Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report sprechen Wolfgang Gleissner, Geschäftsführer der Bundesimmobiliengesellschaft, Hartwig Hufnagl, Vorstand Asfinag, und Franz Bauer, Vorstand ÖBB Infrastruktur, über den aktuellen Status ihrer Baustellen, den Umgang mit coronabedingten Pönalen oder Mehrkosten und ihr zukünftiges Investitionsverhalten. Außerdem bestätigen sie, dass der kooperative Ansatz gerade in Krisenzeiten mehr als nur ein Lippenbekenntnis ist – und zwar von beiden Seiten.
Report: Wie geht es Ihren aktuellen Baustellen? Kann man bereits von einer Rückkehr zur Normalität sprechen oder ist das verfrüht?
Wolfgang Gleissner, BIG: Wir waren in den vergangenen Wochen stets bemüht, den Betrieb auf unseren Baustellen aufrecht zu halten. Wobei Gesundheit und Sicherheit aller Beteiligten stets Vorrang hatten! Auch wenn noch nicht jede unserer Baustellen im Vollbetrieb läuft, so sind wir inzwischen wieder auf einem sehr guten Niveau und der Normalbetrieb ist so gut wie wiederhergestellt.
Hartwig Hufnagl, Asfinag: Über das gesamte Jahr 2020 waren und sind knapp 300 größere Asfinag Bauprojekte geplant. Witterungsbedingt und wegen der »normalen« Verkehrszahlen war für das Gros immer ein Startpunkt nach Ostern vorgesehen. 70 Baustellen wurden im Zuge der Krise befristet ruhend gestellt und abgesichert. Diese 70 sowie aktuell laufend neue Bauprojekte wurden kontrolliert und gemäß den Vorgaben der Bundesregierung wie der Bau-Sozialpartner hochgefahren. Die Herausforderungen sind je nach Projekttyp unterschiedlich.
Eine Bauleistung analog zur Zeit vor der Krise ist fürs Erste kaum möglich, wir wollen uns jedenfalls sukzessive in Richtung der »100 Prozent« bewegen – auch was die Zahl der 300 Projekte über das Gesamtjahr betrifft. Die größte Hürde ist dabei, zur alten Mannschaftsstärke in der Baustelle zu kommen – so sitzen derzeit viele Arbeiter aufgrund der Reisebestimmungen in ihren Heimatländern fest. Auch liegen jetzt natürlich oftmals Lieferengpässe vor.
Bild oben: »Wir sind überzeugt, dass alternative Vertragsmodelle einen großen Vorteil im Umgang mit auftretenden Risiken mit sich bringen«, sagt Hartwig Hufnagl, Asfinag.
Franz Bauer, ÖBB: Von Beginn der Krise an haben wir den Weg eingeschlagen, mit unseren Vertragspartnern alle Anstrengungen zu unternehmen, um die Gesundheit der auf der Baustelle tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bestmöglich zu schützen und gleichzeitig die im öffentlichen Interesse liegenden Bauprojekte weiterzuführen.
Dazu wurden mit den Baufirmen für jede einzelne Baustelle spezifische Vorgangsweisen festgelegt. Wo gesichert war, dass die durch die Sozialpartner vereinbarten Gesundheitsschutzmaßnahmen auf Baustellen eingehalten werden konnten, lagen die Voraussetzungen für die Fortführung der Bauarbeiten vor. Seit nach Ostern sind die Bahnbaustellen alle wieder in Betrieb – mit kleinen Einschränkungen aufgrund von Lieferengpässen oder Quarantänesituationen der Arbeiter. Zusätzlich hat das Unternehmen die Situation genutzt und in Zeiten von weniger Bahnverkehr erforderliche Instandhaltungsarbeiten vorgezogen.
Bild oben: »Wir sind ein lernendes System: Erfahrungen aus aktuellen Entwicklungen fließen laufend in zukünftige Vertragsgestaltungen ein«, sagt Franz Bauer, ÖBB.
Report: Die coronabedingten Verzögerungen und vorübergehenden Stillstände auf den Baustellen haben auch rechtliche Konsequenzen. Sowohl Pönalen als auch Mehrkostenforderungen stehen im Raum. Wie erleben Sie aktuell die Gespräche und Verhandlungen mit den Bauunternehmen? Steht der oftmals strapazierte kooperative Ansatz im Vordergrund oder ist sich in der Krise jeder selbst der Nächste? Werden Sie Pönalen geltend machen?
Gleissner: Als Bundesimmobiliengesellschaft sind wir der Überzeugung, dass die derzeitige Situation nur im Geist einer kooperativen Betrachtung im Sinne aller Beteiligten gelöst werden kann. Insbesondere auch in Hinblick auf den Aufwand und die Vermeidung langjähriger Streitfälle. Momentan ist der überwiegende Anteil der Unternehmen nur mit Anmeldungen dem Grunde nach an uns herangetreten, etwaige Höhen dieser Anmeldungen kennen wir somit nicht in ihrer Gesamtheit. Wir sind allerdings davon überzeugt, dass die Unternehmen die Sachlage entsprechend einschätzen und ebenso an raschen und kooperativen Lösungen interessiert sind – insbesondere unter dem Gedanken der Liquiditätsflüsse.
Was die Geltendmachung von Pönalen betrifft, erfordert dies aufgrund der gesetzlichen Regelung eine jeweilige Einzelfallbetrachtung, daher ist eine generelle Aussage zu diesem Thema nicht möglich.
Bild oben: »Die derzeitige Situation kann nur im Geist einer kooperativen Betrachtung im Sinne aller Beteiligten gelöst werden«, sagt Wolfgang Gleissner, BIG.
Hufnagl: Der kooperative Gedanke hat in dieser Ausnahmesituation eine noch nie dagewesene positive Energie zur Bewältigung der herausfordernden Themenstellung zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern entstehen lassen. Bis jetzt stand das gemeinsame Bestreben, aus der Krise rasch und mit möglichst geringem Schaden herauszukommen, im Vordergrund. Das ganze Thema an sich ist natürlich sehr komplex und bis dato einzigartig. Hier einen juristisch ordentlichen, aber auch praktikablen Weg zu finden, ist eine große Herausforderung für alle Seiten. Ich denke, wir haben eine gute Übereinstimmung getroffen, wie wir uns bei der Bewertung der Leistungsverzögerungen und damit einhergehenden Mehrkosten bei Bauvorhaben orientieren können.
Bauer: Natürlich verfolgen wir den Ansatz der kooperativen Projektabwicklung konsequent weiter. Gemeinsam haben wir sehr schnell mit den Baufirmen auf die neuen Anforderungen durch die Corona-Krise reagiert und umgehend mit Arbeitsmedizinern, Sicherheitsfachkräften und Baustellenkoordinatoren Schutzmaßnahmen für die Arbeiter und Strategien für sinnvolles Weiterarbeiten entwickelt.
Report: Asfinag, ÖBB und BIG zählen zu den wichtigsten Auftraggebern der Bauwirtschaft. Ist geplant, dass zur Stützung der Baukonjunktur Projekte vorgezogen oder auch völlig neue Projekte in Angriff genommen werden?
Gleissner: Das Schulentwicklungsprogramm 2020, das eben im Ministerrat beschlossen wurde, ist ein bedeutender Schritt und ein deutliches Signal in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Das Investitionsvolumen von rund 2,4 Milliarden Euro, welches in den kommenden zehn Jahren bauwirksam umgesetzt werden soll, ist ein wichtiges Bekenntnis der Bundesregierung zur Qualitätssicherung im Bundesschulbau. Da sich das BMBWF zu einer anspruchsvollen Architektur- und Baukultur im Schulbau bekennt und die Forcierung der Sanierung von bestehenden Gebäuden hin zu zukunftsorientierten Bildungsbauten fortsetzen möchte, stellt das SCHEP 2020 einen wesentlichen Konjunkturmotor für die regionale Wirtschaft dar.
Hufnagl: Die Asfinag geht davon aus, dass die Lkw-Fahrleistung im Jahr 2020 coronakrisenbedingt um 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr abnehmen wird. Dazu kommt ein zu erwartender Rückgang von Pkw auf den üblichen Urlauberreiserouten. Insgesamt geht die Asfinag von einem Mindererlös von 464 Millionen Euro aus. Trotzdem wird die Asfinag im Jahr 2020 eine Milliarde Euro in die Verbesserung und Optimierung der österreichischen Infrastruktur investieren. Damit leistet die Asfinag einen wesentlichen Beitrag für das wirtschaftliche Comeback Österreichs und setzt damit wichtige Konjunkturimpulse für die heimische Wirtschaft.
Bauer: Sämtliche laufenden Investitionen sind gesichert. Basis dafür ist nicht zuletzt der gültige Rahmenplan. Investitionen in die Bahn-Infrastruktur sind auch ein entscheidender Impuls für die künftige wirtschaftliche Entwicklung.
Report: Werden aus Ihrer Sicht durch die Coronakrise alternative Vertragsmodelle wie der Allianzvertrag inklusive Risikoteilung in Zukunft an Bedeutung gewinnen?
Gleissner: Das Thema »Alternative Vertragsmodelle« wird in der Branche schon länger diskutiert und es gibt erste Pilotprojekte. Bei solchen Modellen ist es unserer Ansicht wesentlich, die Tauglichkeit in Vorfeld immer für das einzelne Projekt zu prüfen, insbesondere in Hinblick auf etwaige Risiken des Projektes.
Hufnagl: Unabhängig von der Coronakrise haben wir uns schon seit längerem mit alternativen Vertragsmodellen beschäftigt. Wir sind überzeugt, dass diese Modelle einen großen Vorteil im Umgang mit auftretenden Risiken mit sich bringen. Die Modelle fördern nach unserem Verständnis eine gemeinsame Sicht auf den Projekterfolg (»best for project«). Damit sollte auch gewährleistet sein, dass das Know-how aller Projektbeteiligten zum optimalen Auffangen des Risikos genutzt wird.
Bauer: Die Betrachtung alternativer Vertragsmodelle ist in der ÖBB Infrastruktur unabhängig von der aktuellen Situation infolge von Covid-19 derzeit in Evaluierung. Hierbei wird insbesondere erhoben, welche alternativen Vertragsmodelle bei welchen Anwendungsfällen, unter welchen Umständen und Rahmenbedingungen und mit welchen Zielsetzungen zweckmäßig angewendet werden können, aber auch, welche Erfahrungen national und international vorliegen sowie welche Vor- und Nachteile gegenüber dem ÖNORM-Bauvertrag bestehen.
Wenngleich auch Überlegungen über alternative vertragliche Gestaltungen bei spezifischen Anwendungen ihre Berechtigung haben werden, ist ein grundsätzliches Umdenken bei der Vertragsgestaltung für die Abwicklung von Bauleistungen derzeit nicht erforderlich.
Report: Wird die Coronakrise Auswirkungen auf zukünftige Vertragsgestaltungen haben?
Gleissner: Die BIG analysiert laufend ihre Vertragsgestaltungen und ist grundsätzlich daran interessiert, praktikable Anwendungen einzuarbeiten und in Pilotprojekten ihre Tauglichkeit zu prüfen.
Hufnagl: Wir denken, dass sich durch die Krise gerade bei der Risikozuteilung Präzisierungen ergeben müssen. Auch werden sich vielleicht bei einer nachträglichen Betrachtung mit etwas Zeitabstand die einen oder anderen Erkenntnisse ergeben, die dann in die Vertragsunterlagen einfließen werden. Jedenfalls ist zu berücksichtigen, inwieweit ein derartig außergewöhnliches Ereignis die Standard-Verträge zukünftig beeinflussen soll.
Bauer: Wir sind ein lernendes System: Erfahrungen aus aktuellen Entwicklungen fließen laufend in zukünftige Vertragsgestaltungen ein. Die Erkenntnisse aus Covid-19 betreffen überwiegend die Sicherheitsmaßnahmen in den Bauabläufen. Diese werden entsprechend in den zukünftigen Bauverträgen berücksichtigt.
Report: Werden durch die aktuelle Situation Trendthemen wie Building Information Modeling oder Lean Construction im Sinne einer Produktivitätssteigerung an Bedeutung gewinnen oder krisenbedingt eher hintenangestellt?
Gleissner: BIM ist unserer Ansicht nach unabhängig von der aktuellen Situation zu betrachten. Die BIG hat seit einiger Zeit Pilotprojekte zu diesem Thema laufen und wir sind – wie auch alle anderen Marktteilnehmer – aktiv interessiert, unsere Erfahrungen zu teilen und etwaige Neuerungen umzusetzen.
Das Thema »Lean Construction« befindet sich unserer Ansicht nach noch am Anfang. In der Abwicklung scheint es insbesondere tauglich in Projekten mit sehr strukturierten, gleichartigen Abläufen. Für komplexere Projekte mit sehr unterschiedlichen Abläufen und 35–40 Einzelvergaben stehen nach unserem Wissensstand noch wirkliche Erfahrungen in der Abwicklung eines Lean-Projektes aus.
Hufnagl: Der allgemeine Schub für die gesamte Digitalisierung und damit auch für BIM, den die Krise mit sich gebracht hat, wird sich auch im Infrastrukturbau positiv niederschlagen. Bei BIM sind wir sehr aktiv und leisten als Asfinag einen großen Beitrag, das Thema – vor allem für den Tiefbaubereich – auf ein nächstes Level zu heben. Wir sehen keinen Grund, warum wir Entwicklungen – dazu gehört auch Lean Construction –, die uns Vorteile bringen, krisenbedingt hintanstellen sollten.
Bauer: Bestrebungen und Weiterentwicklungen in den Bereichen der Digitalisierung, der Prozessoptimierung oder der Anwendung von neuen Methoden, wie Building Information Modeling, werden in der ÖBB Infrastruktur unabhängig von der aktuellen Situation ständig verfolgt. Die Überlegungen umfassen hierbei den gesamten Anlagenbereitstellungsprozess bzw. Lebenszyklus von Anlagen, beginnend von der Infrastrukturentwicklung über die Planung, den Bau, das Betreiben bis zum Rückbau von Anlagen.