Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report spricht der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Bau-Holz, Josef Muchitsch, über die mitunter emotionalen Verhandlungen zur »Handlungsanleitung für sichere Baustellen«, einen Kompromiss, mit dem alle leben können und in welchen Bereichen der Bau nie wieder so sein wird wie vor Corona.
Report: Bevor sich die Bau-Sozialpartner und die Regierung auf die »Handlungsanleitung für sicheres Arbeiten auf den Baustellen« geeinigt haben, haben Sie einen generellen Baustopp gefordert.
Wie stehen Sie im Nachhinein betrachtet zu dem getroffenen Kompromiss?
Josef Muchitsch: Zum damaligen Zeitpunkt war der geforderte Baustopp richtig und wichtig. Ich erinnere, der Bundeskanzler hat öffentlich appelliert, »Bleiben Sie zu Hause, gehen Sie nicht arbeiten, wenn Sie nicht müssen!« Die Arbeiter und deren Familien hatten Angst, sich zu infizieren und es gab am Markt keine ausreichende Schutzausrüstung. Immerhin haben 70 Prozent der Baustellen vor Ostern zugesperrt, bis ausreichend Schutzausrüstung vorhanden war. Parallel dazu haben wir einen 8-Punkte-Maßnahmenkatalog erarbeitet.
Report: Die Bau-Sozialpartner sind bekannt für ihre hohe Konsensfähigkeit, meist wird an einem Strang gezogen. In diesem Fall lagen die Interessen jedoch weit auseinander. Wie hoch waren die Spannungen zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite? Hat das an sich gute Verhältnis Schaden genommen?
Muchitsch: Die österreichische Bauwirtschaft und deren Sozialpartnerschaft war und ist täglich gefordert. Keine Branche hat mit derartigen ungewollten Einflüssen von außen zu kämpfen. Da brauchen wir auf beiden Seiten Baupatrioten, die natürlich unterschiedliche Interessen haben, aber noch immer eine gemeinsame Lösung gefunden haben. Persönliche Empfindlichkeiten sind dabei hintanzustellen. Nach Regen kommt bekanntlich immer wieder Sonnenschein.
Report: Wie ist es zur Entscheidungsfindung gekommen? Können Sie die Verhandlungen in groben Zügen nachskizzieren?
Muchitsch: Es war in dieser Phase sehr schwierig, Gesundheit und Wirtschaft unter einen Hut zu bringen. Gesund bleiben, zuhause bleiben, aber die Wirtschaft nicht runterfahren. Es war ein fast unlösbarer Spagat, oft gingen die Emotionen an die Decke. Dazu kam, dass am Verhandlungstisch auch die WKO und die Bundespolitik mit dabei waren und ein enormer Zeitdruck für alle Beteiligten. Das machte es nicht leichter. Aber wo ein Wille, da auch ein Weg. Letztendlich war es ein Kompromiss, mit dem alle leben konnten – leben mussten.
Report: Wie schätzen Sie aktuell die Situation auf den Baustellen ein? Wird für die Sicherheit der Arbeiter ausreichend gesorgt und halten sich die Arbeiter an die Sicherheitsvorgaben?
Muchitsch: Anfangs war es schwierig. Das Bewusstsein hat sich aber bei den Beschäftigten durch eigene Informationskampagnen der Bausozialpartner von Tag zu Tag verbessert. Seitens der Baugewerkschaft gab es eigene Infobroschüren, Plakate, eine GBH-Hotline rund um die Uhr, umfassende Online-Informationen und jeden Sonntag einen aktuellen Informationsaustausch mit unseren 4.400 Betriebsrätinnen und Betriebsräten. Das war für alle Beteiligten keine leichte Zeit.
Report: Die Bauwirtschaft sah sich in der Vergangenheit immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, dass ihre Abläufe ineffizient sind und die Produktivität niedrig ist. Könnte das der richtige Zeitpunkt sein, um grundlegende Prozesse in Frage zu stellen und die Organisation von Bauprojekten auf völlig neue Beine zu stellen?
Muchitsch: Wenn nicht jetzt, wann dann? Wir müssen sowieso lernen, mit Corona zu leben. Das bedeutet, Arbeits- und Ablaufprozesse anders aufzusetzen. Es ist daher die Chance, vom bisher gewohnten wirtschaftlichen Antrieb – immer mehr an Wachstum, immer schneller, immer längere Arbeitszeiten – wegzukommen. Weg von diesem ständigen Druck, noch mehr schaffen zu müssen und noch schneller fertig zu sein. Wir werden lange Jahre nicht den überhitzten Auftragsstand von 2019 erreichen. In der Krise liegt daher die Chance, die Rahmenbedingungen für einen fairen Wettbewerb, Bauzeitpläne, Arbeitszeiten und vieles mehr neu zu ordnen.
Report: Die Arbeitslosigkeit am Bau ist empfindlich gestiegen. Haben die Unternehmen aus Ihrer Sicht vom Instrument der Kurzarbeit ausreichend Gebrauch gemacht? Waren die Kündigungen angesichts der Umstände unvermeidbar?
Muchitsch: Die Baubranche hat die höchste Quote im Vergleich zu anderen Branchen an Arbeitnehmern in Kurzarbeit gemeldet. Mit fast 49 % ist jeder zweite Beschäftigte im März in Kurzarbeit gemeldet. Ein überraschender und großer Erfolg der Bausozialpartner, die hier wirklich unermüdlich bei den Betrieben und Betriebsräten gekurbelt haben. Trotzdem gab es leider auch Kündigungen. Teils aus Verunsicherung und teils auch gewollt. Jetzt gilt es durch Baukonjunkturpakete – wie unser 5-Punkte-Programm BAUaktiv – rasch die Arbeitslosigkeit wieder abzubauen.
Report: Wird der Bau nach Corona jemals wieder so sein wie vor der Krise?
Muchitsch: Nein! Die Krise hat schon und wird noch weiter die Bauwirtschaft verändern. Die Auftragsvolumen werden kleiner und der Markt wird sich dadurch neu strukturieren. Wie erwähnt, das Erfolgsjahr 2019 ist Geschichte, für längere Zeit.
Report: Welche Forderungen oder Wünsche haben Sie an die Politik, um die Baukonjunktur zu stützen?
Muchitsch: Die öffentliche Hand muss jetzt einspringen. Wie schon 2009 bei der Finanz- und Wirtschaftskrise müssen Konjunkturpakete her. Weiters braucht es ein Investitionspaket vom Bund für die Länder und Gemeinden. Es braucht mehr Förderanreize und Abschreibemöglichkeiten für Private, Investitionspakete in Klimaschutzmaßnahmen und umweltschonende Verkehrsinfrastruktur und, und, und.
Die Bausozialpartner haben dazu unter dem Titel »BAUaktiv« fünf Pakete erarbeitet, Diese wurden bereits gemeinsam präsentiert und sind auch schon mit der Politik in Verhandlung. Wir sind da insgesamt schon viel weiter als die meisten anderen Branchen. Der Konjunkturmotor Bau wird zusätzlichen »grünen« Sprit bekommen. Wir sind da gut unterwegs und da geht was. Wie Sie sehen, unsere Bausozialpartnerschaft lebt und funktioniert.