Samstag, Dezember 21, 2024

Die enormen Preissteigerungen bei vielen Materialien und Baustoffen sorgen in der Branche für jede Menge Kopfzerbrechen. Die wirtschaftlichen Folgen können dramatisch sein – sowohl für Auftraggeber als auch Auftragnehmer. Ganz beseitigen lassen sich die Risiken angesichts der aktuellen Rahmenbedingungen nicht, befolgt man einige wichtige Regeln, können sie aber deutlich reduziert werden.


Die vor allem jüngst durch den Ukraine-Konflikt nochmals massiv angeheizten Materialpreissteigerungen von verschiedensten Materialen und Baustoffen (Stahl, Holz etc.) wirken wie ein schlimmes Déjà-vu. Schon mit dem Beginn der Coronapandemie, die viele Baustellen wie ein Schlag getroffen hat, kam es notgedrungen zur Auseinandersetzung, ob nun der Bauherr oder die ausführenden Unternehmen für Mehrkosten und Verzüge einstehen müssen.

Vernünftigerweise konnten in vielen Fällen faire Lösungen für ein »partnerschaftliches Weiterbauen« gefunden werden. Kaum wurden die Folgen der Coronapandemie auf Österreichs Baustellen halbwegs verdaut, sind Bauherrn und Bauunternehmer nun vor die nächste – wirtschaftlich noch gravierendere – Herausforderung gestellt. Und wieder stellt sich die Frage: Wer muss zahlen?

Vieles nicht vorhersehbar

Die Nachwehen der Coronakrise, die aktuell hohe Nachfrage am Baumarkt und der für Viele unerwartete Ukraine-Krieg treiben die Baupreise in teils schwindelerregende Höhen. Diese Entwicklung ist natürlich vor allem für Baustellen eine Herausforderung, bei denen die Vertragspreise bereits vor der Ukraine-Krise festgelegt wurden. Das Grundproblem: Die exorbitanten Preisentwicklungen waren schlichtweg nicht vorhersehbar und die ohnehin typischerweise schon knapp kalkulierten Einheits- oder Pauschalpreise berücksichtigen die zusätzlichen Kostenfaktoren nicht. Bei längerfristigen Verträgen kommt auch noch die wirtschaftliche Gefahr der allgemeinen Geldentwertung (Inflation) hinzu. 

»Wer muss zahlen?« – Ein grober Leitfaden mit den wichtigsten Fragen und Argumenten

Frage 1: Was steht im Vertrag?

Die wichtigste Frage ist wenig überraschend, ob dem Bauvertrag Festpreise oder veränderliche Preise zugrunde liegen.

Option 1: Im Vertrag sind Festpreise vereinbart: Die Vereinbarung von Festpreisen zeichnet sich dadurch aus, dass sowohl der AG (bei unerwarteten Preissenkungen), als auch der AN (bei unerwarteten Preissteigerungen) ein finanzielles Risiko trägt, das grundsätzlich mit einem Festpreiszuschlag zu berücksichtigen ist. Ziel der Vereinbarung von Festpreisen ist es, dass Kostenveränderungen zu keiner Entgeltanpassung führen sollen. Bei Festpreisverträgen ist die Ausgangslage für ausführende Unternehmen, gegenüber dem Bauherrn Mehrkosten zu fordern, daher deutlich schwieriger (aber nicht in jedem Fall unmöglich).

Option 2: Veränderliche Preise im Vertrag: Gleitpreisverträge sind üblicherweise an einen Index gebunden und die Preisumrechnung richtet sich in aller Regel nach der ÖNORM B2111. Doch auch bei Gleitpreisverträgen besteht die Möglichkeit, dass die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung der benötigten Materialien und Rohstoffe nicht in ausreichendem Umfang im Index widergespiegelt ist. Unter Umständen ist die relevante Kostenart im Warenkorb nicht enthalten oder einfach unterrepräsentiert.

Hier kann aus AN-Sicht unter Umständen mit einer ergänzenden Vertragsauslegung argumentiert werden, da es offenkundig der Wille der Parteien war, Veränderungen der Einkaufs- und Lieferantenpreise zu berücksichtigen. Man muss sich in solchen Fällen rechtlich die Frage stellen, welche vertragliche Regelung redliche und vernünftige Vertragsparteien getroffen hätten, wenn von Anfang an bekannt gewesen wäre, dass die Preissteigerungen nicht durch den vereinbarten Index abgedeckt sind.

Ansonsten: Bei Unklarheiten über die Preisart: Wenn in Verträgen die Preisart gar nicht definiert ist, ist üblicherweise von Festpreisen auszugehen. Im Einzelfall sollte dann auch geprüft werden, ob die ÖNORM B2110 vereinbart ist. Nach Punkt 6.3.1.1 der ÖNORM B2110 gelten Preise, wenn die Bauzeit mehr als sechs Monate beträgt, ausnahmsweise als veränderliche Preise. 

Frage 2: Liegt ein »Wegfall der Geschäftsgrundlage« vor? 

In der aktuellen Situation wird vor allem von Auftragnehmerseite häufig mit dem sogenannten »Wegfall der Geschäftsgrundlage« argumentiert. Im Kern läuft diese Argumentation darauf hinaus, dass völlig unvorhergesehene und unkalkulierbare Preissteigerungen zu einer groben Äquivalenzstörung des Vertrages führen und dadurch eine Vertragsbindung für eine der Vertragsparteien (also den AN) nicht mehr zumutbar macht. Diese Argumentation kann in krassen Ausnahmefällen schlagend werden, ist aber sicher kein breitenwirksames »Allheilmittel«. Es ist judiziert, dass dieses Rechtsinstrument an sich keine vertraglich zwischen den Parteien vorgenommene Risikoverteilung (also wohl auch nicht betreffend das Preisrisiko) unterlaufen soll. 



Frage 3: Liegt eine »Unerschwinglichkeit« der Leistung vor?

In seltenen Sonderkonstellationen kann es vorkommen, dass die Rechtsprechung anerkennt, dass einem Vertragspartner in Folge einer »Unerschwinglichkeit der Leistung« ein besonderes Rücktrittsrecht zusteht. Dies setzt extreme wirtschaftliche Erschwerungen und ein grobes Missverhältnis von Aufwand und Wert der Gegenleistung voraus und die Leistungserbringung des Unternehmers müsste aufgrund dieser extremen Umstände geradezu »unvernünftig« und »wirtschaftlich sinnlos« sein.

In diesem Zusammenhang ist vieles unklar und es gibt im Zusammenhang mit den aktuellen Preissteigerungen keine höchstgerichtliche Judikatur. Auch bei dieser Argumentation ist Vorsicht geboten: Würde ein Vertragsrücktritt auf dieser Grundlage zu Unrecht erfolgen, läuft der Bauunternehmer Gefahr, schadenersatzpflichtig (etwa für den Verzögerungsschaden oder Mehrkosten aus Deckungsgeschäften) zu werden.

Frage 4: Liegt eine »Verkürzung über die Hälfte« vor?

Aktuell taucht (auch von Juristen) immer wieder die Argumentation auf, dass ein von Preisschwankungen betroffener Bauvertrag wegen »Verkürzung über die Hälfte« (laesio enormis) angefochten werden könnte. Nach § 934 ABGB kann eine Partei einen Vertrag anfechten, wenn sie nicht einmal die Hälfte dessen als Gegenleistung erhält, was sie selbst dem anderen Vertragspartner hingibt. Dieses Rechtsinstitut kann grundsätzlich auch bei Pauschalpreisvereinbarungen zur Anwendung kommen.

Diesem Rechtsinstitut liegt als Wurzelmangel jedoch der Gedanke zugrunde, dass dieses wirtschaftliche Ungleichgewicht (von weniger als 50 % der Gegenleistung) bereits im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestanden haben muss. Das ist bei den nachträglich auftretenden (wenn auch unerwarteten) Preissteigerungen aber gerade nicht der Fall. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist dieses Argument daher nicht erfolgreich.

Frage 5: »Hilft« ein ÖNORM B2110-Vertrag?

Wie auch in der Covid-Krise ließe sich grundsätzlich argumentieren, dass Ereignisse, »welche zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht vorhersehbar waren und vom Auftragnehmer nicht in zumutbarerer Weise abgewendet werden können« laut ÖNORM B 2110 in die Sphäre des Auftraggebers fallen (Pkt. 7.2.1. ÖNORM B 2110) und auf dieser Grundlage (Pkt. 7.4 ÖNORM B 2110) Ansprüche auf Bauzeitverlängerung und Vergütung von Mehrkosten zustehen könnten.

Hier ist aber zu bedenken, dass Preissteigerungen eigentlich weder eine typische »Leistungsstörung«, wie sie die Norm vor Augen hat, noch eine »Leistungsänderung« darstellen und Vertragsparteien durch die ausdrückliche vertragliche Vereinbarung von Festpreisen oder veränderlichen Preisen in den allermeisten Fällen die Risikotragung im Zusammenhang mit Preisveränderungen explizit festgeschrieben und damit dieses Risiko »verteilt« haben.

Frage 6: Was ist mit dem Lieferverzug?

Ein in der aktuellen Situation häufiger Streitpunkt ist die Verzögerung von Lieferungen. Diese Frage ist von der Frage der Preissteigerungen zu unterscheiden. Hier kommt es aus bauvertraglicher Sicht auf die bereits aus der Coronakrise bekannte »Sphärentheorie« an. Die Berufung auf eine nicht vorhersehbare und mit zumutbaren Mitteln nicht abwendende Störung kann hier häufig zu Ansprüchen des Auftragnehmers führen. Das gilt ganz besonders, wenn die Parteien die ÖNORM B2110 vereinbart haben. Diese sieht bei Unterbrechungen für AG- und AN-Seite außerdem besondere Rücktrittsrechte vor, die im Einzelfall einen einseitigen »Vertragsausstieg« ermöglichen können.

Frage 7: Wie überdenke ich meine Angebotsstrategie?

Bei Abschluss neuer Verträge muss unbedingt darauf geachtet werden, dass vor allem die Kostenveränderung sensibler Bauprodukte direkt angesprochen und vertraglich geregelt wird. Das gilt natürlich umso mehr, je länger die Zeitspanne zwischen Angebotszeitraum und Leistungszeitraum ist. Hier ist aber Vorsicht geboten. Die bloße Vereinbarung veränderlicher Preise ist kein Allheilmittel, da auch diese versagen kann und nicht immer die tatsächlichen Kostenveränderungen richtig widergespiegelt werden. Es ist daher besonders wichtig, den richtigen Index zu wählen bzw. bei komplexen Verträgen vielleicht sogar einen eigenen Index-Warenkorb zusammenzustellen und dem Vertrag zugrunde zu legen.



Fazit

Die aktuellen Rahmenbedingungen sorgen für viel Unsicherheit. Um ein böses Erwachen so weit als möglich zu vermeiden, sollten aus rechtlicher Sicht folgende Praxis­tipps beachtet werden:

- Die Vereinbarung veränderlicher Preise federt das Risiko des AN zumindest zu einem gewissen Teil ab.
- Bei Vereinbarung eines »falschen« oder unvollständigen Index könnte dem AN eine »ergänzende Vertragsauslegung« helfen.
- Bei Festpreisen ist die Überwälzung von Preissteigerungen an den AG jedenfalls nur sehr schwer und voraussichtlich nur bei ganz besonderen Härtefällen denkbar. Auch ÖNORM B2110-Verträge bieten keine einfache Lösung.
- Beim Abschluss neuer Verträge muss unbedingt eine gut ausgewogene und sorgfältig formulierte Regelung zum Umgang mit Preissteigerungen getroffen werden. Vorsicht bei der Indexwahl! 
- Lassen Sie Ihren Vertrag von entsprechend spezialisierten Anwälten prüfen.
- Der wichtigste Tipp am Schluss: Suchen Sie das Gespräch mit Ihrem Vertragspartner und finden Sie auf Augenhöhe einvernehmlich die Grundlage für ein »partnerschaftliches Weiterbauen«. Einvernehmliche Vertragsanpassungen sind jederzeit möglich. Die aktuelle Situation erfordert – unabhängig vom Vertrag – sowohl auf AN- als auch auf AG-Seite ein faires Miteinander.

(Bilder: iStock) 


Der Autor

Mag. Lukas Andrieu, LL.M. ist Partner der ScherbaumSeebacher Rechtsanwälte GmbH (Wien und Graz) mit Tätigkeitsschwerpunkt im Bau- und Vergaberecht und Universitätslektor für Vertragsgestaltung an der Universität Graz. 

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