Bei Bauprojekten kommt es während der Abwicklung regelmäßig zu Konflikten, etwa betreffend der Vertragsauslegung, Mehrkostenansprüchen dem Grunde und der Höhe nach, der Übernahmereife einer Leistung oder dem Vorliegen von Mängeln. Das Schiedsgutachterverfahren hat sich vor allem bei technischen Konfliktthemen bewährt, um Meinungsverschiedenheiten zwischen den Vertragspartnern noch während der Ausführung durch Mitwirkung eines unabhängigen und sachkundigen Dritten zu bereinigen.
Von Katharina Müller und Mathias Ilg
Voraussetzungen und Begriff
Voraussetzung für ein Schiedsgutachterverfahren ist das Vorliegen einer Schiedsgutachterabrede, also die Vereinbarung, bei Meinungsverschiedenheiten einen/mehrere bereits bestimmte/n oder (einvernehmlich) zu bestimmende/n Schiedsgutachter zu beauftragen. Eine derartige Abrede kann bereits im Hauptvertrag enthalten sein oder ad hoc getroffen werden.
Im Anlassfall wird dem Schiedsgutachter im Rahmen eines Schiedsgutachtervertrags der konkrete Auftrag erteilt, einzelne Tatbestandselemente oder einzelne Tatsachen festzustellen (= feststellendes Schiedsgutachten) oder über die reine Tatsachenfeststellung hinaus den Parteiwillen durch einen entsprechenden Ausspruch zu ergänzen, abzuändern oder zu ersetzen (= vertragsergänzendes Schiedsgutachten). Aufgabe des Schiedsgutachters ist es letztlich, die Rechtsbeziehung der Vertragsparteien in Teilbereichen einseitig zu gestalten. Regelmäßig dient das Schiedsgutachten dazu, auf Sachverhaltsebene eine Grundlage für eine Einigung der Vertragspartner selbst oder allenfalls für eine (schieds-)gerichtliche Entscheidung zu schaffen.
Verfahrensvorschriften
Das Verfahren und der Schiedsgutachtervertrag selbst unterliegen keinen bestimmten Form- oder Verfahrensvorschriften; insbesondere sind die gesetzlichen Regelungen zum Schiedsverfahren auf das Schiedsgutachterverfahren grundsätzlich nicht anzuwenden. Es empfiehlt sich daher, Regelungen zum Verfahrensablauf, zu den Aufgaben und Rechten des Schiedsgutachters, zur Bestellung und Ablehnung von Schiedsgutachtern, zur Mitwirkungspflicht der Parteien und deren Durchsetzbarkeit, zur Hemmung der Verjährung sowie zur Tragung der Verfahrenskosten zu treffen, wobei hier auf standardisierte Verfahrensordnungen zurückgegriffen werden kann (etwa DIS-Schiedsgutachtensordnung in Deutschland).
Wenngleich das Schiedsgutachterverfahren keinen Verfahrensvorschriften unterliegt, sind die allgemeinen Verfahrensgrundsätze der Unabhängigkeit des Schiedsgutachters und der Wahrung des rechtlichen Gehörs einzuhalten, sofern die Vertragspartner nicht auf die Unabhängigkeit des Schiedsgutachters verzichtet haben. Bei einer Verletzung dieser Grundsätze können die Parteien die Unwirksamkeit des Schiedsgutachtens einwenden und mittels Feststellungsklage gerichtlich geltend machen.
Bindungswirkung und Durchsetzung
Die Parteien können die Bindung an das Schiedsgutachten ausdrücklich oder schlüssig vereinbaren. Folge ist, dass dieses grundsätzlich sowohl für die Parteien als auch das (Schieds-)Gericht materiell-rechtlich bindend ist. Die Parteien können die Bindungswirkung des Schiedsgutachtens auch an bestimmte Bedingungen knüpfen, wie insbesondere an dessen sachliche Richtigkeit. Eine Lösung von der Bindungswirkung ist nur einvernehmlich möglich.
Treffen die Parteien keine vertragliche Regelung zur Einschränkung der Bindungswirkung, ist ein Schiedsgutachten nur dann nicht bindend und gerichtlich zu prüfen, wenn es sitten- oder gesetzwidrig gemäß § 879 ABGB ist, offenbar unbillig ist, oder der Schiedsgutachter die Grenzen des Schiedsgutachtervertrags überschreitet. Zudem kann die Unwirksamkeit wegen Zwang, List und Irrtum – sogenannte Wurzelmängel – geltend gemacht werden (§§ 870ff ABGB). Offenbar unbillig ist ein Schiedsgutachten bei einer gröblichen Verletzung von Treu und Glauben oder einer sofort erkennbaren Unrichtigkeit. Nicht jede Unrichtigkeit führt aber zum Wegfall der Bindungswirkung. Diese muss sich dem Beurteiler sofort aufdrängen, was jedoch nicht zu überspannen ist: Bei komplizierten Sachverhalten steht die Vornahme einer eingehenden und zeitintensiven Prüfung der augenscheinlichen Unrichtigkeit nicht entgegen; allerdings muss der Beurteiler ohne Zögern zum Schluss der Unrichtigkeit kommen. Für ein offenbar unrichtiges Schiedsgutachten gilt die geltungserhaltende Auslegung; die Bindungswirkung entfällt nur für die unrichtigen Teile.
Das Schiedsgutachten ist kein Exekutionstitel. Es bedarf zu seiner Durchsetzung der (schieds-)gerichtlichen Geltendmachung.
Die Schiedsgutachterabrede begründet zwar (prozessual) nicht die sachliche Unzuständigkeit des ordentlichen Gerichts. Jedoch ist der Anspruch bei vertragsergänzenden Gutachten oder solchen, die auf die Feststellung einer Leistung gerichtet sind, solange nicht fällig, als das Sachverständigenverfahren noch nicht endgültig gescheitert ist und noch nicht alle vorgesehenen Stufen ausgeschöpft wurden. Dem Beklagten steht insofern der Einwand der mangelnden Fälligkeit offen, sofern er auf die Durchführung eines Schiedsgutachterverfahrens (auch schlüssig) nicht verzichtet hat. Mit anderen Worten: Hat man die Durchführung eines Schiedsgutachterverfahrens vereinbart, ist der Anspruch erst klagbar, wenn das Schiedsgutachten vorliegt, wobei die Parteien in der Regel an das Schiedsgutachten als Grundlage des Prozesses gebunden sind.
Fazit
Das Schiedsgutachterverfahren eignet sich in Bausachen vor allem zur Abklärung wirtschaftlicher oder technischer Sachverhalte bereits während der Abwicklung. Die konkrete Gestaltung des Verfahrens und des Schiedsgutachtervertrages unterliegt weitgehend der Parteiendisposition. Die Ergebnisse des Schiedsgutachtens bieten den Parteien eine bindende Grundlage für eine einvernehmliche Lösung, schaffen eine solche aber auch bereits für ein mögliches (schieds-)gerichtliches Verfahren. Die Rechtsbeziehung der Parteien kann allenfalls bereits im laufenden Bauvorhaben geklärt und gestaltet werden. Bei Formulierung der Vertragsbestimmungen ist darauf zu achten, dass keine Abgrenzungsschwierigkeiten zu einer Schiedsabrede entstehen. Insbesondere darf dem Schiedsgutachter nicht das Recht eingeräumt werden, den Sachverhalt rechtlich zu subsumieren und über die Rechtsfolgen abschließend zu entscheiden. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die erfolgreiche Streitbeilegung durch Schiedsgutachten ist die Wahl eines wechselseitig akzeptierten und erfahrenen Schiedsgutachters oder allenfalls mehrerer.
Die Autoren
n Katharina Müller ist Partnerin bei Müller Partner Rechtsanwälte mit den Beratungsschwerpunkten Baurecht, Claimmanagement und Konfliktlösung.
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n Mathias Ilg ist bei Müller Partner Rechtsanwälte spezialisiert auf Baurecht, Claimmanagement und Konfliktlösung.
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www.mplaw.at