In den letzten beiden Jahren wurden der produzierenden Industrie und ihren Kunden die Auswirkungen von Materialmangel vor Augen geführt, 2022 sieht die Lage wieder stabil aus.
Der Overshoot Day, der den Punkt markiert, an dem global gesehen mehr konsumiert wird als die Natur selbst erneuern kann, fällt heuer bereits auf den 6. Juni. 1970 fand man ihn noch im Dezember, 2019 war er im Juli. Es braucht ein neues Bewusstsein im Umgang mit Rohstoffen, auch wenn laut Baubranche 2022 wieder mit einer stabilen Versorgung gerechnet wird.
Hier können laut Caroline Palfy, Geschäftsführerin bei Handler Bau, die sehr hohen Preissteigerungen helfen, die zu einem ressourcenmäßigen Umdenken führen sollten. »Billiger wird es höchstwahrscheinlich nicht mehr. Dafür sorgt auch die kommende CO2-Bepreisung«, ist sich auch Mario Watz, Landesinnungsmeister Bau Wien, sicher.
Ära Kreislauf
Architekt Professor Werner Sobek, Universität Stuttgart, fordert rasches Umdenken und Handeln in der Bauindustrie. »Der aktuelle Baustoffverbrauch beträgt 100 Milliarden Tonnen im Jahr, die Bauindustrie verursacht jährlich zehn Milliarden Tonnen Müll.« Früher wurden alte Häuser abgerissen, indem man alles zerkleinert, zerschlagen und danach abtransportiert hat, um auf dem Mistplatz noch ein paar wertvollere Stoffe aus dem Schuttberg herauszuklauben.
»Heute geht es neben den Einsparpotenzialen vor allem um neue Wege, die immensen Rohstoffvorkommen im Gebäudebestand aktiv zu halten«, betont Architekt Thomas Romm, Gründer des BauKarussells, einem Anbieter von Social Urban Mining innerhalb des verwertungsorientierten Rückbaus. Der Umstieg auf alternative Rohstoffe müsse auftraggeberseitig erfolgen, die öffentliche Beschaffung Vorreiter sein.
»2022 hemmen hohe Rohstoffpreise und Energiekosten die Produktivität der Unternehmen«, erwartet Thomas Romm.
Als positive Beispiele nennt Romm das Projekt An den alten Schanzen, wo wertvoller gedüngter Ackerboden für landwirtschaftlich minderwertige Flächen verwendet werden kann, oder den Rückbau des Ferry-Dusika-Stadions in Wien Leopoldstadt. 80 Tonnen Material wurden verarbeitet, ein Viertel wird wiederverwendet, so z. B. 1.100 Tribünenstühle. Auch das Sophienspital, auf dessen Gelände ein neues Stadtquartier entsteht, erfährt Re-Use, z. B. bei Vollholzparkettböden, automatischen Brandschutztüren und Altziegeln.
Wie geht es nun weiter mit…
…dem Baustoff Beton
Für Thomas Mühl, Geschäftsführer des Verbands Österreichischer Beton- und Fertigteilwerke, ist die Rohstoffsituation bei Sand und Kies stabil. »Wir sind Gott sei Dank nicht von globalen Lieferketten abhängig.« Re-Use, Recycling und Long-Use sieht auch er als zentrale Maßnahmen im Bauwesen. Potenzial sei vorhanden, das Wiederverwenden von Bauteilen stecke aber noch in den Kinderschuhen.
Entscheidend ist für Mühl der Grundriss von Gebäuden, um Materialien flexibler zu verwenden. Dann könnten z. B. Hohldecken als Ganzes transferiert werden. Und es braucht mehr Weitsicht für sortenreine Materialtrennung, um Primärressourcen einsparen zu können. Sebastian Spaun, Geschäftsführer der Vereinigung der österreichischen Zementindustrie VÖZ, verweist auf die Ressourcenschonung in der österreichischen Zementindustrie: »2020 wurden über 2,3 Mio. Tonnen Sekundärstoffe verwertet. Das sind pro Tonne erzeugtem Zement bereits 441 kg Ersatzroh- und -brennstoffe.«
12.000 m3 Betonabbruch des Ferry Dusika Stadions werden von Zöchling vor Ort rezykliert, 1.500 t Metallabfälle über eine eigene Anlage verwertet. BauKarussell verhilft 1.100 Stadionsesseln zu neuem Leben durch Re-Use.
…dem Baustoff Ziegel
Norbert Prommer, Geschäftsführer des Verbands Österreichischer Ziegelwerke, sieht die Rohstoffsituation für Ziegel entspannt. Ton- und Lehmvorkommen gebe es ausreichend. Johann Marchner, Geschäftsführer von Wienerberger Österreich, ergänzt: »Wir sind in der glücklichen Lage, genügend Rohstoff über unsere eigenen Tongruben beziehen zu können.« Laut Marchner wird der Ziegelhersteller 2022 rund 20 Prozent mehr Dach- und 15 Prozent mehr Wandziegel als im Vorjahr produzieren.
»Aktuell arbeiten wir an einem großen Projekt zur Dematerialisierung unserer Produkte,« informiert Johann Marchner, Wienerberger.
Kreislaufwirtschaft ist eine zentrale Säule des Wienerberger Nachhaltigkeitsprogramms 2023. »Aktuell arbeiten wir an einem großen Projekt zur Dematerialisierung unserer Produkte. Wir stellen leichtere Produkte her, die aber dieselben Werte punkto Statik, Wärme- und Schallschutz haben.« Als Kreislaufmaßnahme nennt Norbert Prommer auch die Nutzung von Ziegelsand als Bodenverbesserung in der Landwirtschaft. »Es wird immer trockener, Niederschläge fallen intensiv aus. Mit Ziegelsand wird die Speicherfähigkeit der Böden verbessert.«
…dem Baustoff Stahl
Verbindungs- und Zugelemente, Stützen, Tragkonstruktionen aus Stahl sind heute Standard im Hochbau. »Stahl hat eine Zugfestigkeit wie kein anderer Baustoff«, betont Georg Matzner, Geschäftsführer des Österreichischen Stahlbauverbands. Verfügbarkeitsproblem von Stahl sieht er keines, vielmehr jenes der stark gestiegenen Preise. Rohstahl kostet heute bis zu 1.400 Euro pro Tonne. Da immer mehr Stahlerzeuger ihren CO2-Fußabdruck senken wollen, und das am einfachsten mit der Umstellung auf Elektrostahl geht (dieser wird zu 100 Prozent aus Stahlschrott erzeugt), gehen auch die Schrottpreise steil nach oben.
Um Elektrostahl erzeugen zu können, gieren daher alle nach Schrott, aber Schrott bildet ebenfalls einen teuren Recyclingmarkt. Mischschrott kostet laut schrott24.at 250 bis 350 Euro pro Tonne, Edelstahlschrott bis zu 2.400 Euro. Kreislaufwirtschaft bietet dennoch einen Ausweg. Das 4R-Konzept der Kreislaufwirtschaft – reduce, reuse, remanufacture und recycle, ist im Stahlbereich seit langem üblich. 99 Prozent lassen sich recyceln bzw. wiederverwenden. 2020 ergab das weltweit 580 Millionen Tonnen Stahlschrott, bis 2026 sollen es 750 Millionen Tonnen sein. Stahlbau eignet sich gut für Revitalisierung, bei gleicher Tragfähigkeit ist eine Stahlkonstruktion wesentlich leichter als herkömmliche Bauweisen und spart so Ressourcen.
…dem Baustoff Holz
Die österreichische Sägeindustrie blickt optimistisch auf 2022. »Die Baugenehmigungen nehmen zu und die Auftragsbücher vieler Holzbaubetriebe sind gut gefüllt, dementsprechend wird für das erste Halbjahr mit einer guten Inlandsabnahme gerechnet«, betont Markus Schmölzer, Vorsitzender der Österreichischen Sägeindustrie. Aus 2021 müsse gelernt werden. Schmölzer fordert daher vor allem bessere und rechtzeitige Planung. Politische Absichten, großflächige Waldflächen in Europa für die Holzernte zu sperren, wie sie etwa in der EU-Waldstrategie angelegt sind, sieht er sehr kritisch.
binderholz wertet die Versorgungslage ebenso gut. »Holz ist ein sehr globales Material geworden. Teilweise entstehen Entwicklungen, wie vergangenes Jahr, die man nicht einschätzen kann und die sich auf die Nachfrage auswirken«, stellt Geschäftsführer Helmut Spiehs fest. Man versuche, Holz nicht zu verbrennen, sondern Platten- und Spanwerkstoffe herzustellen. Auch ein erneuter Einsatz im Baubereich ist teilweise möglich.
Bei Sand und Schotter prognostiziert die OECD eine Steigerung des Verbrauchs von 115 %, bei Holz und Holzprodukten sogar von 250 %.
…dem Baustoff Glas
Bei Glas wird sich das angespannte Jahr 2021 laut Josef Hattmannsdorfer, Geschäftsführer des Flachglasherstellers Interpane, fortsetzen. Einige Glashütten in Europa sind auf Revision – Österreich hat keine eigene Glashütte im Bauglasbereich. Das führt zu Glasknappheit und weiter steigenden Preisen. Bei Basisglas gab es bereits 2021 ein Plus von 30 bis 45 Prozent, im veredelten Produktbereich zwölf bis 20 Prozent. Ein Kostenplus erwartet Hattmannsdorfer durch die Tatsache, dass Glashütten mit Gas betrieben werden und sich die Gaspreise verfünffacht haben. Während Recycling in anderen Branchen teilweise gegen Rohstoffknappheit hilft, gestaltet sich die Situation bei Glas anders. »Altglas vom Bau geht aufgrund hoher Transportkosten nicht zu den Lieferanten zurück, sondern wird in der Hohlglasproduktion wiederverarbeitet.«
Dominik Stern, Referent für Kreislaufwirtschaft beim Fachverband der Chemischen Industrie Österreichs, verweist auf ein Problem bei Kunststofffenstern, die mehr als 60 Prozent der Fenster ausmachen. »Diese werden nahezu vollkommen recycelt. Alte Rahmen werden gesammelt, zu Pellets weiterverarbeitet und hieraus werden neue Kunststoffrahmen hergestellt. Alte Fenster können allerdings geringe Bleianteile als Weichmacher enthalten. Diesen Anteil wird die EU weiter reduzieren, wodurch weniger Rezyklat in neuen Kunststofffenstern eingesetzt werden könnte – ein Hemmschuh für die Kreislaufwirtschaft.«