Unter Präsident Biden nimmt Washington einen erneuten Anlauf, ein Infrastrukturpaket auf den Weg zu bringen – mit zweifelhaften Erfolgsaussichten.
Dringend brauchen die USA Investitionen in die Infrastruktur. Das Bahnnetz ist im vergangenen Jahrtausend zurückgeblieben, die Straßen sorgen für stolze Umsätze bei den Herstellern von Radlagern – dank der vielen Schlaglöcher. Brücken sind ein Sicherheitsrisiko. Das Stromnetz ist einer Industrienation unwürdig – wie das Blackout im Februar in Texas gezeigt hat. Insgesamt spricht das Weiße Haus in einem veröffentlichen Fact Sheet von 277.000 Autobahn- und Straßenkilometern, die sanierungsbedürftig sind. 45.000 Brücken werden als desolat eingestuft. Stromausfälle verursachen jährlich Kosten von 70 Milliarden USD, erklärt das Weiße Haus.
Der Bedarf ist unbestritten. Infrastruktur stand auch unter Präsident Trump ganz oben auf der To-Do-Liste. Er ist gescheitert und Bidens Plan droht ein ähnliches Schicksal. Biden beschränkt sein Programm nämlich nicht auf das dringend Notwendige, sondern geht weit darüber hinaus. Vom Infrastrukturplan sprechen nur die Medien, Biden selbst nennt es den »American Jobs Plan«, der von der häuslichen Pflege, Mutterschutz, Krankengeld, Ausbildung, Schulfinanzierung, leistbarem Wohnen, Klimaschutz und Hilfsprogramme für Klein- und Mittelbetriebe alles beinhaltet.
Das mache das Projekt zu einer Mogelpackung, kritisieren Republikaner rund um den Senator Mitch McConnell. Das Fortune-Magazin rechnet vor, dass nur 24 Prozent des gesamten Paketes tatsächlich in Infrastruktur gehen, der Rest sei eine massive Ausweitung des Staatseinflusses auf die Wirtschaft.
643 Milliarden für die Infrastruktur
Rund 643 Milliarden betreffen Infrastruktur im traditionellen Sinn: 111 Milliarden für die Wasserversorgung, 100 Milliarden für den Breitbandausbau, 100 Milliarden ins Stromnetz, 115 Milliarden in den Straßenbau, 85 Milliarden in den öffentlichen Verkehr, 80 Milliarden ins Bahnnetz, weitere 52 Milliarden in Flughäfen und den Schiffsverkehr. Das ist in etwa ein Drittel des Paktes.
Für leistbares und nachhaltiges Wohnen sind 213 Milliarden vorgesehen, für öffentliche Schulen und Lernzentren 137 Milliarden. Für Elektrofahrzeuge 174 Milliarden, für die Beseitigung von Ungleichheiten im Transportwesen – was immer das heißen mag – sind noch einmal 45 Milliarden im Paket. Das sind weiter 569 Milliarden. Der dritte Block mit rund 400 Milliarden firmiert unter dem Begriff Pflegewirtschaft und sieht bezahlte Krankenstände und häusliches Pflegegeld vor.
Politische Spielchen
Die Demokraten haben im Senat die knappste aller möglichen Mehrheiten. Die Sitze sind mit 50:50 gleich verteilt. Vizepräsidentin Kamala Harris fungiert als Senatspräsidentin und kann mit ihrer Stimme bei Gleichstand für eine Mehrheit sorgen, allerdings muss dafür mit einer lang gehegten Tradition aufgeräumt werden. Regel Nummer 22 der Senatsgeschäftsordnung sieht vor, dass die Debatte über einen Gesetzesvorschlag nur mit einer Mehrheit von 60 Stimmen beendet werden kann. Erst dann darf abgestimmt werden. Das Ergebnis: Die Debatten über umstrittene Gesetzesvorhaben enden nie.
Das führe zu einer Lähmung, sagen jetzt die Demokraten und wollen Regel 22, den Filibuster, loswerden. Aber lang gediente Senatoren, wie Joe Manchin, ein Demokrat aus West Virgina, wollen daran festhalten ,weil sie vor nicht allzu langer Zeit selbst in der Minderheit waren und es bald wieder sein könnten. Nicht die Diktatur einer Mehrheit, sondern ein breiter Konsens in zentralen Fragen sollte mit der Filibuster-Regel erreicht werden. Diese Tradition will Joe Manchin verteidigen, wie er immer wieder angekündigt hat.
Außerdem hat Manchin auch klar gemacht, dass er Bidens Plan in der Form nicht unterstützen wird.
Damit wäre Biden auf Stimmen aus der Reihe der Republikaner angewiesen und darauf kann er nicht zählen. Das gigantische Ausgabenpaket müsste mit kräftigen Steuererhöhungen finanziert werden. Da spricht das Mantra der Roten (Parteifarbe der Republikaner) dagegen. Niedrige Steuern und wenig Staat sind die zwei
Forderungen, die die sonst zerstrittene Truppe um McConnell verbindet.
Chuck Schumer, der Mehrheitsführer im Senat, hat noch einen Pfeil im Köcher. Er könnte Bidens Plan als reine Budget-Revision deklarieren und damit einen Beschluss mit einfacher Mehrheit ermöglichen – vorausgesetzt, Joe Manchin kehrt auf Parteilinie zurück.
Oder Schumer folgt Manchins Vorschlag, das Monsterprogramm in drei kleinere Teile aufzuspalten, was natürlich ein Begräbnis erster Klasse für alle Bereiche bedeuten würde, die nicht die Infrastruktur betreffen.
Kritik von innen
Unerwartete Kritik an Bidens Paket kommt von einem alten Bekannten. Larry Summers, Finanzminister unter Bill Clinton und Chef des Wirtschaftsbeirates unter Barack Obama, läßt kein gutes Haar an der Wirtschaftspolitik Joe Bidens und bezeichnet sie als »verantwortungslos«. Summers warnt davor, dass mit diesen massiven Programmen die Gefahr einer Hyperinflation angeheizt werde. Die Kombination aus Förderungsprogrammen der Regierung, loser Geldpolitik der Notenbank und raschem Anstieg des privaten Konsums mache einen sprunghaften Anstieg der Inflation wahrscheinlich.
Damit ist Summers allerdings ein einsamer Rufer unter den demokratischen Wirtschaftsexperten. Die sind alle längst auf den Zug der »Modern Monetary Theory« aufgesprungen. Schulden spielen keine Rolle, Geld drucken ist kein Problem. Solange das Geld-Angebot und die Nachfrage im Gleichgewicht bleiben, ist alles im Lot. Aber Larry Summers warnt: »Die Vorstellung, dass die Situation nicht rasch kippen könnte, ist einfach falsch.«