Für Allianzprojekte wird als Voraussetzung für die Durchführbarkeit eine gemeinsame »Projektkultur« gefordert. Hinter dieser populären Forderung stehen komplexe Herausforderungen in der Umsetzung. Was unter Projektkultur bei Bauprojekten zu verstehen ist und welche Punkte bei der Umsetzung eines Allianzprojektes zu berücksichtigen sind. Teil 2 der Serie: »Allianzprojekte«.
Eingrenzung des Begriffes »Projektkultur«
Unter dem Sammelbegriff der Kultur wird eine Vielfalt von Verhaltensweisen verstanden, die allgemein positiv besetzt sind und grob zusammengefasst als »gutes Benehmen« in Verbindung mit einem gewissen Maß an Bildung verstanden werden. Im Zusammenhang mit Bauprojekten ist es allerdings relativ unerheblich, ob eine Serviette nach dem Essen zusammengefaltet oder -geknüllt auf den Teller gelegt wird. Und auch wenn es Ingenieuren nicht schadet, sich auch in anderen Wissenschaften als der Technik ein wenig auszukennen – notwendig ist dieses Wissen für das Bauprojekt nicht. Was also soll »Projektkultur« sein?
Robert House definiert den Begriff der Kultur als »gemeinsame Motive, Werte, Überzeugungen, Identitäten und Interpretationen oder Bedeutungen signifikanter Ereignisse, die sich aus den gemeinsamen Erfahrungen der Mitglieder von Organisationen oder Gesellschaften ergeben und über Generationen hinweg weitergegeben werden«. Die Berufserfahrenen kennen das: man begegnet sich im Bauwesen immer wieder. Ein zufriedener Auftraggeber wird gerne wieder mit dieser Firma oder mit bestimmten Mitarbeitenden arbeiten, eben aufgrund der »gemeinsamen Erfahrungen«.
Allerdings sind andere von House genannte Gemeinsamkeiten eher zufällig, selten bewusst ausgesprochen und so gut wie nie gemeinsam erarbeitet worden. Das heißt, dass bisher eine »gute Projektkultur« ein Zufallsprodukt ist. Und die Forderung nach ebendieser bleibt solange zufällig, wie wir uns weiterhin nicht bewusst damit beschäftigen.
Unbekannte Unternehmenskultur
Jeder Mensch bringt unwillkürlich seine persönlichen Werte, Überzeugungen und seine Identität in das Unternehmen ein. Wesentlich für die Unternehmenskultur ist auch das Verhalten der Führungskräfte. Schließlich wurden in den vergangenen Jahren in den meisten Unternehmen ethische Grundsätze und eine Unternehmensphilosophie definiert. Aus diesen Zutaten entsteht mit der Zeit die unternehmensspezifische Organisationskultur.
In jedem Unternehmen gibt es ungeschriebene und oft auch unbewusste Regeln zum richtigen Verhalten bei Machtfragen, Entscheidungsbefugnissen und der Übernahme von Verantwortung. Ebenfalls zur Unternehmenskultur gehört das Wir-Gefühl. Wenn Mitarbeitende sich mit »ihrem« Unternehmen positiv identifizieren können, werden sie das Bedürfnis haben, primär zum Wohle des eigenen Unternehmens tätig zu sein. Die sich daraus ergebenden Interessenskonflikte sind klassische Ursachen für Konflikte in Bauprojekten.
Die Interessenskonflikte sind in der Baubranche hinlänglich bekannt. Deshalb wird in Projektallianzen gefordert, dass die Teammitglieder sich zuerst dem Projekt zugehörig fühlen und erst danach dem eigenen Arbeitgeber. Das erfordert erhebliche Anpassungen innerhalb der einzelnen Unternehmen und ein Umdenken der einzelnen Mitarbeitenden. Ziel sollte es sein, aus den Organisationskulturen der einzelnen Beteiligten eine gemeinsame Projektkultur zu schaffen.
Von der Organisationskultur zur Projektkultur
Eine Herausforderung dabei ist, dass jedes Allianzmitglied fast gezwungenermaßen seine Organisationskultur mit in die Allianz trägt. Der US-amerikanische Sozialwissenschaftler Edgar H. Schein gilt als Mitbegründer der Organisationspsychologie und Organisationsentwicklung. Im Rahmen der Organisationskultur unterscheidet er zwischen drei Ebenen: (1) den Artefakten und Schöpfungen, (2) den Einstellungen, Werten und Normen sowie (3) den Grundannahmen.
Die erste Kulturebene »Artefakte und Schöpfungen« ist am einfachsten beobachtbar. Sie beschreibt die für eine außenstehende Person sichtbaren Merkmale: Arbeitsräume und verwendete Technologie, Gebrauchsgegenstände, das Verhalten der Mitarbeitenden. Sie geben einen unmittelbaren (ersten) Eindruck von einer Organisation und zeigen, wie sich diese nach außen darstellt.
Die zweite Kulturebene »Einstellungen, Werte, Normen« umfasst für die außenstehende Person nicht direkt beobachtbare Merkmale. Sie ist u. a. erschließbar über die nach außen vertretenen Organisationsziele. Die dritte Ebene »Grundannahmen« beschreibt Unbewusstes. Sie sind als »Selbstverständlichkeiten« in der Regel nicht bewusst und können nicht direkt beeinflusst werden. Sie sind geprägt von den Überzeugungen, Werten und Annahmen der Auftraggeber, den Lernerfahrungen des Unternehmens und seiner Mitarbeitenden, sowie den geteilten Überzeugungen und Werten in der jeweiligen nationalen Kultur.
Wie treibe ich eine gemeinsame Kultur in der Projektallianz voran?
Wie eingangs erwähnt, haben die unterschiedlichen in einer Projektallianz gemeinsam arbeitenden Beteiligten nicht nur individuelle Unternehmensinteressen, sondern sie bringen auch ihre jeweilige Unternehmenskultur mit ins Projekt. Ziel der Definitionsphase von Projektallianzen muss es daher sein, eine gemeinsame Projektkultur zu entwickeln. Hier kann zunächst an der ersten Kulturebene angesetzt werden:
Umsetzung der Ebene 1: Artefakte und Schöpfungen:
Wo und mit welcher Hardware das Projektteam arbeitet, hat wesentlichen Einfluss auf das gemeinsame Arbeitserlebnis. Damit fördert die Einrichtung eines Co-Working-Spaces oder Big Rooms nicht nur die direkte Kommunikation, sondern auch die Identifikation der Beteiligten mit dem Projekt. In Zeiten von vermehrter Heimarbeit und Videokonferenzen muss diese Ebene bewusst berücksichtigt werden. Gerade wenn viele Teammitglieder oft nicht vor Ort sind, sind gemeinsame Termine wie ein monatliches persönliches Treffen wichtig. Es hat sich vielfach gezeigt, dass hier das gemeinsame Mittagessen erheblich mehr zum Wir-Gefühl beiträgt als die Arbeitsbesprechung.
Auch die gemeinsam eingesetzte Technologie spielt hier eine häufig unterschätze Rolle. In Allianzprojekten wird vertraglich eine »kollaborative Arbeitsweise« gefordert, BIM- und Lean-Methoden als selbstverständlich vorausgesetzt. Auch hier steckt der Teufel im Detail. Unter dem Begriff der »kollaborativen Arbeitsweisen« verbirgt sich eine Vielzahl von Arbeitsweisen, die selten bis nie den Mitarbeitenden bekannt sind. Hinter der Abkürzung »BIM« verbirgt sich ein mächtiges Werkzeug, das aber wie jedes Werkzeug nur dann wirksam werden kann, wenn es richtig eingesetzt wird.
Eine gemeinsame Technologie muss vom Team gemeinsam eingesetzt werden und zwar in dem Sinne, dass von Anfang an die Randbedingungen gemeinsam entschieden und dann das Werkzeug gemeinsam dementsprechend eingesetzt wird. Das erfordert viel Abstimmungsarbeit, ein hohes Maß an Geduld und kommunikativem Geschick und die Bereitschaft aller, sich immer wieder zu einer gemeinsamen Entscheidung hinzuarbeiten. In Allianzprojekten geht es um die Einstimmigkeit durch Überzeugung statt durch Machtausübung.
Um die Identifikation der Einzelnen mit dem Projekt zu fördern, wird gerne auch ein spezifischer Projektname entwickelt oder ein gemeinsames Projektlogo entworfen. Als Beispiel hierfür kann das erste deutsche Pilotprojekt von öffentlicher Auftraggeberseite genannt werden: Das Projekt zur neuen Bahnbrücke Kattwyk der Hamburg Port Authority hat den Namen iPAK5 bekommen und ein Projektlogo wurde entwickelt.
Umsetzung der Ebene 2: Einstellungen, Werte und Normen
Die zweite Ebene kann durch das Entwickeln einer gemeinsamen Projektcharta beeinflusst werden. Im Rahmen von Workshops legt das Projektteam gemeinsame Zielsetzungen fest und wie diese umgesetzt werden sollen. Hier gilt es, die entscheidenden Grundsätze auch zu verankern. In jedem Projekt muss das Team von neuem definieren, wie sie die ›Best for project‹-Philosophie umsetzen wollen, um so die klassischen Interessenkonflikte zu vermeiden.
Auch das ›No blame, no dispute‹-Prinzip anstelle von Machtansprüchen findet nur Eingang in den Alltag, wenn das Team sich auf ein gemeinsames Vorgehen festlegt. Prozesse, die in einem Projekt gut funktioniert haben, müssen nicht automatisch auch im nächsten funktionieren. Deshalb ist es wesentlich, dass das Projektteam selber definiert, wie gemeinsame Entscheidungen herbeigeführt werden sollen.
Auch Sprache kann einen Unterschied machen. Im australischen Vorbild der Projektallianzen, dem Project Alliancing, wird zum Beispiel bewusst auf sprachliche Hierarchie verzichtet: Im Vertrag und der Projektcharta ist nicht von Auftraggebern und Auftragnehmern die Rede. Stattdessen wird von Owner- und Non-Owner-Organisationen gesprochen.
Umsetzung der Ebene 3: Grundannahmen
Die dritte Ebene »Grundannahmen« ist die Basis jeder nachhaltigen Projektkultur. Dafür muss sichergestellt werden, dass die Werte aus der Projektcharta auch gelebt werden und somit schließlich bis ins Unterbewusstsein durchdringen. Dafür wird gerne ein Allianzcoach hinzugezogen. Im Rahmen von Werte-Workshops setzen sich die Projektmitglieder intensiv mit ihren persönlichen Werten auseinander und finden zu einer gemeinsamen Basis aus Werten, Vereinbarungen und Grenzen.
Fazit
Wesentlich für eine funktionierende Projektkultur ist das Bewusstsein der Projektbeteiligten für unbewusstes Machtdenken. Denn nicht geklärte Machtansprüche sind einer der Hauptrisikofaktoren von Bauprojekten. Werden diese nicht gelöst, führen sie in den Konflikt. Ziel sollte es auch sein, die Fähigkeiten eines jeden Teammitglieds bestmöglich zu nutzen. Die Devise: Prinzipiell kann aus jeder noch so wild zusammengewürfelten Gruppe ein Team gemacht werden. Die Bedingung hierfür ist jedoch, dass die Teammitglieder offen dafür sind und Bereitschaft zeigen, an sich zu arbeiten.
(Bilder: iStock)
Projektkultur nach Robert House
»Gemeinsame Motive, Werte, Überzeugungen, Identitäten und Interpretationen oder Bedeutungen signifikanter Ereignisse, die sich aus den gemeinsamen Erfahrungen der Mitglieder von Organisationen oder Gesellschaften ergeben und über Generationen hinweg weitergegeben werden.«
Die Autorinnen
Barbara Nilkens ist Bauingenieurin, Kommunikationsexpertin und Inhaberin des gleichnamigen Ingenieurbüros für Baukommunikation. Ihr Ziel ist es, für gute Kommunikation im Bauwesen zu sorgen.
Ronja Weber ist Wirtschaftsingenieurin und Projektsteuererin. Sie ist spezialisiert auf die Bereiche agile Arbeitsmethoden und alternative Projektabwicklungsformen.
Weitere Infos: www.baukommunikation.com