Samstag, Dezember 21, 2024
Der Kampf gegen den Fachkräftemangel

Eine Stärkung der Lehre wird den aktuellen und zukünftigen Fachkräftemangel am Bau nicht beheben können. Sie kann ihn aber wesentlich abmildern. Die richtigen Lehrlinge zu finden, ist nicht einfach, der Wettbewerb um junge Talente hart. Der Bau & Immobilien Report zeigt, was jungen Menschen in der Ausbildung wichtig ist und wie Unternehmen darauf reagieren. 

Der Fachkräftemangel hat die Bauwirtschaft seit einigen Jahren fest im Griff. Und das wird vermutlich noch länger so bleiben. Daran ändert auch Corona nichts. Im Gegenteil, teilweise fehlende Arbeitskräfte aus dem Ausland in Kombination mit einer boomenden Branche verschärfen die Situation noch. Dass die begehrten Fachkräfte heute an allen Ecken und Ende fehlen, ist aber zumindest teilweise hausgemacht. Lange Jahre war die Lehrlingsausbildung nicht unbedingt ein Steckenpferd der Branche. Wurden im Jahr 2008 laut Statistik der BUAK noch 8269 Lehrlinge ausgebildet, waren es 2016 nur noch 6.015. Das entspricht einem Rückgang von knapp 30 Prozent. Zwar stellt 2016 den absoluten Tiefpunkt dar und es ging mit den Lehrlingszahlen seither wieder kontinuierlich nach oben, mit 6.991 im Jahr 2020 liegt man aber immer noch mehr als 15 Prozent unter dem Jahr 2008.

Bild oben: Seit 2016 gehen die Lehrlingszahlen wieder kontinuierlich nach oben, verglichen mit 2008 klafft aber weiterhin eine Lücke von 15 Prozent.

 

Erfreulich ist, dass die Coronakrise praktisch keine negativen Auswirkungen auf die Ausbildung hatte. 2020 haben fast fünf Prozent mehr Lehrlinge eine Ausbildung begonnen als im Jahr davor. Auch eine Umfrage des Report unter 25 führenden Branchenvertretern am Höhepunkt der Krise hat ergeben, dass keine Kürzungen am Lehrlingssektor geplant sind. Wenn es zu Rückgängen kommt, dann in den meisten Fällen, weil schlicht und einfach die Bewerber fehlen. Damit treten die Unternehmen auch in einen harten Wettbewerb um die besten jungen Köpfe – sowohl innerhalb der Bauwirtschaft als auch mit anderen Branchen.

»Junge Menschen von heute sind kritischer und wählen ihren Ausbildungsplatz dort, wo sie persönlich für sich die besten Chancen sehen. Das ist ein Auftrag an uns Unternehmen«, weiß Michael Wardian, Geschäftsführer der Kirchdorfer Fertigteilholding GmbH. Da hat die Branche in den letzten Jahren und Jahrzehnten an Terrain verloren. »Die Statistik zeigt, dass Metalltechnikberufe den Bau bei den häufigsten Lehrberufen junger Burschen überholt haben«, weiß Unternehmensberaterin und Lehrlingsexpertin Petra Pinker.

Lehrlinge finden und halten

»Die jungen Menschen erwarten sich vor allem eine gute und vielseitige Ausbildung mit respektvollem Umgang, Spaß bei der Arbeit in einem guten Team und später dann die Möglichkeit, Aufstiegsmöglichkeiten zu haben«, sagt Pinker. Am stärksten punkten können Unternehmen mit einem guten Ruf. Lehrlinge, die begeistert von ihrem Berufsalltag erzählen, sind die beste Werbung für Ausbildungsbetriebe. »Ich bin der Meinung, dass vor allem das Arbeitsklima, aber auch die Abwechslung im Berufsalltag für die Lehrlinge wichtig sind. Viele Lehrlinge vergleichen sich am Lehrbauhof mit Kollegen und sehen sehr wohl, auf welchem Ausbildungsniveau sie sich bewegen«, sagt Pinker. Wenn Lehrlinge am Ende der Lehrzeit viele Ausbildungsinhalte des Berufsbildes nicht beherrschen, sorgt das für Unbehagen und mangelndes Vertrauen in den Lehrbetrieb und die Ausbildung.

Viele Unternehmen haben auch damit zu kämpfen, dass Lehrlinge nach der Lehre ihre Zelte abbrechen und das Unternehmen wechseln, obwohl sie der Ausbildungsbetrieb gerne behalten möchte. Der häufigste Grund für den Wechsel ist laut Lehrlingsmonitor der österreichischen Gewerkschaftsjugend die »Suche nach etwas Neuem«. Oft tragen aber auch die Unternehmen selbst Mitschuld. »Einmal Lehrling, immer Lehrling«, ist eine häufige Befürchtung. Um das zu verhindern, müssen Betriebe dafür Sorge tragen, dass die ehemaligen Lehrlinge würdig in die Rolle der Jungfacharbeiter*innen wachsen können.

»Ich empfehle, einen Entwicklungsplan zu erarbeiten und vor allem rechtzeitig ein Gespräch mit dem Lehrling zu führen, noch bevor die Lehre zu Ende ist«, sagt Pinker. Viele schauen sich schon vor Lehrzeitende um und werden mit attraktiven Versprechungen mit einem schnellen Aufstieg abgeworben. Danach folgt leider oft die Ernüchterung. Pinker empfiehlt zudem, während der Lehrzeit einen Lehrlingsaustausch mit einem anderem Unternehmen durchzuführen, einfach um die Sehnsucht nach Neuem zu stillen und einen Blick über den Tellerrand zu ermöglichen.

Initiativen der Unternehmen

Innungen und Interessenvertretungen haben in den letzten Jahren zahlreiche Anstrengungen und Initiativen gestartet, um die Lehre am Bau selbst, aber auch deren Image zu verbessern. Die Bau-Lehre wurde auf völlig neue Beine gestellt, die Berufsbezeichnungen geändert, eine Kaderlehre eingeführt und der Fokus auf die Digitalisierung gelegt. Als sichtbares Zeichen der Digitalisierung und Attraktivierung der Baulehre erhalten alle Lehrlinge von der Bundesinnung Bau und dem Fachverbandes der Bauindustrie ein Gratis-Tablet.

Aber auch die Unternehmen selbst wissen um den Wettbewerb um die besten Köpfe und bemühen sich aktiv um die Nachwuchskräfte. Leyrer + Graf hat 2014 eine eigene Lehrlingskampagne ins Leben gerufen, die 2019 einem Relaunch unterzogen wurde. »Für die Kampagne haben wir unsere eigenen Lehrlinge gecastet und im schmutzigen Look fotografiert, abgekämpft, aber stolz und zufrieden«, erklärt Sabine Hahn, HR-Leiterin bei Leyrer + Graf. Mit dieser Kampagne, Schulbesuchen, Infoabende und Schnuppertage versucht das größte niederösterreichische Bauunternehmen, hoffnungsvolle junge Talente auch an entlegene Orte wie die Unternehmenszentrale in Gmünd zu lotsen. Dabei profitiert Leyrer + Graf auch vom guten Ruf als Lehrlingsausbilder, was nicht nur Benefit, sondern auch Verpflichtung ist.

»Wenn wir nicht einhalten würden, was wir versprechen, wären die Lehrlinge ganz schnell wieder weg«, weiß Hahn. Natürlich bietet auch Leyrer + Graf Goodies wie ein Smartphone, ein Tablet oder die Bezahlung des Führerscheins bei entsprechenden Erfolgen. Viel wichtiger sei aber die Wertschätzung, eine gute Ausbildung, ein gutes Arbeitsklima und gegenseitiges Vertrauen. »Bei der Lehrlingsausbildung ist das noch wichtiger, denn es geht auch um das Vertrauen der Eltern in das Unternehmen.

In welche Obhut gebe ich meine Kinder, damit diese eine gute Ausbildung genießen«, sagt Hahn, die sich glücklich schätzt, dass der Großteil der Lehrlinge nach der Lehrabschlussprüfung im Unternehmen bleibt. »Wir unterstützen unsere Lehrlinge sowohl bei ihrer fachlichen als auch persönlichen Entwicklung und motivieren sie, nach der Lehrabschlussprüfung ihren Weg mit der Werkmeisterschule fortzusetzen. Wer möchte kann sich in weiterer Folge dann on-the-job oder mit weiteren Ausbildungsmöglichkeiten zum Bauleiter oder Ähnlichem weiterentwickeln.«

Auch Kirchdorfer gelingt es, einen erklecklichen Teil der Lehrabsolventen im Unternehmen zu halten. »Alle sind gute Facharbeiter geworden und viele haben großartige Karrieren gemacht«, berichtet Wardian. Damit das auch in Zukunft so bleibt, versucht die Kirchdorfer Gruppe jeden Lehrling als Individuum anzunehmen und zu fördern. »Wir sind groß genug, um für jeden einen Platz zu finden, der seinen oder ihren Interessen und Talenten entspricht. Gleichzeitig sind wir aber auch noch in einer Größe, wo man sich kennt und ein persönliches und wertschätzendes Betriebsklima möglich ist«, sagt Wardian.

Weil Lehrlinge als Teil des Teams verstanden werden, gelten für sie die gleichen Incentives wie für alle Mitarbeiter*innen. »Wir feiern gerne Feste, genießen Ausflüge und nehmen an Sportaktivitäten teil. Gewinnspiele, Wettbewerbe und Teamveranstaltungen lockern unseren Alltag auf«, so Wardian. Auch im Bereich Gesundheit und Ernährung wird viel angeboten. Die Kirchdorfer Academy steht jedem mit einem breiten Bildungsangebot zur persönlichen Weiterentwicklung zur Verfügung. »Bei all dem sind unsere Lehrlinge immer ganz vorne mit dabei und wir freuen uns, all das gemeinsam mit ihnen zu erleben«, sagt Wardian.

Lehre löst nicht alle Probleme

Die Lehre allein wird den aktuellen und zukünftigen Fachkräftemangel nicht beheben können, sie kann ihn aber abmildern. Große Hoffnungen ruhen in der Baulehre Neu und der neu geschaffenen vierjährigen Bau-Kaderlehre. Mit ihr sollen besonders geeignete Lehrlinge für eine Karriere als Bau-Führungskraft aufgebaut werden. Noch wird die Kaderlehre aber sehr zögerlich angenommen. Gerade einmal 49 Lehrlinge gibt es aktuell in ganz Österreich, erklärt Walther Wessiak von der Landesinnung Bau Steiermark.

»Es braucht Zeit, bis sich die Möglichkeit der Kaderlehre in den Köpfen der Lehrlinge und Unternehmen festsetzt.« Ähnlich sieht das Sabine Hahn. »Die Spezialisierungen mit der Kaderlehre zum Hochbau-, Betonbau- oder Tiefbauspezialisten wird erst in einigen Jahren wirklich tragend, da die Lehre erst seit 2020 möglich ist. Hier ist es für eine entsprechende Mundpropaganda notwendig, dass es bereits Absolventen gibt, denn der Austausch unter den Jugendlichen ist ein wesentlicher«, sagt Hahn.

Ein wesentlicher Aspekt im Kampf gegen den Fachkräftemangel muss laut Wessiak neben der Lehre auch der zweite Bildungsweg sein. »Alleine in der Steiermark haben wir aktuell 50 Personen in der Ausbildung. Da gibt es auch kein Altersgrenze. Der jüngste ist 22, der Älteste 52. Das waren früher Hilfsarbeiter und sie werden jetzt zu Facharbeitern umgeschult«, so Wessiak. 


Mit Studiengängen zur Bauführungskraft 

Die Baulehre ist oft der erste Schritt in einer erfolgreichen Baukarriere. Um genau die Management-Kompetenzen aufzubauen, die einen bis zur Bauführungskraft bringen, eignen sich besonders bauspezifische Studiengänge. So starten etwa im September in Linz und Wien zwei berufsbegleitende Master-Studiengänge der Bauakademie BWZ OÖ in Kooperation mit der Donauuni Krems, die die Teilnehmer*innen zukunftsfit für den Bau machen.

MBA Bauwirtschaft: Auf die Besonderheiten für Führungskräfte im Baukontext geht der MBA Bauwirtschaft ein. Neben den technischen Skills stehen hier besonders die Sozial- und Wirtschaftskompetenzen im Vordergrund. Die Teilnehmer*innen durchlaufen in vier Semestern die drei Entwicklungsebenen Commercial Fitness, Business Fitness und Management Fitness. Dabei liegt der Fokus auf betriebswirtschaftlichem, strategischem und rechtlichem Wissen, immer aufbauend auf Projekten aus der Bau-Praxis.

MSc Building Information Modeling: Der viersemestrige Master of Advanced Studies Building Information Modeling bietet Teilnehmer*innen aus allen Ebenen der Wertschöpfungskette am Bau eine umfassende Ausbildung zum aktuellen Thema BIM, die weit über das Digitale Planen hinausgeht. Im Sinne der Sharing Economy werden die Potenziale von BIM zur Steigerung der Produktivität von Bauprojekten – begleitet durch die Senkung der Lebenszykluskosten – erarbeitet. Die Herausforderungen digitalen Bauens werden dabei genauso beleuchtet wie aktuelles und praxisorientiertes Wissen in den Bereichen Bauprozesse, IT und Kommunikation.


Infos und Anmeldung unter:
www.bwz.at

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