In der heimischen Wirtschaft fehlt es branchenübergreifend an qualifizierten Fachkräften. Vor allem in Handwerk und Technik stehen für Frauen die Türen offen, immer mehr haben in den letzten Jahren diese Chance genutzt. Corona hat dieser Entwicklung einen ordentlichen Dämpfer versetzt.
Der Fachkräftemangel hat sich durch die Coronakrise und den Wirtschaftsaufschwung im letzten Jahr weiter verschärft. Es gibt keine Branche und kaum ein Bundesland, das vom Fachkräftemangel verschont blieb. Unternehmen wollen aufgrund der wieder gefüllten Auftragsbücher zusätzliche Stellen schaffen, aber die Fachkräfte fehlen, so eine aktuelle Studie von EY.
83 Prozent haben derzeit (erhebliche) Schwierigkeiten, qualifiziertes Personal zu finden, um sieben Prozent mehr als 2021. Nur zwei Prozent der befragten Unternehmen sagen, sie hätten es sehr leicht, Fachkräfte einzustellen. Der Fachkräftemangel wird als größte Gefahr für die Unternehmensentwicklung gesehen. Die meisten neuen Stellen wollen Unternehmen in Oberösterreich (33 %), Vorarlberg (30 %) und Niederösterreich (29 %) schaffen.
Handwerk und Technik laden ein
In den letzten Jahren haben Frauen diese Chance auch erkannt. Zahlreiche Architektinnen, Baumeisterinnen, Metalltechnikerinnen sowie Vermessungstechnikerinnen, Schlosserinnen und vor allem weibliche Lehrlinge in der Bautechnik sind der Beweis. Nicole Walther, Projektleiterin bei Frauen in Handwerk und Technik, berichtet aus Gesprächen mit Frauen über die Gründe für die Berufswahl Bau:
»Frauen haben zum Beispiel durch Verwandte, Bekannte und Freunde Einblick in die Baubranche erhalten, wurden über Möglichkeiten und Jobaussichten informiert – ebenso über Infotage, Praktika und Exkursionen. Deshalb haben sie sich für diesen Bereich entschieden.« Der Bau & Immobilien Report stellt in dieser und den nächsten Ausgaben monatlich eine erfolgreiche Bautechnikerin vor, die als Role Model für Mädchen und Frauen dienen soll.
Nicole Walther erkennt auf Unternehmerseite eine Abkehr vom klassischen Schubladendenken, jedoch bei vielen Frauen eine Rückkehr zu traditionellen Sichtweisen.
Viele nutzen die Einladung nicht
Nicole Walther erkennt eine Abkehr vom klassischen Schubladendenken, sie verweist gleichzeitig aber auf einen Wandel, der im Zuge von Covid aufgetreten ist. »Wir hatten schon gute Fortschritte, Frauen haben sich für die Technik geöffnet. Jetzt erkennen wir leider einen Rückschritt,« bedauert sie. Frauen würden sich wieder mehr in traditionelle Denkweisen und traditionelle Berufsfelder zurückziehen. »Das hat mit dem familiären Umfeld zu tun«, vermutet sie.
Dabei gebe es gute Signale der Arbeitgeber. »Das Baugewerbe wird sich der Tatsache, dass Frauen eine große Bereicherung für die eigenen Tätigkeitsfelder sind, immer stärker bewusst«, betont Iris Appiano-Kugler, Expertin für den Frauenarbeitsmarkt im AMS Österreich, verweist aber gleichzeitig auf das Phänomen der Leaky Pipeline. Mehr Frauen würden z. B. ein technisches Studium starten als abschließen. »Laufend sind sie mit Stereotypen und Vorurteilen konfrontiert, die vielleicht mit ihnen selbst gar nichts zu tun haben. Sie verlieren aber die Lust, sich ständig zu beweisen – und wie Wasser in lecken Rohren, verschwinden auch viele Frauen aus den technischen Studien und Berufen.«
Rahmenbedingungen ändern
Vor allem handwerkliche Berufe müssen besser präsentiert werden, um das Interesse daran zu wecken. So sind die meisten Arbeiten am Bau weder sehr schmutzig noch gehen sie an körperliche Grenzen, stereotype Rollenbilder müssen ad acta gelegt werden. Ein entscheidender Input muss im Elternhaus erfolgen. »Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass eine positive Erfahrung mit Technik als Kind reicht, damit die Wahl eines technischen Berufs exponentiell steigt«, sagt Iris Appiano-Kugler.
»Es ist ein mitteleuropäisches Phänomen, dass Technik männlich ist. In Asien bis hin zum mittleren Osten ist es völlig normal, dass Frauen auf Baustellen arbeiten«, berichtet Iris Appiano-Kugler.
Mädchen sollten einmal mit Vater oder Mutter am Auto basteln, Werkzeug oder Maschinen auseinander- und wieder zusammenbauen, idealerweise bereits in der Kindergarten- bzw. Volksschulzeit, denn in der Pubertät sind Stereotype bereits sehr stark vorhanden. Anschließend müssen Unternehmen gezielt positive Erfahrungen bieten, z.B. kinder- oder jugendgerechte Besichtigungen von Baustellen durch Bauunternehmen oder Handwerksbetriebe, zielgerichtete Kommunikation auch unter Einsatz neuer Medien, Schnupperwochen oder Praxistage am Bau.
Um Frauen dann am Bau zu halten, erfordert es adaptierte Arbeitsbedingungen. Helfen können Betriebskindergärten, Eltern-Kind-Büros oder betriebsinterne Initiativen zur Gleichstellung. Zu den Rahmenbedingungen zählt auch die Arbeitszeit. Vielfach zu wenig berücksichtigt ist die Arbeitskleidung. »Der Körper spielt bei Berufen am Bau eine entscheidende Rolle, Frauen müssen sich in der Arbeitskleidung wohlfühlen«, betont Walther.
Erste Schritte
Stark verankert ist das Geschlechterdenken nach wie vor in der Lehre. Die Top 3 Lehrberufe für Mädchen waren 2020 und 2021 Einzelhandel, Bürokauffrau und Friseurin. Metalltechnik fand sich erst auf Rang sechs, Hochbau war nicht unter den Top 10. »Innerhalb des FiT-Programms besteht die Möglichkeit, eine Lehre im Bereich der Baubranche zu absolvieren«, informiert Walther. Frauen haben über FiT auch die Chance, das Kolleg am Bautechnikum Camillo Sitte zu absolvieren.
»Laterale Führung – Führen ohne Vorgesetztenposition –, Frauen in der Arbeitswelt 4.0 und Durchsetzungstraining sind einige der Seminare von womanSuccess«, informiert Vorsitzende Ingrid Kösten.
Appiano-Kugler ergänzt: »Liegt der Frauenanteil in einer Branche unter 40 Prozent, bildet das AMS aus und unterstützt bis zum Lehrabschluss, Kolleg oder FH.« In der höheren Ausbildung ist der Rückzug von Frauen nicht so erkennbar. »Deutlich mehr Frauen als vor zehn Jahren belegen heute technische Fächer«, weiß Ingrid Mylena Kösten, Vorsitzende von womanSuccess. Einige Zahlen zum Frauenanteil der TU Wien: Architektur 55,9 %, Bauingenieurwesen 30,5 %, Raumplanung 48,5 %, Vermessung 33,5 % und Technische Physik 20,4 %.
Rollenklischees
Die traditionelle Sichtweise trifft Burschen wie Mädchen. »Für junge Frauen, die aus einem traditionellen Umfeld kommen, ist es nach wie vor schwierig, einen nicht traditionellen Beruf zu ergreifen«, betont Iris Appiano-Kugler und nennt als Beispiele eine junge Frau im nichtstädtischen Umfeld, die KFZ-Mechanikerin, aber ebenso einen jungen Mann, der Pfleger oder Kindergärtner werden möchte. Die Öffentlichkeit helfe zu wenig, diese Stereotype aufzuweichen.
In der Pflege müssen Frauen täglich Patient*innen mit 80 oder 90 kg bewegen, Zementsäcke mit 40 kg wären für sie kein Problem.