Donnerstag, Dezember 26, 2024
»Was heute Rocket Science ist, ist in fünf Jahren Normalität«
»Im Gegensatz zu anderen Projekten haben wir beim tz2 nicht nur die BIM-Daten auf der einen und die Live-Daten auf der anderen Seite, sondern wir fügen diese beiden Welten zusammen«, sagt Kevin Bauer, Siemens.

Im Forschungs- und Testgebäude tz2 in der aspern Seestadt untersucht Siemens den Mehrwert von BIM und einem digitalen Zwilling für den Betrieb eines Gebäudes. Im Interview erklärt der Projektverantwortliche Kevin Bauer, wie dem 3D-Modell Leben eingehaucht wurde und wann sich der Aufwand für einen echten digitalen Zwilling tatsächlich lohnt. 


Report: Beim tz2 in der aspern Seestadt ist Siemens als Gründungsmitglied der Aspern Smart City Research (ASCR) schon seit der Planungsphase mit an Bord. BIM kommt sowohl im Bau als auch im Betrieb zum Einsatz. Welche Ziele verfolgt Siemens mit dem Projekt?

Kevin Bauer: Wir forschen gemeinsam mit der Wien Energie, den Wiener Netzen, der Wirtschaftsagentur Wien und der Seestädter Entwicklungsgesellschaft Wien 3420 an Lösungen für die Energiezukunft. Das tz2 ist ein Forschungs- und Testgebäude für den digitalen Zwilling. Für uns als Siemens war die zentrale Frage, wie wir BIM-Daten gut im Betrieb nutzen können, und zwar in Verbindung mit Echtzeitdaten. Der digitale Zwilling ist die digitale Repräsentation des echten Assets, die man auch steuern kann. Man verbindet die BIM-Daten mit Strukturdaten und IoT-Daten. Das zu erreichen, ist das Ziel.

Bei BIM geht es in der Regel um Architekturen. Unser Fokus aber war eine effiziente Gebäudeautomatisierung für den Betrieb. Um die Strukturdaten mit den Echtzeit-Daten zu verbinden, muss alles, was Daten empfängt oder sendet, Teil des Modells werden. Das wurde bislang sehr stiefmütterlich behandelt.

Report: Wie wurde diese Detailtiefe erreicht? Das ist ja in der Praxis nicht die Regel.

Bauer: Wir haben da sehr eng mit dem Generalplaner ATP und Plandata zusammengearbeitet. Damit konnten wir schon in der Planungsphase alle relevanten Daten und Tools in das BIM-Modell integrieren. Das wichtige ist aber die Transformation von der Planungs- in die Bauphase. Ich muss wissen, was tatsächlich wo eingebaut wurde.

Der große Unterschied zwischen einem BIM-Projekt und einem Digital-Twin-Projekt ist, die Verbindung der Strukturdaten mit den Echtzeitdaten. Die meisten BIM-Projekte enden, wenn das Gebäude steht. Deshalb ist das tz2 auch eher ein Digital-Twin-Projekt. Wir hauchen dem 3D-Modell Leben ein, indem wir dem tatsächlichen Sensor und dem digitalen Sensor eine ID verpassen und die beiden miteinander verbinden. Sicherzustellen, dass das digitale Modell mit dem echten Gebäude übereinstimmt, ist eine enorme Herausforderung, denn in der Regel ist die Dokumentation nicht so genau. 

Report: Wie genau ist das Abbild geworden? Sind Realität und Modell eineiige oder zweieiige Zwillinge?

Bauer: Hinsichtlich Datenqualität auf Informationsebene sollten es annähernd eineiige Zwillinge sein. Es wurde viel Wert darauf gelegt, dass alles korrekt dokumentiert und in den digitalen Zwilling transferiert wurde. Natürlich ist es theoretisch auch möglich, die Daten im Nachhinein zu aktualisieren, aber dann wird es teuer. Dann müssen Böden oder abgehängte Decken geöffnet werden, um zu überprüfen, was sich wo befindet. 

Report: Wie kooperativ waren die ausführenden Unternehmen?

Bauer: Die Unternehmen wussten, worauf sie sich einlassen und dass es sich um ein Forschungsprojekt handelt. Wir haben uns auch große Mühe gegeben, alles transparent darzustellen. Und wir haben insgesamt 18 3D-Scans gemacht, drei 3D-Scans in der Rohbauphase, zwölf in der Haustechnikphase und drei am Ende, also as-built. Das war für uns essenziell, weil wir gegenchecken konnten, ob alles richtig verbaut wurde. Denn natürlich gab es Kinderkrankheiten.

Report: Welche?

Bauer: Oftmals galt anscheinend das »first come, first serve«-Prinzip. Es war zwar alles sehr effizient geplant, aber auf der Baustelle wurde das nicht immer umgesetzt. Auch, weil viele Gewerke das einfach so gewohnt sind. Es hat funktionell auch gepasst, aber eben nicht dem Plan entsprochen. Für uns war das aber wichtig, deshalb mussten wir von allen Unternehmen eine As-built-Dokumentation einfordern. So sind wir auch einigen Firmen auf kleinere Tricksereien drauf gekommen. Auch da hat die Lösung funktioniert, aber sie hätten es melden müssen, um die Einsparungen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer zu teilen. Damit haben wir jetzt ein As-built-Modell, das wir für den Betrieb nutzen können. 

Report: Was sind die größten Vorteile des digitalen Zwillings des tz2 im Betrieb?

Bauer: Der größte Vorteil unseres Zwillings ist, dass wir die gesamte Automatisierung und Gebäudetechnik abgebildet haben und geprüft wurde, ob alles, was geplant wurde auch tatsächlich umgesetzt wurde. Im Gegensatz zu anderen Projekten haben wir nicht nur die BIM-Daten auf der einen und die Live-Daten auf der anderen Seite, sondern wir fügen diese beiden Welten zusammen. Das ermöglicht coole Anwendungsfälle und ist vor allem für große, komplexe Einrichtungen wie Krankenhäuser wichtig.

Report: Können Sie ein Beispiel für diese Anwendungsfälle geben?

Bauer: Nehmen wir das Alarmmanagement. Wenn in einem herkömmlichen Krankenhaus eine Lüftungsklappe kaputt ist, gibt es eine Fehlermeldung. Man weiß aber nie, wo genau der Fehler liegt. In einer Verwaltungseinheit wäre das kein Problem und hätte nicht oberste Priorität, anders sieht das in einem Operationssaal aus. Unsere Lösung zeigt ganz genau, wo das Problem aufgetreten ist und wie schwerwiegend es ist. Damit kann es priorisiert werden. Das steigert die Betriebseffizienz enorm. Erste Praxiseinsätze in einem Schweizer Krankenhaus zeigen, dass damit im Facility Management 30 Prozent an Personal eingespart werden kann, das anderweitig eingesetzt werden kann.

Report: Bei welchen Projekten zahlt sich so ein digitaler Zwilling auch wirklich aus?

Bauer: Je kritischer die Infrastruktur ist, je größer und komplexer, desto sinnvoller ist der digitale Zwilling, etwa bei Krankenhäusern, Datenzentren, Flughäfen oder großen Industrieanlagen. Dort sind die Betriebskosten enorm hoch, entsprechend sinnvoll ist der digitale Zwilling. Auch wenn es darum geht, dass der Betrieb gesichert sein muss, ist der Business Case einfach. Ein Krankenhaus muss laufen, das ist anders als in einem Wohnhaus. Der Aufwand für den digitalen Zwilling ist heute noch hoch, aber das wird sich ändern. Was heute Rocket Science ist, ist in fünf Jahren Normalität. 

Report: Was sind die zentralen Learnings aus dem Projekt, die man auch auf andere Projekte übertragen kann?

Bauer: Da gibt es viele Punkte. Zum einen hat man gesehen, wie wichtig es ist, sich in der Frühphase eines Projekts genau zu überlegen, wie man es betreiben will. Man baut ja ein Gebäude nicht, damit es da steht, sondern für den Betrieb. Ein Krankenhaus hat ganz andere Anforderungen als ein Forschungsgebäude oder ein Industriebetrieb. Es geht darum, Anwendungsfälle zu finden, die einen hohen Mehrwert für den Betrieb bringen. Von diesen Anwendungsfällen leite ich das BIM-Modell ab. Ganz wichtig ist auch, dass die Geräte, die gewartet werden müssen, die kaputt gehen können, Teil des BIM-Modells sind. Heute ist der Zugang leider noch ein Anderer. Da werden geniale Planungs- und Baumodelle entwickelt, die aber kaum einen Nutzen für den Betrieb haben.

Um einen digitalen Zwilling zu erstellen, müssen alle Sensoren in das Modell. Eine große Hilfe war auch das baubegleitende Scanning. Ganz wichtig war auch, dass wir im Faciliy Management einen neuen Ansatz gewählt haben und das FM schon in der Planungs- und Bauphase an Bord geholt haben. Das bringt enorme Vorteile für einen effizienten Betrieb.

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