In den nächsten 15 Jahren sind weltweit zusätzliche Gewinne im Bausektor von bis zu 265 Mrd. US-Dollar pro Jahr möglich. Digitalisierung, neue Produktionsverfahren und Firmenzusammenschlüsse treiben die Veränderung. In 15 Jahren werde die Branche viel "Silicon Valley" in sich tragen", so die zentralen Erkenntnisse einer aktuellen McKinsey-Studie.
Die Corona-Pandemie wird weltweit einen dramatischen Umbruch in der Bauwirtschaft beschleunigen: Die Digitalisierung, neue Fertigungsverfahren und Materialien sowie vermehrte Zusammenschlüsse von Unternehmen werden die Baubranche grundlegend verändern. Im Ökosystem Bauen, das neben den Bau-Unternehmen auch Bauherren, Projektentwickler, Materialanbieter und Verleiher von Baumaschinen umfasst, werden aktuell weltweit 11 Billionen US-Dollar Wertschöpfung generiert, bei einem Gesamtgewinn von rund 1,5 Billionen Dollar. In den kommenden 15 Jahren sind zusätzliche Gewinne von jährlich bis zu 265 Mrd. Dollar möglich. In den am stärksten umgewälzten Segmenten wie dem Wohnungs- oder Hotelbau werden bis zu 45% der Bruttowertschöpfung neu verteilt werden. Dies geht aus einer neuen Studie von McKinsey & Company mit dem Titel „The next normal in construction – how disruption is reshaping the world’s largest ecosystem“ hervor. Die Analyse beruht auf Interviews mit über 100 Entscheidern in der Industrie und einer Umfrage unter 400 Branchenexperten.
Mehr Silicon Valley für die Baubranche
„Gebaut wird heute oft ähnlich wie vor 100 Jahren“, stellt Jan Mischke fest, McKinsey-Partner in Zürich und Autor der Studie. Während viele andere Sektoren vor allem durch die Digitalisierung deutlich produktiver geworden seien, hinke die Bauwirtschaft mit jährlich nur rund 1% Produktivitätszuwachs in den vergangenen zwei Jahrzehnten deutlich hinterher. Die Studie zeigt: Die Corona-Pandemie kann nun zu einem wirklichen Umbruch in der gesamten Branche führen und bestehende Trends wie Digitalisierung, neue Produktionsverfahren und Konsolidierung weiter beschleunigen. Dies hat Auswirkungen über die Branche hinaus: Mit einem Anteil von 13% am Welt-Bruttoinlandsprodukt – in Deutschland sind es rund 10% – ist das Ökosystem Bauen einer der größten Wirtschaftsfaktoren. Eine produktivere Bauwirtschaft ist deshalb auch gesamtgesellschaftlich wünschenswert – ein wesentlicher Anteil aus den aktuell diskutierten Konjunkturpaketen wird voraussichtlich in den Infrastrukturausbau fließen, während der Wohnungsbau schon länger oben auf der politischen Agenda steht. Die geringe Produktivität der Baubranche spiegelt sich auch in den Renditen wider: Die durchschnittlichen Vorsteuermargen (Ebit) der Unternehmen lagen bei rund 5%. Mischke: „Angesichts des hohen Risikos vieler Bauprojekte ist das zu wenig.“
Dies wird sich mittelfristig aber deutlich ändern, so ein Ergebnis der Studie. Drei Faktoren seien dafür ausschlaggebend:
Digitalisierung: Vernetzte Gebäude und smarte Infrastruktur verändern das Bauen und die Nutzung. Die digitale Planung im Building-Information-Modelling-Verfahren, verbessertes Projektmanagement und die Nutzung von Industrie 4.0-Lösungen wirken als Katalysator; mögliche Projektrisiken und Kostenexplosionen können so früher bemerkt und reduziert werden. Zudem steigern digitale Vertriebskanäle die Produktivität. Die Investitionen in Forschung und Entwicklung haben in den 2.500 weltgrößten Bau-Unternehmen seit 2013 um 77% zugenommen.
Industrialisierung: Neue Produktions- und Fertigungsverfahren ermöglichen es, ganze Bauteile und -abschnitte nicht mehr an der Baustelle, sondern industriell und modular vorab herzustellen. Das ist billiger und schneller. Der Anteil modular gebauter Projekte nahm in Nordamerika zwischen 2015 und 2018 um über 50% zu. „Das Ziel ist ein Automatisierungsgrad wie in der der Automobilindustrie“, sagt Gernot Strube, Seniorpartner im Münchner Büro von McKinsey und Mitautor der Studie. Zudem werden in der Branche neue, leichtere Materialien beispielsweise auf Holzbasis genutzt, um klimaschonender und leichter zu bauen. Dies ermöglicht längere Transportwege und somit eine zentralisierte Vorfertigung. Strube: „Die Individualisierung mittels Industrie 4.0 erlaubt dennoch eine Vielfalt beim Bauen.“
Konsolidierung: Fusionen und Übernahmen bleiben in der Branche an der Tagesordnung. Dies gilt sowohl für vertikale Zusammenschlüsse entlang der Wertschöpfungskette als auch horizontale mit Wettbewerbern. Zudem treten neue Akteure auf den Plan: Start-ups mit viel Risikokapital greifen etablierte Unternehmen an. Die Zahl der Finanzierungsrunden für solche Bau-Start-ups wuchs zwischen 2012 und 2018 um 30% pro Jahr.
„Die Unternehmen, die den anstehenden Wandel aktiv annehmen und gestalten, werden die Gewinner sein“, sagt Mischke. „Die Branche wird in 15 Jahren viel mehr ‚Silicon Valley‘ in sich tragen, als viele heute vermuten.“