Lieferengpässe und außergewöhnliche Preissteigerungen bei verschiedensten Baustoffen, allen voran Stahl, Beton, Holz, Dämmstoffe, Ziegel, dominieren die Bauwirtschaft seit Beginn des Jahres. Praktisch im Wochentakt erreichen die Branche neue Meldungen über Höchststände bei den Einkaufspreisen, überlange Lieferzeiten und fehlende Verfügbarkeiten von Materialien. Ein Ende ist – aus heutiger Sicht – scheinbar nicht absehbar. Vieles wurde in den vergangenen Monaten über die rechtlichen Auswirkungen auf Bauverträge bereits publiziert. Der vorliegende Beitrag nimmt das Thema genauer unter die Lupe!
Teil I: Auswirkungen der Preissteigerungen
Ausführliche Tabellen in PDF-Form:
⇒ Überblick: Auswirkungen der Lieferkettenstörungen auf bestehende Verträge und deren Rechtsfolgen
⇒ Überblick: Wie wirken sich die gestiegenen Kosten für Bauprodukte auf bestehende Verträge aus und welche Rechtsfolgen lassen sich daraus ableiten?
Preissteigerungen und ihre bauwirtschaftlichen Folgen – »Mythos und Wirklichkeit«.
Mit Abschluss des Bauvertrages verpflichtet sich der Bauunternehmer/Auftragnehmer (AN) zur Ausführung einer (im Vertrag) definierten Bauleistung. Als Gegenleistung wird die Zahlung eines Entgelts durch den Werkbesteller/Auftraggeber (AG) vereinbart. Zumal sich die Steigerungen bei den Einkaufspreisen auf den Verdienst des AN auswirken (also den Werklohn, den er mit dem Auftrag lukrieren möchte), liegt es nahe, in einem ersten Schritt die konkreten bauwirtschaftlichen Auswirkungen der gestiegenen Preise zu ermitteln. »Dieser Aspekt kommt in der aktuellen Diskussion eindeutig zu kurz«, meint dazu Martin Schiefer, Partner der Kanzlei Schiefer Rechtsanwälte.
»Es mag sein, dass der Lieferant X dem AN in einem Informationsschreiben mitteilt, dass er die Preise für den Baustoff Y um 20 Prozent anhebt. Das ist unangenehm, sagt für sich allein aber noch nichts über die Auswirkungen auf den Werklohn des AN beim konkreten Projekt.« Kalkulatorisch setzt sich der Werklohn aus mehreren Komponenten zusammen. Tatsächlich ist zu hinterfragen, welche Leistungen nach dem Vertrag geschuldet sind, welche Produkte/Produktgruppen von den Preissteigerungen betroffen sind und wie der AN in den betroffenen Positionen kalkuliert hat. Auf diese Weise muss ermittelt werden, welche Folgen die Preissteigerungen für das Gesamtergebnis zeitigen bzw. wie sich diese auf das vom AN dem Werklohn zugrunde gelegte Preisgefüge auswirken.
Das ist eine wirtschaftliche Operation und dient als Ausgangspunkt für die Ermittlung der Auswirkungen in rechtlicher Hinsicht.
Überblick: Umgang mit Preissteigerungen
Die Auswirkungen der gestiegenen Einkaufspreise auf den Vertrag hängen in erster Linie davon ab, ob ein Festpreis vereinbart wurde oder der Vertrag zu veränderlichen Preisen geschlossen worden ist – so weit, so gut. In beiden Fällen darf nicht außer Acht gelassen werden, dass dem AN ein sorgfältiges Vorgehen bei der Preiskalkulation unterstellt werden muss (objektiver Sorgfaltsmaßstab). Ohne Weiteres ist also davon auszugehen, dass erwartbare Preissteigerungen bei Materialien in den Preisen einkalkuliert sind und nicht erwartbare Preissteigerungen im Wagnis – als Teil einer sorgfältigen Kalkulation – berücksichtigt wurden. »Die Rechtsprechung geht noch einen Schritt weiter, indem sie der Preisvereinbarung eine von AG und AN bewusst getroffene Risikoverteilung unterstellt«, ergänzt Heinrich Lackner, Rechtsanwalt bei Schiefer Rechtsanwälte, und verweist auf eine einschlägige Entscheidung des OGH vom 24.10.2013, 6 Ob 70/13g.
»Dies führt zu zwei wesentlichen Erkenntnissen im Umgang mit den aktuellen Preissteigerungen«, weiß dazu Detlef Heck, seines Zeichens Sachverständiger in bauwirtschaftlichen Angelegenheiten und Partner im Büro Heck + Partner in Graz. »Erstens ist das Ergebnis der bauwirtschaftlichen Betrachtung (Auswirkungen auf das Preisgefüge) um das Ausmaß der erwartbaren Preissteigerungen und den Wagniszuschlag zu bereinigen.«
Dazu Schiefer: »Rechtlich relevant sind Preissteigerungen bzw. die bauwirtschaftlichen Auswirkungen im Preisgefüge nur, soweit sie darüber hinausgehen.« Heck weiter: »Zweitens ist zwischen Festpreisverträgen und Verträgen mit veränderlichen Preisen zu differenzieren.« Bei Festpreisen stellt sich die Frage nach einem nachträglichen Eingriff in die Preisvereinbarung. Florian Müller, Mitarbeiter bei Heck + Partner, fügt hinzu: »Bei Vereinbarung eines veränderlichen Preises ist zu prüfen, inwieweit eine Preissteigerung vom vereinbarten Index erfasst wird.«
Wie sich diese Herangehensweise in der Praxis umsetzen lässt und zu welchem Ergebnis man hierbei unter Umständen gelangt, zeigt folgender Überblick in PDF-Form: TABELLE
Teil II: Auswirkungen der Lieferkettenstörungen
Lieferengpässe, Verzögerungen und Stillstände auf der Baustelle – wer trägt das Risiko?
Bei der Frage, wer die Konsequenzen aus einem Lieferengpass und daraus folgend die Konsequenzen aus Verzögerungen oder Stillständen auf der Baustelle zu tragen hat, ist danach zu differenzieren, welcher Vertragspartner die Gefahr der Verwirklichung eines solchen Ereignisses trägt. »Die Herangehensweise ähnelt insoweit dem Umgang mit den Preissteigerungen, als es letzten Endes ebenfalls um eine Verteilung des Risikos geht«, so Schiefer. »Im Unterschied dazu wirken sich Lieferengpässe auf die Bauausführung aus, bewirken im Sinne der ÖNORM B 2110:2013 also eine Leistungsabweichung, was bei bloßen Preissteigerungen nicht der Fall ist«, merkt Schiefer an. Deshalb kann aus einer bloßen Preissteigerung auch kein Anspruch auf Vertragsanpassung nach Pkt. 7.4 ÖNORM B 2110:2013 abgeleitet werden.
Die Auswirkungen der Lieferkettenstörungen und Lieferengpässe auf Bauverträge im Überblick: TABELLE
Werden von einem AN Forderungen auf Bauzeitverlängerung und/oder Vergütung von Mehrkosten gestellt (Sicht des AG) bzw. tritt infolge von Lieferengpässen eine Störung der Leistungserbringung ein (Sicht des AN), ist als Vorfrage zu beantworten, in welche Risikosphäre die Lieferkettenstörung fällt. Allgemeiner Konsens ist, dass zwischen der Sphärenzuordnung nach dem ABGB und jener nach der ÖNORM B 2110 unterschieden werden muss, da die ÖNORM B 2110 in gewissen Punkten eine vom Gesetz (ABGB) abweichende Zuordnung vornimmt. Allgemeiner Tenor: als Folge der weltweiten COVID-19 Pandemie liege ein Fall »höherer Gewalt« vor. Diese falle gemäß Pkt. 7.2.1 in die Sphäre des AG. Nach dem ABGB gingen sie als Umstände aus der neutralen Sphäre zulasten des AN.
»Gehen wir ein wenig in die Tiefe, ist zu erkennen, dass die aktuellen Lieferengpässe nicht per se als höhere Gewalt einzustufen sind«, gibt Lackner zu bedenken. »Wenn etwa heimische Produzenten nach Übersee verkaufen, weil dort bessere Preise zu erzielen sind, hat das nichts mit höherer Gewalt zu tun. Solches fällt unter das Marktrisiko, welches Pkt. 7.2.1 ÖNORM B 2110 nicht vor Augen hat.«
Überblick: Umgang mit Lieferkettenstörungen und Lieferengpässen
Aus der Übersicht lässt sich ableiten, welche Probleme bei der Abwicklung eines Vertragsverhältnisses auftreten (können) und wie mit diesen umzugehen ist. Die Folgen sind durchwegs komplex und auch für Themen im Zusammenhang mit Mehrkostenforderungen, Ansprüchen auf Bauzeitverlängerung und Pönalen relevant.
Der Einfachheit halber ist die Darstellung auf das ABGB und die Regelungen der ÖNORM B 2110 beschränkt.