Gesetze und Normen müssen eindeutig, widerspruchsfrei und lesbar sein. Daran scheitert es aber oft. Für ein und dasselbe Projekt gibt es mitunter unterschiedliche Vorgaben. Kritik gibt es auch auch an der Zusammensetzung der Normenausschüsse.
Wir stoßen bei den Baunormen auf Verwicklungen, die letztendlich individuell teils mit dem Verfasser der Richtlinien gelöst werden müssen. Sonst geht es nicht«, informiert Siegfried Schrenk, Experte für Qualitätssicherung und Gewährleistung bei der Strabag. Paradebeispiel, das zu Unstimmigkeit unter Hochbauern und Ausführungsproblemen führt, ist für ihn die Barrierefreiheit bei Ausgängen auf Balkone und Terrassen. Der Ausgang erfolgt in der Regel mit einer sogenannten Fenstertür, die bis zum Boden hinuntergeht und dort laut Vorgabe der ÖNORM B 1600 maximal eine Schwellenhöhe von 3 cm haben darf. Stufen davor sind laut der Norm unzulässig.
Wärmedämmungen, die im Außenbereich die Regel sind, erfordern allerdings Stufen. Die Bundesinnung der Elektrotechniker kritisiert, dass die OIB 6 die Nutzung von PV-Anlagen im Baurecht verhindert. Der selbst produzierte Ökostrom wird im Energieausweis nicht gegengerechnet. Damit widerspricht sie den Zielen der RED II, wonach u.a. der Anteil der erneuerbaren Energien im Bereich der Wärme- und Kälteversorgung um jährlich 1,3 % erhöht werden soll. Andreas Ruby, Geschäftsführer der Landesinnung Bau Wien nennt wiederum Gegensätze bei den aktuellen Normen und den Anforderungen bei Sanierungen von denkmalgeschützten Gebäuden.
Das Bundesdenkmalamt geht ins Detail: Erhaltungsinteresse versus Nachrüstverpflichtung sowie fehlende Möglichkeiten zu kreativem Planen, wobei Schadensfreiheit garantiert wird und das Erscheinungsbild des Baudenkmals erhalten bleibt. Widersprüche sind für Siegfried Schrenk durchaus nachvollziehbar, da Regelungen und Normen in relativ kurzen Zeitabständen erneuert werden und Adaptierungen zeitgleich erfolgen müssen. »Man versucht, Details zu regeln, was zu Widersprüchen führen kann«, ergänzt Roman Fritz, Geschäftsführer von Rubner Holzbau.
Martin Car, Geschäftsführer des Baustoff-Recycling-Verbandes, erklärt das damit, dass jede Novelle im Rechtsbereich zu Ungereimtheiten mit einer mit Ausgabedatum versehenen, zwingend zu verwendenden Norm führt, die dann nicht mehr passt. Dazu nennt er die ÖNORM B 3151, die selbst bei Überarbeitung und Neuerscheinung keine Rechtsgültigkeit im Sinne der Recyclingbaustoffverordnung erlangt, da der statische Verweis aus der RBV weiter auf die dann alte ÖNORM verweist.
Normendschungel
In Österreich gibt es rund 3.000 Normen, die den Bau betreffen. Jedes Jahr gibt es hunderte neue Normen, die in erster Linie EU- bzw internationale Regulative sind. Wie können sich kleine Baubetriebe, die für die Normenarbeit keine/n Mitarbeiter/in abstellen können, in diesem Normendschungel zurechtfinden bzw. ist es ihnen möglich, Widersprüche zu entdecken?
»Wenn ich ein Rezept wüsste, wäre das sehr viel wert«, schmunzelt Rainer Pawlick, Innungsmeister der Landesinnung Bau Wien. Der Baustoff Recycling Verband versucht, zusammenfassende Merkblätter und Richtlinien zu erstellen, um den Anwendern eine Zusammenschau von Rechtsvorgaben und technischen Standards zu geben. »Nur mehr für Spezialisten lesbare, oft bewusst durch komplizierte Verfahren zum Wohl weniger Institutionen von Lobbyisten verfasste Normen sind zu verhindern bzw. hintanzuhalten«, fordert Martin Car.
Saint-Gobain Rigips hat mit dem Merkblatt »Unser Badezimmer« eine gewerkübergreifende Richtlinie erstellt, die für Thomas Huber, Leiter Anwendungstechnik, beispielgebend ist. »Wir arbeiten in diversen Ausschüssen intensiv mit. Es ist natürlich zielführend, darüber hinaus aktiv zu werden.« Für Elisabeth Stampfl-Blaha, Geschäftsführerin von Austrian Standards, braucht es mehr Koordination zwischen den Regelerstellern. Roman Fritz sieht das etwas anders. »Wir sind in allen möglichen Ausschüssen aktiv, erleben aber operativ keine Widersprüche. Wenn eine vernünftige Beauftragung vorhanden ist, dann ist im deutschsprachigen Raum das Leistungsbild sehr klar.« Angesprochen auf den Normendschungel gibt Architekt Thomas Romm, Gründer des BauKarussells, zu bedenken, dass es schwierig sei, zu kürzen. Im Bereich Gebäuderückbau würden Norm und Recyclingbaustoffverordnung noch dieselbe Sprache sprechen.
»Die nationalen Vorgaben, RVS und ÖNORM, basieren meist auf gewachsenen Strukturen und sind in den meisten Betrieben seit Jahrzehnten implementiert«, bestätigt Martin Car. Unübersichtlich werde es, wenn europäische Prüfvorschriften und EN-Normen Systemumstellungen bewirken, die neue Abläufe und Organisationsschritte benötigen. »Viele Prozesse sind in Österreich und Deutschland genau und gut geregelt, auf EU-Ebene können sie aber nicht umgesetzt werden. Sie werden aufgeweicht«, kritisiert Roman Fritz.