Freitag, November 22, 2024
Transformation am Gebäudesektor: „Die Zeit läuft uns davon“

Innovationskraft am Gebäudesektor ist entscheidender Faktor für wirtschaftliche Stabilität und das Gelingen der Energiewende, streicht eine aktuelle Markterhebung heraus. Eine Umfrage der Unternehmensberatung owl lab gemeinsam mit dem Zukunftsforum Connected Buildings hat die Stärken und Erfahrungen, die Unternehmen aus der Pandemie mitnehmen sowie die fehlenden Skills am Arbeitsmarkt analysiert. Im Fokus: Die Wertschöpfungskette Smart Buildings. Das Ergebnis ist eine Landkarte der wichtigsten Treiber des wirtschaftlichen Erfolgs sowie der Klimaschutzmaßnahmen.

Unternehmen sehen sich durch Covid mit einer Vielzahl an herausfordernden Dynamiken parallel konfrontiert: Die Pandemie fungiert als Brandbeschleuniger und legt die Schwächen in Unternehmen gnadenlos offen. Auch hat sich die Art und Weise, wie wir leben und arbeiten, nachhaltig geändert. Ein weiterer Aspekt, der Unternehmen beschäftigt, ist der FacharbeiterInnen-Mangel: Ob wir die Herausforderungen der Zukunft stemmen können, hängt maßgeblich von der Qualifizierung des Personals ab.

„Entwicklungen, die normalerweise Jahre gebraucht hätten, fanden im Zeitraffer statt“, erklärt Anja Herberth, die Autorin der Markterhebung und Begründerin des Zukunftsforums Connected Buildings, „Die Erhebung ist eine Landkarte der aktuellen Herausforderungen, aber auch der Learnings aus der Pandemie, die wichtige Treiber für die Widerstandsfähigkeit und Krisenfestigkeit darstellen. Sie zeigt die Handlungsfelder, aber auch die möglichen Folgen auf, wenn keine Maßnahmen getroffen werden.“

Die zehn wesentlichen Erkenntnisse der Markterhebung

1. Unternehmen verlieren die Planungs- und Prognosefähigkeit
Die Sektoren entlang der Wertschöpfungskette Bauen, Wohnen und Sanieren kommen im Allgemeinen gut durch die Krise: Förderungen bieten einen Anreiz für Investitionen, private Wohnwelten wandeln sich zum Home Office und Schulzentrum. Aber: Während die einen eine exzellente Auftragslage haben, brechen Unternehmen mit Kernzielgruppen in den strauchelnden Sektoren Gastronomie, Tourismus und Hotellerie die Umsätze weg.

Wer flexibel reagiert, kann zumindest einen Teil des weggebrochenen Umsatzes ersetzen. Das bringt aber nicht immer den gewünschten Erfolg: Etwa im Versuch, den Wegfall großer B2B-Projekte durch viele kleine Aufträge von EndkonsumentInnen zu ersetzen. Auch die Zielgruppe der PensionistInnen ist in den kalten Monaten eine Herausforderung: Sie nehmen aus Angst vor einer Infektion keine nicht unbedingt notwendigen Dienste in Anspruch. Die Pandemie und die Überhitzung des Marktes führen weiters zu Materialengpässen, die Kosten für Projekte steigen massiv an.

2. Nachhaltig & langfristig agierende Unternehmen haben in der Bewältigung der Pandemie einen Vorteil
Wer die „Hausaufgaben“ gemacht hat, geht erfolgreicher durch die Pandemie: Unternehmen, die sich bereits vor der Krise mit der Digitalisierung ihres Businessmodells und mit neuen Arbeitsmodellen auseinandergesetzt haben, haben es einfacher in der Bewältigung der Pandemie. Zudem sind alte Lösungsansätze mehr denn je nicht mehr brauchbar, das Neue ist aber noch nicht ausreichend aufgebaut.

Die Lockdowns und „Social Distancing“ haben allen voran KMUs in Mitleidenschaft gezogen: Sie verfügen oft nicht über das Personal und das Know-how, um schnell und flexibel auf so schwerwiegende Veränderungen am Markt zu reagieren. Während Großunternehmen den Digitalisierungs-Turbo einschalten, ist in KMUS, die von der Krise beeinträchtigt wurden, an Investitionen nicht zu denken. Daten zeigen, dass sich KMUs grundsätzlich schwerer in der Digitalisierung schlagen als Großunternehmen – diese Kluft hat sich nochmals verschärft.

3. Energiewende & Dekarbonisierung sind essentielle Treiber smarter Gebäudetechnologie: „Logik hält in Gebäuden Einzug“
Durch die ambitionierten Klimaziele halten Intelligenz und Logik Einzug in die Gebäude: Moderne Gebäudetechnologien leisten einen wesentlichen Beitrag zu einem intelligenten Energiemanagement und zur CO2-Reduktion. Global betrachtet ist der Bau und Betrieb von Gebäuden für etwa 40% der CO2-Emissionen verantwortlich, daher ist der Erfolg der Energiewende und der Dekarbonisierung unserer Gesellschaft untrennbar gekoppelt mit der Innovationsfähigkeit am Gebäudesektor.

Die Energieproduktion befindet sich inmitten einer grundlegenden Transformation: War sie früher in der Hand von einigen wenigen Unternehmen, stellt die Energiewende die Demokratisierung der Energiewelt dar. Heute können auch kleine Produzenten einspeisen, Private und Unternehmen werden zu sogenannten Prosumenten: Sie produzieren Energie, die sie selbst zu einem möglichst hohen Anteil konsumieren. Weitere Treiber für smarte Gebäudetechnologien stellen neben den kommenden Klimavorschriften die Digitalisierung und 5G-Kommunikations-Technologien sowie die technologische Entwicklung dar.

4. Zukunftsthemen sind Hoffnungsträger und Herausforderung zugleich: Neue, fachübergreifende Businessmodelle sind im Entstehen
Die Zukunftsthemen Dekarbonisierung, Energiewende und Klimawandel sind zum einen Hoffnungsträger der Sektoren, zum anderen aber auch große Herausforderung. Aus diesem Grund wurde die Krise seitens der Unternehmen genutzt, um sich auf die Zeit nach der Pandemie vorzubereiten: Die InterviewpartnerInnen gehen davon aus, dass zukunftsweisende Projekte lediglich verschoben wurden. Man nahm sich die Zeit, Zukunftsprojekte zu skizzieren, um perfekt aufgestellt zu sein, wenn es wieder losgeht. Dafür wurden die Blickwinkel der Kundinnen und Kunden herangezogen, um einen realen Nutzen zu schaffen.

Angesichts der Veränderungen ist die Entwicklung neuer, fachübergreifender Businessmodelle essentiell: Durch die fortschreitende Vernetzung von Fachgebieten und der steigenden Komplexität sind wir nicht mehr in der Lage, Herausforderungen alleine zu lösen. In einem vernetzten Gebäude ist es weiters wesentlich, mit den beteiligten Sektoren gemeinsame Lösungen mit maximaler Tragkraft zu entwickeln.

5. Sektoren sind auf die Zukunftsthemen nicht vorbereitet
Gesamtheitlich betrachtet sind wichtige Teile der Wertschöpfungsketten noch nicht auf die digitale und technologische Transformation eingestimmt. So stehen die Sektoren bei der Mitnahme der bestehenden Player am Markt, der MitarbeiterInnen sowie der KundInnen völlig am Anfang. Es mangelt noch am technischen Grundverständnis, an der Umsetzung und am Überblick. Fehlplanungen in der Praxis sind die Folge, weil sie aus altem Wissen geschöpft sind.

6. Neue Skills gefordert: Trend hin zu Kundenmarkt & Individualisierung
Der Trend geht von Standardlösungen hin zur Individualisierung – also hin zu einem Kundenmarkt. Weiters werden EndkonsumentInnen zu Prosumenten und damit zu einem essentiellen Teil der Energiewende. Das ist aber nur dann möglich, wenn wir sie thematisch auch mitnehmen. Neben einer guten Aus- und permanenten Weiterbildung rücken damit auch die Softskills verstärkt in den Fokus. Dazu gehören die emotionale Intelligenz, das Selbstreflexionsvermögen und die Kooperationsfähigkeit. Es reicht nicht mehr aus, die Produkte und Prozesse zu verstehen: Jetzt werden MitarbeiterInnen gebraucht, die KundInnen verstehen und in ihrer Sprache sprechen. Dazu gehört auch, das Kundenerlebnis positiv zu gestalten – und das nicht nur im Kundenservice, sondern entlang der gesamten Customer Journey.

Das stellt den Aus- und Weiterbildungsmarkt vor große Herausforderungen, da sich die Welt schneller dreht als sich deren Programme weiterentwickeln. Eine zukunftsorientierte Aus- und Weiterbildung sollte sich kontinuierlich an den Bedürfnissen des Marktes orientieren und die Frage stellen: Welche Skills braucht es in fünf bis zehn Jahren? Dem gegenüber steht die Realität: Veränderungen z.B. in der Lehrlingsausbildung dauern Jahre. Eine große Herausforderung besteht auch in der thematischen Mitnahme des Lehrpersonals.

7. New Work: Clash of Culture
Angesichts der Veränderungen am Markt und in den Unternehmen prallen auch in den Unternehmen die Kulturen aneinander: Auf der einen Seite die „alte“ Mannschaft, auf der anderen Seite die junge Generation, die „new work“ verlangt. Die Arbeitswelt von heute spricht junge Talente immer weniger an: Unternehmen sind gefordert, attraktiv zu sein bzw. zu werden für eine junge Generation, die laut InterviewpartnerInnen „völlig anders tickt.“ Die Challenge für die ältere Generation: Kein eigenes Büro, Home Office und vermehrt Teamwork.

8. Die Zukunft gehört der Kollaboration: Gesucht werden „Weltenwandler, die vernetzen“
Die fortschreitende Vernetzung der Fachgebiete ändert die Art und Weise, wie in den Sektoren gearbeitet wird. Die Zukunft gehört der Kollaboration: Es gilt, die richtigen fachübergreifenden Teams und Kooperationen zu bilden. Zitat einer Interviewpartnerin: „Die Zukunft gehört den interdisziplinären WeltenwandlerInnen, die vernetzen.“

Diese ‚Weltenwandler‘ werden heute weder ausgebildet, noch sind sie definiert. So gibt es laut InterviewpartnerInnen kein niederschwelliges, interdisziplinäres Angebot am Markt, das den Überblick schult. Ebenfalls noch nicht geklärt ist die Schnittstellenübergabe und welches Gewerk wofür verantwortlich zeichnet – etwa in einem Gewährleistungsfall. Das Resümee mehrerer Interviewpartner angesichts der Herausforderungen: „Uns läuft die Zeit davon.“

9. Die Kluft zwischen KMUs und Großunternehmen wird größer
Für KMUs sind diese Entwicklungen besonders herausfordernd: Großunternehmen haben durch hohe Investitionen in Employer Branding und Kommunikation einen entscheidenden Vorteil im Kampf um gut ausgebildetes Personal. KMUs haben auch bei den Gehaltsvorstellungen und Karrierechancen massive Nachteile am Arbeitsmarkt. Auch sind Großunternehmen fachübergreifende Teams und Kollaborationsmodelle eher gewohnt als KMUs. Die Befürchtung: Die Kluft zwischen Großunternehmen und KMUS wird zukünftig größer werden. Ein Teilnehmer: „Wenn wir keine kritische Masse haben, die weiß, wie Prozesse funktionieren, dann tut man sich als kleines Unternehmen schwer.“

10. Diversität & Requalifizierung: Neue Zielgruppen für Jobs in der Technik begeistern
In Österreich sind wir im Vergleich zu anderen Ländern zu wenig technikaffin, wir bilden viel zu wenige TechnikerInnen aus. Bedeutet: Während unser Leben bereits von technologischen Innovationen geprägt ist, mangelt es an qualifiziertem Personal und Nachwuchs.

Eine große Chance stellen hier die Diversität und die Requalifizierung dar: Unternehmen könnten durch die Ansprache neuer Zielgruppen wie zB Frauen, ältere ArbeitnehmerInnen und Menschen, die nicht mehr ausreichend qualifiziert sind, das heimische Arbeitsmarktpotential besser ausnützen. Um diesen Marktvorteil zu nutzen, benötigt es in den Unternehmen den Abbau von Vorurteilen und Barrieren. Zitat einer Interviewpartnerin: „Hier stecken wir noch in den Kinderschuhen.“

Fazit: Zukunftsfähigkeit = Innovationsfähigkeit
Das Navigieren durch die Krise ist herausfordernd: Unternehmen sind mehr denn je gefordert, auf die rasanten Entwicklungen Antworten zu finden. Essentiell ist das Verständnis, dass die Entwicklungen völlig unabhängig vom (Wohl-)Wollen der MarktteilnehmerInnen stattfinden. „Wer sein Unternehmen nicht transformiert, wird transformiert. Und das ist immer schmerzhafter als einstrukturierter Veränderungsprozess“, appelliert Herberth. Ob wir als Gesellschaft den enormen Herausforderungen der technologischen Entwicklung und Digitalisierung, der Energiewende und Dekarbonisierung gewachsen sind, hängt in wesentlichen Punkten nicht (nur) an finanziellen Investitionen und Förderungen. „Das zeigt die Markterhebung sehr detailliert auf: Sie macht die Stellschrauben am Gebäudesektor sichtbar, auf die es jetzt ankommt. Denn wir stehen vor einer grundlegenden Transformation, in der kein Stein auf dem anderen bleiben wird“, analysiert Herberth. Genau diese systemische Veränderung heißt es nun, aktiv in Angriff zu nehmen.

„Die Engstellen, die nun raschest bearbeitet werden sollten, sind der FacharbeiterInnen-Mangel und die mangelhafte Mitnahme des bestehenden Personals sowie der KundInnen in den Zukunftsthemen. Nur mit einem kompetenten Personal, das sich der Veränderungen am Markt bewusst ist und das proaktiv an den Herausforderungen mitarbeitet, ist die Transformation des Gebäudesektors schaffbar. KundInnen werden in der Energiewende zu Prosumenten, also zum essentiellen Teil der Lösung. Das ist aber nur dann möglich, wenn wir sie in diesen Lösungen auch mitnehmen“, schließt sie Studienautorin.


Über die Erhebung
Die Markterhebung wurde zwischen Herbst 2020 und Herbst 2021 durchgeführt. Den Fragen stellten sich insgesamt 35 ManagerInnen aus KMUs und Großunternehmen entlang der Wertschöpfungskette Smart Buildings - Unternehmen aus der Elektro- und Elektronikindustrie, der Bauindustrie, Ingenieurbüros, Immobilienentwickler und Property Advisors, „smarte“ InstallateurInnen und ElektrotechnikerInnen, der Elektrogroßhandel, die Möbelproduktion & -Vertrieb, Integratoren mit Fokus Gebäudesteuerung & -automatisierung, Energie-Anbieter und -Distributoren, Ausbildungsstätten sowie Fachvertretungen und Fachverbände.

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