Über Jahrzehnte galt Holz als wenig zeitgemäßer Baustoff. Aufgrund seiner klimafreundlichen Bilanz erlebt das vielseitige Material derzeit eine Renaissance – durch neue Bauweisen auch im mehrgeschoßigen Bau.
Nur wenige Baustoffe haben so ein positives Image wie Holz. Natürlich, nachwachsend, heimisch, warm – dennoch traten ab dem 20. Jahrhundert Materialien wie Beton, Stahl und Glas in den Mittelpunkt. Insbesondere für mehrgeschoßige Bauwerke schien Holz nicht geeignet. Als typisches Holzhaus galt lange Zeit ein Blockhaus auf dem Land. Auch Kindergärten und Schulen werden im ländlichen Raum seit vielen Jahren vorwiegend mit dem nachwachsenden Rohstoff gebaut. Dass Holz anderen Baustoffen auch bezüglich Schallschutz und Brandsicherheit um nichts nachsteht, erkannten zunächst Fertighaushersteller, die den hohen Vorfertigungsgrad und die große Flexibilität bei Planung und Ausführung optimal nutzen können. Die Berücksichtigung individueller Wünsche trotz kurzer Bauzeiten überzeugte auch die Kunden.
Erst in jüngster Zeit gewann Holz sein Ansehen als Baustoff zurück und erobert auch die Städte – in Form von Hochhäusern. Architekten überbieten einander mit spektakulären Entwürfen, die vor allem nach oben kaum Grenzen kennen. Alle Superlative sprengen soll ein 350 Meter hohes Holzhochhaus in Tokio, dessen Eröffnung für 2041 geplant ist. Der Plyscraper – die englische Bezeichnung für einen Wolkenkratzer aus Holz – umfasst 70 Stockwerke. Um das Hochhaus auch gegenüber Erdbeben abzusichern, soll es durch eine außenliegende Stahlkonstruktion entlastet werden.
Das derzeit noch höchste Holzhochhaus der Welt misst 85,4 Meter und steht in Brumunddal in Norwegen. Das Mjøstårnet wurde im März 2019 nach knapp zwei Jahren Bauzeit eingeweiht. Auf insgesamt 18 Stockwerken befinden sich Hotelzimmer, Büros, ein Restaurant, ein Veranstaltungssaal und 33 Wohnungen.
Als zweithöchstes Holzgebäude wurde ursprünglich das HoHo in der Seestadt Aspern geführt. Aufgrund der Hybridbauweise – nur 75 % des Gebäudes bestehen aus Holz, der Kern aus Beton – fiel das Wiener Projekt allerdings aus dem Ranking. Die ersten Mieter bezogen bereits ihre Flächen, noch heuer eröffnet die Hotelkette Dormero ihre Etagen.
Der erste mehrgeschoßige Holzbau Wiens geht bereits auf das Jahr 2006 zurück. Ermöglicht wurde die Errichtung des fünfstöckigen Wohnhauses mit 154 Mietwohnungen in Floridsdorf durch eine Ende 2001 erfolgte Novelle der Wiener Bauordnung, die den Holzbau nicht mehr aus Sicherheitsgründen auf ebenerdige Gebäude beschränkte. Jedoch gelten strenge Brandschutzvorschriften, die auch bei der Planung des HoHo in Aspern die zentrale Frage waren: Das aus den vorgefertigten Elementen bestehende Konstruktionssystem weist keine Hohlräume auf, in denen sich ein Feuer unbemerkt entwickeln und ausbreiten könnte. Zudem ist der Bau in viele kleine, gekapselte Brandabschnitte untergliedert. Bei einem Belastungstest mit 90-minütiger Befeuerung bei 1.000 °C blieb der Kern des Holzes völlig intakt.
>> Trend zur Vorfertigung <<
Auch abseits dieser vielbeachteten Bauprojekte zeigt sich, dass mehrgeschoßige Holzbauten sowohl in technischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht mit Gebäuden aus mineralischen Baustoffen mithalten können. Das ist zunächst der moderneren Baukonstruktionsweise geschuldet, die sich von der strengen Kategorisierung nach Holzrahmen-, Holzskelett- und Holzmassivbau gelöst hat und eine Mischung verschiedener Bauweisen zulässt. Damit eröffneten sich der Holzbauarchitektur vielfältigere Möglichkeiten in der Gestaltung.
»Der mehrgeschoßige Holzbau hat nach der Öffnung der gesetzlichen Rahmenbedingungen und durch neue Produkte bzw. Innovationen in den letzten 20 Jahren kontinuierlich Marktanteile gewonnen. Ein wesentlicher Faktor für den vermehrten Einsatz von Holz in tragenden Gebäudestrukturen und im mehrgeschoßigen Holzbau ist Brettsperrholz«, erklärt Erich Wiesner, Obmann des Fachverbands der Holzindustrie sowie CEO der WIEHAG Holding, einem international tätigen Holzbauunternehmen in Altheim in Oberösterreich. 60 % des europäischen Brettsperrholzes werden in Österreich hergestellt, die Produktionsmenge wächst zweistellig. Österreich behauptet sich in diesem Marktsegment im internationalen Wettbewerb sehr gut.
Die Automatisierung entlang der gesamten Prozesskette kommt der Branche zugute. Voraussetzung ist ein integraler Planungs- und Bauprozess, denn Holzbau mit vorgefertigten Konstruktionselementen erfordert systematischen Aufbau und ausgeklügelte Baustellenlogistik, um wettbewerbsfähig zu sein. Lückenlose Planung, exakte Ausführung und schnelle Abfolge der Arbeiten sorgen für Kostensicherheit – ein Faktor, der Holzbau auch für Investoren interessant macht. »Die Vorfertigung ist der große Vorteil des Ingenieurholzbaus. Dieser Vorteil ist so gut wie möglich zu nutzen«, bestätigt Roman Fritz, Geschäftsführer der Rubner Holzbau GmbH. »Dies bedingt andere Planungs- und Bauprozesse – sehr genaue Planung, keine Anpassungen auf der Baustelle, nur mehr Montage.«
>> Kostenoptimierung <<
Im Rahmen einer Forschungsarbeit an der TU Graz verglich der Bautechniker Jörg Koppelhuber die Kosten eines drei- und eines achtgeschoßigen Holzbaus mit den Kosten eines mineralischen Massivbaus, jeweils ohne Ausbau. Das klare Ergebnis: Eine Konstruktion in Holzbauweise ist durchschnittlich um rund sechs Prozent teurer als die mineralische Bauweise. Betrachtet man aber die gesamte Bausumme, differenziert sich dieses Bild. So entsteht durch die schlankere Bauweise mit Holz bei gleicher Außenwandabmessung eine größere Nutzfläche und eine geringere Dimensionierung der Fundamente ist erforderlich. Durch die Vorfertigung verkürzt sich die Bauzeit erheblich. Die höheren Kosten bei der Herstellung können somit durch bessere Miet- und Verkaufserlöse kompensiert werden.
Der finnisch-schwedische Konzern Stora Enso, der in Österreich mehrere Standorte betreibt, setzt auf Digitalisierung, um die Abläufe noch einfacher plan- und umsetzbar zu machen. Das gelingt seit kurzem mithilfe der App CLT360+, so Johanna Kairi, Business Development Managerin bei Stora Enso Wood Products: »Sie ermöglicht Montage-Teams auf der Baustelle, die QR-Codes von den Elementen zu scannen, um so die genaue Platzierung des Elements in einem 3D-Modell des Projekts zu sehen und eine Vogelperspektive des gesamten Projekts zu erhalten. Damit verkürzt sich die Installationszeit und Fehler werden vermieden.«
Bei der Errichtung des neuen Seminarzentrums der BOKU Wien, das Stora Enso auch als Pilotprojekt dient, werden erstmals digitale Sensoren eingesetzt, die sowohl während des Transports als auch während der Bauphase die Temperatur und Feuchtigkeit der Holzelemente aufzeichnen. Über Track & Trace-Tools kann die Lieferung zudem mittels Dashboard verfolgt werden, erklärt Kairi: »Der Kunde oder Bauleiter weiß zu jeder Zeit, wo sich die Lieferung befindet und sie kommt just-in-time auf der Baustelle an. Die vorgefertigten Elemente werden so in den Lkw oder Container eingeladen, sodass sie in der richtigen Reihenfolge ausgeladen und sofort aufgebaut werden können.«
>> Über die Hochhausgrenze <<
Entscheidend ist die Abstimmung der einzelnen Gewerke im Ausbau: Änderungen oder Verzögerungen im Planungsverlauf können den Zeitgewinn durch die Vorfertigung rasch zunichte machen. Fachverbands-Obmann Erich Wiesner sieht auch in den Regularien noch Luft nach oben: »In den vergangenen Jahren wurden die bautechnischen Anforderungen in Österreich weitgehend harmonisiert. Dennoch steht der Holzbau vor weiteren Hürden, die überwunden werden sollten. Eine davon ist die Hochhausgrenze. Hier gibt es noch einiges zu tun, um die Rahmenbedingungen für den ökologischen Hightech-Baustoff Holz zu verbessern und an andere Baumaterialien anzugleichen.«
Im Ausland konnten österreichische Holzbauunternehmen ihre Technologieführerschaft unter Beweis stellen – Wiesner nennt als aktuelles Beispiel die Universität NTU Singapur, die auf einer Fläche von rund 45.000 m² vollständig aus Holz errichtet wurde. Auch das Banyan Wharf, Londons erstes zehngeschoßiges Holzhaus, und ein norwegisches Studentenheim, bestehend aus fünf Hochhäusern mit neun Stockwerken, entstanden mit dem Know-how unserer Holzindustrie. Derartige Leuchtturmprojekte lassen im Holzland Österreich noch auf sich warten.
Dennoch ist Bernhard Egert, Geschäftsführer der Graf-Holztechnik GmbH, überzeugt, dass das HoHo in Wien-Aspern schon bald Nachahmer findet: »Der Baustoff Holz ist mit all seinen positiven Qualitäten auch im städtischen Raum für Bürogebäude oder kommunale Einrichtungen so richtig angekommen. Die ganze Branche arbeitet an der Optimierung von Standard-Aufbauten und Detail-Ausbildungen, um wirtschaftliche Lösungen anbieten zu können.« Nicht mehr wegzudenken sei Holz aus Bauvorhaben im Tourismus, so Egert: »Die schnelle Bauzeit ermöglicht die Umsetzung von Hotelprojekten zwischen den Hauptsaisonen im Winter und Sommer und sichert somit eine rasche Nutzung. Die hohe Wohnqualität und Behaglichkeit kommt bei den Kunden sehr gut an.«
Weiteres Potenzial für den Holzbau zeigt sich im Bestandsbau und der Verdichtung im urbanen Raum. Aufgrund des niedrigeren Bauwerksgewichts sind Aufstockungen leichter zu realisieren. Die geringere Lärm- und Staubbelastung während der kurzen Bauzeit freut auch die Anrainer. In der Notwendigkeit, ressourcenschonend, energieeffizient und klimafreundlich zu bauen, gewinnt Holzbau unweigerlich an Bedeutung, sind sich die Experten einig. »Gebäude sind kein Wegwerfprodukt. Das Ziel muss sein, den Lebenszyklus zu verlängern«, resümiert Bernd Höfferl von proHolz Austria und zieht einen Vergleich zum gegenwärtigen Thema Nr. 1: »Der Klimawandel ist mit Sicherheit die größere Bedrohung als ein Virus. Wir werden dieses Match gewinnen, aber das kann nur gemeinsam gelingen.«