Von der Rekonstruktion mittelalterlicher Städte bis zur Visualisierung der Architektur von Morgen – maßstabsgetreue Architekturmodelle herzustellen ist aufwendig. Dank des 3D-Drucks geht das jetzt unkomplizierter: Immer häufiger setzen Architekt*innen und Planer*innen die additive Fertigung zur Herstellung von Modellen ein. Auch das Architekturinstitut Mainz und das Architektenbüro RPBW nutzen einen 3D-Drucker für die Planung und Visualisierung wichtiger Projekte.
Maßstabsgetreue Architekturmodelle sind ein wichtiges Hilfsmittel zur Visualisierung und Planung von Projekten. Doch die Herstellung solcher Modelle erfordert eine hohe Detailgenauigkeit, außerdem werden sie oft verändert. Das ist nicht nur sehr aufwendig, sondern kostet auch viel Zeit. Das Architekturinstitut Mainz und das Architektenbüro Renzo Piano Building Workshop (RPBW) kennen diese Herausforderungen. Sie setzen auf den 3D-Druck, um vor Ort kostengünstig detailgenaue Modelle zu erstellen.
Vom 3D-Drucker ins Landesmuseum Mainz
Mithilfe des 3D-Drucks rekonstruierte das Architekturinstitut Mainz die mittelalterlichen Städte Mainz, Worms und Speyer und visualisierte damit deren Entwicklung vom Beginn des Niedergangs des Römischen Reichs im Jahr 800 bis 1250. Anhand archäologischer Funde und erhaltener Strukturen bildeten die Forschenden die Städte zunächst digital nach. Die Konstruktion der Modelle geschah in einem CAD-Programm. Die STL oder OBJ-Datei wurde anschließend in die Software zur Druckvorbereitung importiert, damit der 3D-Drucker die Informationen verarbeiten konnte.
Im nächsten Schritt folgte die physische Repräsentation. Dabei fiel die Wahl auf den SLA-3D-Druck. Das Druckmaterial bildet verschiedene Kunstharze. Diese befinden sich in Kartuschen und können flexibel ausgetauscht werden. Beim Druck fließt das flüssige Kunstharz in einen Tank und wird dort anschließend mit UV-Strahlen gehärtet.
Zu Beginn des Drucks fährt eine Druckplattform herunter, bis sie mit dem Kunstharz abschließt. Anschließend härtet der Laser Schicht für Schicht das Produkt. In diesem Prozess taucht die unterste Schicht immer wieder in das flüssige Kunstharz ein, sodass ein nahtloser Druck möglich ist. Mit einem Kunstharz neutraler Farbe, der hohen Detailtreue und einer matten Oberfläche bot der SLA-3D-Druck die idealen Voraussetzungen für den Druck der mittelalterlichen Städte, ohne dass aufwendige Nachbearbeitungen notwendig waren.
Je nach Umfang der Details und Höhe der Gebäude pro Segment dauerte ein Druck zwischen zwölf und 24 Stunden. Die jeweilige Grundplatte von 12 cm × 12 cm mit einer Höhe von 0,8 cm bzw. 0,9 cm wurde dabei zuerst gedruckt, gefolgt von den architektonischen Einzelheiten. So entstanden schließlich aus über 650 Segmenten sechs detailgenaue Modelle von Mainz, Worms und Speyer im Maßstab 1:1.000.
Nachdem die 3D-gedruckten Teile aus dem Drucker entnommen wurden, durchlief jedes Segment einen routinierten Prozess: Die einzelnen Druckstücke wurden von der Bauplattform entfernt und die Stützstrukturen abgelöst. Im Anschluss wurden sie gewaschen und gehärtet, abschließend noch abgeschliffen und lackiert.
Nach zwei Jahren und über 22.000 Arbeitsstunden wurden in einem letzten Schritt die Modelle der drei Städte zusammengesetzt. Die 3D-gedruckten Modelle können nun im Digital Urban History Lab des Landesmuseums Mainz betrachtet werden.
Abends beauftragt, morgens ein fertiges Modell
Auch für das internationale Architekturbüro RPBW mit Büros in Genua, Paris und New York sind maßstabsgetreue Modelle aus dem 3D-Drucker zu einem grundlegenden Teil des Arbeitsprozesses geworden. So werden für jedes Projekt hunderte von groß- und kleinformatigen Modellen in den Werkstätten von RPBW hergestellt, um die unterschiedlichen Vorschläge und Ideen zu erproben.
Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf »Design to Build«. Das Konzept stellt sicher, dass jeder Bestandteil passt und das fertige Gebäude bis in das kleinste Detail dargestellt wird. Doch da an diesen Ideen weiterhin gearbeitet wird, ändern sich die Modelle ständig, sodass eine schnelle Anpassung möglich sein muss.
Dank 3D-Druck können die Modellbauer*innen von RPBW nun die Produktion detailgenauer und komplexer Modelle beschleunigen. Geometrien wie Kugeln und geschwungene Oberflächen oder kleine, filigrane Teile wie Treppen und Bäume, die nicht leicht von Hand zu fertigen sind oder sonst sehr zeitaufwändig wären, lassen sich mit dem 3D-Drucker problemlos anfertigen. So erhält man genau das Ergebnis, das man vorab in der 3D-Datei sieht.
Für gewöhnlich beginnen die Modellbauer*innen von RPBW damit, das maßstabsgetreue Modell auf Papier zu drucken, um die tatsächliche Größe des Modells einschätzen zu können. Im nächsten Schritt wird überlegt, wie sich das Modell aufteilen lässt. Dann werden die einzelnen Teile gedruckt. Im Architekturbüro von RPBW wird der 3D-Drucker in der Nacht gestartet, denn so steht morgens schon ein fertiges Modell bereit.
Online können die Mitarbeitenden direkt auf den 3D-Drucker zugreifen und Druckaufträge planen und genau timen – auch der Druckfortschritt kann so eingesehen werden. Dadurch verlieren die Modellbauer*innen tagsüber keine Zeit, außerdem müssen sie nicht auf Zulieferer warten. Die gesamte Produktion beschleunigt sich. Anpassungen der Modelle sind leicht möglich, da lediglich die CAD-Vorlage angepasst und ein neuer Druckauftrag gestartet werden muss.
Der 3D-Druck hat den Arbeitsalltag im Architekturbüro enorm erleichtert, denn sogar zeitaufwändige und filigrane Modelle können direkt vor Ort produziert werden. So wurden auch die komplexen Gelenke der Träger im Modell der neuen San-Giorgio-Autobahnbrücke in Genua 3D-gedruckt. Die Brücke hat vor kurzem die Morandi-Brücke ersetzt, die vor zwei Jahren eingestürzt ist.
Die Zukunft des Modellbaus
Der 3D-Druck spielt eine transformative Rolle bei der Herstellung von maßstabsgetreuen Architekturmodellen. Er erleichtert und beschleunigt den Arbeitsalltag. Mit einem 3D-Drucker können auch komplexe Modelle in einem einfachen Workflow hergestellt werden.
Ein Desktop-SLA-Drucker, wie ein Form 3 von Formlabs, hat lediglich eine Standfläche, die etwa so große ist wie ein DIN-A3-Blatt. Dank der Inhouse-Produktion sind Planer*innen nicht mehr an lange Wartezeiten von Zulieferern gebunden. Die Architekt*innen von RPBW sind bereits überzeugt, dass der 3D-Drucker in der Zukunft ein alltägliches und essenzielles Werkzeug in Architekturwerkstätten und -büros sein wird.
Der Autor
Stefan Holländer ist Managing Director EMEA beim 3D-Druck-Spezialisten Formlabs.
Info unter folgendem Link: www.formlabs.com