Sonntag, Dezember 22, 2024
Sanierung auf ein  neues Niveau heben
Foto: iStock

Mit einer neuen Berechnungsmethode, neuen Strategien und Forderungen soll die seit Jahren vor sich hindümpelnde Sanierungsrate nachhaltig erhöht werden. Aus der Politik kommen verhalten positive Signale. Die thermische Sanierung von Gebäuden und die Erhöhung der Sanierungsrate seien auf jeden Fall Bestandteil der klimapolitischen Agenda, heißt es aus dem Finanzministerium. Neue Abschreibungsmöglichkeiten für Sanierungskosten werden aktuell geprüft und ausgearbeitet.

Neben den Bausozialpartnern (siehe Seite 22) hat sich auch die Bauprodukteindustrie intensiv Gedanken gemacht, wie man die Sanierung fördern und den Gebäudesektor langfristig dekarbonisieren kann. Herausgekommen ist nicht nur eine Fülle an konkreten Vorschlägen für steuerliche und rechtliche Maßnahmen, außerdem wurde eine neue Definition der Sanierungsrate und der daraus resultierende aktuelle Status des heimischen Gebäudebestandes festgelegt und der tatsächliche Bedarf von thermisch-energetischen Sanierungen erhoben.  

Neudefinition Sanierungsrate

Seit zwei Jahrzehnten beinhalten Regierungsdokumente Ziele für Sanierungsraten, in der Regel in der Gegend von drei Prozent. Wie man diese Rate berechnet, wird aber nirgends näher definiert. Häufig wurden bei der Sanierungsrate nur geförderte umfassende Sanierungen berücksichtigt, nicht aber Einzelmaßnahmen. Im Rahmen einer Studie im Auftrag der Bauprodukteindustrie (Gebäudehülle+Dämmstoff Industrie 2050, Fachverband der Stein- und keramischen Industrie, Forschungsverband der österr. Baustoffindustrie, Zentralverband industrieller Bauproduktehersteller) haben das Umweltbundesamt und das Institut für Immobilien Bauen und Wohnen (IIBW) nun eine Neudefinition erarbeitet (siehe Kasten rechts), die sämtliche Sanierungsmaßnahmen erfasst und damit ein erstes vollständiges Bild der Sanierungsaktivitäten in Österreich liefert.

Schon mit der herkömmlichen Berechnungsmethode ist die Sanierungsrate in den letzten zehn Jahren kontinuierlich gesunken und hat aktuell einen absoluten Tiefstand erreicht. Aber zumindest die absoluten Zahlen sind nach der neuen Berechnungsmethode etwas weniger schlimm. Während die klassische Methode 2018 nur noch von einer Sanierungsrate von unter einem Prozent ausgegangen ist, kommt das neue Berechnungsmodell durch die Berücksichtigung von ungeförderten Sanierungen und Einzelbauteilsanierung auf eine Sanierungsrate von 1,4 Prozent. 2010 waren es noch 2,2 Prozent.

Neben dieser erstmals umfassend ermittelten Sanierungsrate liefert die Studie auch einen Einblick in den Sanierungsbedarf des österreichischen Wohnungsbestands. Demzufolge haben 1,9 Millionen Wohneinheiten einen unzureichenden thermischen Standard. Besonders hoch ist der Sanierungsbedarf laut Studienautor und IIBW-Geschäftsführer Wolfgang Amann bei Eigenheimen, nicht nur wegen der sehr hohen Zahl, sondern auch wegen des sehr viel höheren Energiebedarfs im Vergleich zu baugleichen Geschoßwohnungen. »Zur Erreichung einer vollständigen thermisch-energetischen Ertüchtigung des Wohnungsbestands bis 2040 muss die Sanierungsrate kurzfristig auf 2,6 % und ab 2025 auf 3,2 % erhöht werden. Dies sind kurzfristig etwa 120.000 umfassende Sanierungsäquivalente«, erklärt Amann.

Bild oben: »Als ökologisch optimierte und sozial verträgliche Sanierungsdienstleistung können Contractingmodelle eine sinnvolle Ergänzung zu finanziellen Anreizen sein«, sagt Klimaschutzministerin Leonore Gewessler. 

Sanierungsstrategie gefordert

Der historisch niedrige Stand der Sanierungsrate ist eindrucksvoller Beweis, dass sämtliche Ansätze der Vergangenheit, die thermisch-energetische Sanierung von Gebäuden zu forcieren, nicht ausreichend gegriffen haben. Die geforderte Anhebung ist laut Studie nur mit einem Maßnahmenbündel für die einzelnen Bestandssegmente erreichbar. »Einzelaktionen, wie in der Vergangenheit, werden uns nicht weiterbringen. Wir brauchen daher in Österreich dringend eine Sanierungsstrategie«, so Roland Hebbel, GDI 2050 und Zentralverband Industrieller Bauproduktehersteller ZIB. Dabei geht es um die seit vielen Jahren geforderte Reform des Wohnrechts für Miet- und Eigentumswohnungen ebenso wie um eine starke Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung. Die Förderinstrumente sollen auf alle Segmente ausgeweitet werden, steuerliche Maßnahmen für Eigenheime und private Mietwohnungen sind dabei laut Studie besonders effektiv.

Die Sanierung von Eigenheimen und Eigentumswohnungen soll ähnlich wie in Deutschland durch eine großzügige Absetzung von Sanierungskosten von der Lohn- und Einkommensteuer bzw. einer Negativsteuer im Rahmen der Arbeitnehmerveranlagung angekurbelt werden. Auch bei den privaten Mietwohnungen orientiert man sich am deutschen Vorbild und fordert eine verkürzte Absetzung der Sanierungskosten oder alternativ Investitionsprämien (siehe weiter unten).

Die Wirksamkeit dieser Maßnahmen würde laut Studie deutlich erhöht, wenn begleitende wohnrechtliche Reformen durchgeführt werden. Beim Wohnungseigentum sind die großen Brocken eine Neuregelung der Rücklage und effizientere Regelungen der Willensbildung. Im Mietrecht wäre ein besonders starker Treiber, wenn Wohnungen im Vollanwendungsbereich bei entsprechend hoher Qualität der Sanierung angemessen vermietet werden könnten. Für viele Maßnahmen, etwa die Umstellung von fossilen wohnungsseitigen Heizungen auf regenerative Hauszentralheizungen , müssen die Duldungspflichten der Mieter reformiert werden.

Reaktionen der Politik

Aus den zuständigen Ministerien kommen bezüglich der Forderungen der Bauprodukteindustrie verhalten positive Signale. Allzu weit aus dem Fenster lehnen will man sich aber nicht. Im Wirtschaftsministerium verweist man auf die Novelle des Wohngemeinnützigkeitsgesetzes von 2019, mit dem »deutliche ökologisch orientierte Akzente« gesetzt worden seien. »So gelten zum Beispiel die nachträgliche Errichtung von Photovoltaikanlagen und die vorbereitende Infrastruktur für E-Ladestationen im gemeinnützigen Wohnungsaltbestand als normale Ausstattung oder Erhaltungsmaßnahme und nicht als Verbesserung. Damit sind diese Maßnahmen leichter finanzierbar und durchzusetzen«, heißt es im Wirtschaftsministerium.

Anlass zur Hoffnung liefert das Finanzministerium. Dort spricht man sich klar für eine »Gesamtstrategie zur Stärkung des Standortes und zur Setzung von Anreizen für Investitionen« aus. Konkrete steuerliche Anreiz- und Fördermöglichkeiten wie die Erhöhung bestehender oder die Schaffung neuer Abschreibungsmöglichkeiten für Sanierungskosten würden derzeit von der Task Force »Ökosoziale Steuerreform« geprüft und ausgearbeitet. Außerdem spricht man sich klar für die Vorbildwirkung der öffentlichen Hand bei der thermischen Sanierung aus. Als erster Schritt in die richtige Richtung kann das 2,4 Milliarden Euro schwere Schulerneuerungsprogramm, das angesichts der Coronakrise vorgezogen wird.

Auch Klimaschutzministerin Leonore Gewessler zeigt sich in Sachen Sanierungsstrategie und steuerliche Anreizmodelle aufgeschlossen. »Wir möchten gemeinsam mit den Bundesländern, die für diesen Bereich maßgeblich verantwortlich sind, eine Wärmestrategie entwickeln, um so eine ganzheitliche Lösung zu erreichen«, sagt Gewessler. Zusätzlich seien daneben weitere Maßnahmen gefordert, von der Bewusstseinsbildung über den Kompetenzaufbau und die Energieraumplanung bis hin zu steuerlichen Anreizen.

»Uns vorliegende Studien zeigen, dass Menschen durchaus positiv auf Anreize wie steuerliche Absetzbarkeit oder Negativsteuern reagieren und damit auch die Effizienz der von uns vergebenen Fördermittel steigt«, sagt Gewessler. Es mache Sinn, verschiedene Instrumente zu kombinieren. Bei Eingriffen ins Wohnrecht zeigt sich Gewessler vorsichtig. Natürlich sei es ein Ziel, Anreize für Eigentümer zu schaffen, Mieter dürften aber nicht benachteiligt werden. Dabei bringt Gewessler Contractingmodelle ins Spiel. »Wenn das Contracting auch als ökologisch optimierte und sozial verträgliche Sanierungsdienstleistung verstanden wird, könnte das eine sinnvolle Ergänzung zu finanziellen Anreizen sein.« 


Vorgeschlagene steuerliche Maßnahmen zur Dekarbonisierung des Gebäudesektors

1.   Sanierung von Eigenheimen und Eigentumswohnungen:
- Es sollen alle thermisch-energetisch relevanten Maßnahmen einer Gebäude­sanierung steuerlich absetzbar sein. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten:
7 Umfassende Sanierung mit Sanierungskonzept; die Gesamtenergieeffizienz oder der Heizwärmebedarf eines Gebäudes muss um mindestens 60 % verbessert werden.
7 Einzelbauteilsanierungen sind förderungswürdig, sofern die jeweiligen Bauteile den thermischen Standard von Neubauten erreichen.
- Sanierungsausgaben werden mit € 100.000,– gedeckelt. Die abzuschreibende Summe wird in fünf gleiche jährliche Beträge aufgeteilt und über Einkommenssteuererklärung bzw. Arbeitnehmerveranlagung geltend gemacht.
- Bei umfassender Sanierung können
65 % der Kosten steuerlich geltend gemacht werden, bei Einzelbauteilsanierungen 40 % der Kosten (können nachträglich zu einer umfassenden Sanierung ausgeweitet werden). Niedrigverdiener können alternativ eine Negativsteuer in Anspruch nehmen.

2. Sanierung privater Mietwohnhäuser: Voraussetzung für die Förderung ist eine Verbesserung der Gesamtenergieeffizienz oder des Heizwärmebedarfs eines Gebäudes um mindestens 40 %.
- Stark verkürzte Absetzung in Form einer Sonderabschreibung (innerhalb von fünf Jahren)
- Alternativ eine Investitionsprämie von 15 % der Investitionskosten
- Für denkmalgeschützte Gebäude soll die Liebhabereiberechnung entschärft werden.
- Mietzinsreserven: zum Ansparen der Finanzierungsbeiträge für Sanierung. Werden diese nicht für energetische Sanierung verwendet, sind sie nachzuversteuern.
- Sofortabsetzung Wohnungen bei Mischobjekten (analog gewerblich genutzte Mietflächen)

Langfristige Auswirkungen der vorgeschlagenen Maßnahmenbündel

2 Mio. t CO2-Reduktion in zehn Jahren
2,6 Mrd. € zusätzlicher Bruttoproduktionswert pro Jahr
18.000 Arbeitsplätze werden dauerhaft gesichert
31.000 Häuser und Wohnungen werden jährlich saniert
630 Mio. € steuerliche Mindereinnahmen
790 Mio. € zusätzliche Lohnsteuer und USt., Nichtausgaben Arbeitslosigkeit und Einsparung CO2-Zertifikate
160 Mio. € Saldo für die öffentliche Hand

Neudefinition Sanierungsrate

Bislang umfasste die Sanierungsrate meist nur geförderte, umfassende Sanierungen, nicht aber Einzelmaßnahmen. In der Neudefinition von Umweltbundesamt und dem Institut für Immobilien Bauen und Wohnen werden alle thermisch relevanten Maßnahmen berücksichtigt, weil auch Einzelmaßnahmen maßgeblich zur Erreichung der Klimaziele beitragen:

Sanierungsrate =
NE* umfassende Sanierung +
NE* kumulierte Einzelmaßnahmen

NE* Bestand

 

 

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