Donnerstag, Dezember 26, 2024
Mehr als die Summe seiner Teile

Wer nicht nachhaltig baut, wird in Zukunft gar nicht mehr bauen. Diese These der IG Lebenszyklus Bau betrifft vor allem die umfassende Betrachtungsweise im Bauen. Einen wesentlichen Part bilden ökologische Baustoffe.

Den ultimativ nachhaltigen Baustoff gibt es nicht. »Es hängt immer vom Anwendungsfall ab, welcher Baustoff am geeignetsten ist«, informiert Wolfgang Kradischnig, Sprecher der IG Lebenszyklus Bau und Geschäftsführer der Delta Holding.

»Wenn ich qualitativ hochwertige ökologische Werkstoffe jeden Tag mit nicht nachhaltigen Reinigungsmitteln behandle oder das Material beschichtet bzw. verklebt ist, werden sie rasch zum Sondermüll«, zeigt er auf.


»Nachhaltigkeit muss die Möglichkeit des Rückbaus einschließen. Im Moment werden nur 10 Prozent der Baustoffe recycelt, Ziel sind über 90 Prozent«, informiert Wolfgang Kradischnig, Delta und IG Lebenszyklus Bau.

Entscheidend sind Lebenszyklus und Nutzungsflexibilität, wodurch sich für Beton und Ziegel ein anderes Ökobild ergibt. Natürlich seien die beiden Baustoffe energie- und CO2-intensiv, an Entwicklungen und Verbesserungen werde aber bereits gearbeitet.

Norbert Prommer, Geschäftsführer vom Verband Österreichischer Ziegelwerke, nennt dazu die Verwendung von Ziegel-Schleifstaub statt Zement für die Betonherstellung, wie es Wienerberger bereits praktiziert. Zahlreiche FFG-Projekte beschäftigen sich laut Prommer mit Kreislauffähigkeit.

Auch in der Produktion gäbe es Fortschritte. Hochtemperatur-Wärmepumpen sind im Trocknungsprozess der Ziegel integriert und reduzieren die CO2-Emissionen um bis zu 80 Prozent.

Thomas Mühl, Geschäftsführer vom Verband Österreichischer Beton- und Fertigteilwerke, hebt Bemühungen zu Materialeinsparung und Recycling hervor.
»Vorgespannte Hohldielendecken ermöglichen bei der Produktion bis zu 40 Prozent Materialeinsparung gegenüber Volldecken bei gleicher Leistungsfähigkeit, Beton-Abfall wird zu 100 Prozent in den Produktionskreislauf rückgeführt«, betont er und verweist auf Studien an der BOKU Wien wie auch auf das Forschungsprojekt Öko2Beton.

Recycling- und Holzbeton sind für die ÖGNI mit Blick auf die CO2-Steuer eine mögliche Alternative. Hier werde die EU-Taxonomie einen deutlichen Schub bringen, fordert doch das Umweltziel Kreislaufwirtschaft, mit Stand 2021 eine Recycling Quote von 70 Prozent bei Gebäuden.



»Im geförderten Wohnbau in Salzburg und Kärnten hält Holzbeton bei den Baustoffen einen Anteil bis 60 Prozent. In Salzburg wurden in der jüngsten Wohnbauförderungsnovelle die Zuschlagpunkte für dieses Baumaterial verdoppelt«, informiert Thomas Mühl, Geschäftsführer der VÖB. (im Bild: Bauprojekt mit 35 Mietwohnungen in Leogang mit Einsatz von Holzbeton)

Ökologische Vorreiter 

Holz hat sich im klein- und großvolumigen Bau als Baustoff etabliert. Fortschritte gibt es auch bei Baustoffen wie Holzfaserwerkstoffen, Hanf, Stroh, Lehm, Kalk, Schafwolle u. Ä., die als Tragstruktur, Dämmstoff, Wandverkleidung, Bodenbelag und Beschichtung eingesetzt werden.

Noch bestehen bei Bauherren, Baubehörden, Planenden und Verarbeitenden Vorbehalte, die auf Informationsdefizite und z. B. Unsicherheiten bei Langlebigkeit und Kosten zurückzuführen sind. Am IBO läuft daher bis Mai 2023 das Forschungsprojekt »Clay to stay« zur Ausweitung der Lehmanwendung.

»Wir möchten Lehm auch im mehrgeschoßigen Wohnbau platzieren, z. B. Lehmplatten gegen Gipskartonplatten im Innenraum tauschen«, informiert Projektleiterin Ute Muñoz-Czerny. Dem Bedenken, dass Lehm Feuchteempfindlichkeit aufweist, erteilt sie eine Absage. Im Wohnbau sei das kein Thema, Feuchte betrifft den Außenbereich, wo Lehmplatten nicht eingesetzt werden.


Ziel des Forschungsprojektes »Clay to stay« ist die Ausweitung der Lehm-Anwendung im Baubereich.

Lehmplatten eignen sich laut Muñoz-Czerny auch im Badezimmer, ausgenommen dem Duschbereich. Sie puffern Feuchtigkeit und federn Spitzen ab. Dazu gibt es bereits Untersuchungen.

Ob Lehm Schadstoffe bindet, wird im Zuge des Projektes Clay to stay in der Fassadenbox der AEE Intec erhoben, wo eine Lehmwand und eine konventionelle Gipskartonwand integriert, gezielt Schadstoffe eingebracht und Raumluftmessungen durchgeführt werden.

Die ÖGNI gibt zu bedenken, dass bei vielen Vorteilen ein Problem alternativer Wandaufbauten, die statische Tragfähigkeit sein kann. Um die gleiche Last zu tragen, braucht es z. B. eine dickere Holz/Stroh/Lehm-Wand als die klassische Betonwand. Das wiederum reduziert die Nutzfläche.

Hier braucht es ein Umdenken der Developer bzw. auch ein Aufbrechen bestehender Bauvorgaben. Die Öko-Nase vorn hat Hanf, v. a. bei der Dämmung der Außenwand, da er sehr robust und feuchtigkeitsunempfindlich ist.
Im Öko-Trend liegen auch Flachs-, Kork- und Schafwolldämmplatten, Schilf als dämmender Putzträger, Naturharze und Pflanzenöle als ökologische Beschichtung und ökologische Faserputze aus zellulosegebundenen Naturfasern.



Für seine ökologische Struktur hat das Haus des Lernens der Gesa in St. Pölten klimaaktiv GOLD erzielt. Ein kurzer Blick in den ökologisch nachhaltigen Bau: Brettsperrholzelemente bilden den Kern des Gebäudes, die Außenwände bestehen aus mit Stroh ausgefachten Holzständerwänden, die mit Lehm verputzt sind, im Dachgeschoß bildet eine Lärchenschalung die Fassade, Bodenplatte und Stiegenläufe sind in Stahlbeton ausgeführt.


Projekt natuREbuilt

Das bestehende Informationsdefizit abbauen möchte auch das Innovationsnetzwerk natuREbuilt. Unter der Leitung der TU Wien beschäftigen sich 18 Projektpartner aus Forschung, Planung und Wirtschaft damit, Materialien aus nachwachsenden Rohstoffen im mehrgeschoßigen Neubau und in der Sanierung mehr Praxistauglichkeit und Wert zu geben.

Bis Juni 2023 werden Baustoffe und daraus entwickelte Konstruktionen auf ihre bauphysikalischen und lebenszyklischen Eigenschaften geprüft, resiliente Konstruktionen entwickelt, BIM-tauglich digitalisiert und ein entsprechender Baustoff-Katalog erstellt.

»Das Netzwerk erlaubt die umfassende Bewertung, welche Konstruktionen es bereits gibt, ob sie für das mehrgeschoßige Bauen geeignet sind, ob man Schichten ändern muss und wie etwa die Anforderungen an Schall-, Feuchte- und Brandschutz aussehen«, informiert Projektleiterin Univ.-Prof. Azra Korjenic vom Institut für Werkstofftechnologie, Bauphysik und Bauökologie der TU Wien.



Optimiert und simuliert werden alle Arbeiten am hauseigenen Ökoprüfstand. »Einzelne Schichten testen wir auch in der Doppelklimakammer, durchgeführt werden auch In-situ-Messungen.«

Ziel ist zudem die Entwicklung neuer Konstruktionen. Univ.-Prof. Azra Korjenic ist sich bewusst, dass nicht jeder Bauteil durch nachwachsende Materialien ersetzt werden kann. Der Kern in einem Hochhaus werde Beton bleiben, aber es gelte, Betone mit weniger Zement und aus nachwachsenden sowie Recycling-Materialien herzustellen.

»Wenn der Rest des Gebäudes aus NawaRo (Anm. Nachwachsende Rohstoffe) errichtet ist, hat man viel gewonnen.« Damit schließt sich der Kreis: Erst der Kompromiss ergibt das Optimum.


Veranstaltungshinweis:

Kolloquium 2021
»Forschung & Entwicklung für Zement und Beton«
10. November 2021, Wirtschaftskammer Österreich

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