisierung in den Transformationsprozess bilden die Basis der unternehmerischen Arbeit von Advicum. Die Partner Daniel Knuchel und Matthias Ortner haben sich mit Advicum auf die Branchenschwerpunkte Immobilienwirtschaft, Industrie, Handel und den öffentlichen Sektor konzentriert.

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