Sonntag, Dezember 22, 2024
„Es werden auch Eingriffe in den Markt nötig sein“

Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report spricht Roland Hebbel, Geschäftsführer Steinbacher Dämmstoffe, über drohende Engpässe auf Baustellen, nötige Eingriffe in den Markt und die neue Rolle von Baustoffhandel und Baustoffindustrie.  Und er erklärt, wie Steinbacher die Zeit des Shutdowns nutzte, um sich zu verbessern und Wettbewerbsvorteile für den Neustart zu generieren.

Wie geht es Ihnen? Wie geht es Steinbacher?

Roland Hebbel: Uns geht es gut, sowohl gesundheitlich als auch wirtschaftlich. Wir sind ja wieder auf dem aufsteigenden Ast, weil jetzt auch die strengen Quarantäneregeln für Tirol gelockert wurden.

Welche Maßnahmen hat Steinbacher gesetzt, um durch diese Phase zu kommen?

Hebbel: Wir hatten das große Glück, dass wir durch unser Netzwerk immer einen Vorsprung von 48 bis 50 Stunden hatten. Wir hatten schon Tage vor dem Shutdown ein Kernteam implementiert und uns mit Hilfe eines Folders, der ein halbes Buch war, zum Thema betriebliche Vorsorge auf die kommenden Ereignisse vorbereitet. Wir haben für unsere Mitarbeiter eine Handlungsanleitung zu hygienischen Fragen entwickelt und klare Vorschriften für die Schichtübergabe erstellt. So konnten wir von Anfang an in jeder Phase die Sicherheit unserer Mitarbeiter gewährleisten.

Die Produktion bei Steinbacher lief also kontinuierlich weiter?

Hebbel: Wir haben ganz normal weiterproduziert. Man muss aber unterscheiden zwischen dem Haustechnik- und dem Hochbaubereich. Die Haustechnik ist deutlich exportorientierter. Das, was wir hier in Österreich erlebt haben, ist in Deutschland oder Frankreich erst mit zwei Wochen Zeitverzögerung eingetreten. Österreich war sehr rigoros. Das hat uns zwar geholfen, war aber auch eine Herausforderung, etwa was unsere Mitarbeiter aus Bayern anbelangt. Da hat das System aus Industriellenvereinigung, Wirtschaftskammer und Land Tirol aber sehr gut funktioniert.

Kurzarbeit ist bei Ihnen kein Thema?

Hebbel: Natürlich ist Kurzarbeit auch bei uns ein Thema. Wir haben auch rückwirkend Kurzarbeit angemeldet, das betrifft am Standort Erpfendorf im Moment aber nur einen kleineren Teil der Belegschaft. Zum Anmeldezeitpunkt waren die Auswirkungen noch nicht absehbar. Wir wussten nicht, ob es nicht zu einem kompletten Stillstand kommt. Da ist die Kurzarbeit jetzt und auch in Zukunft ein sehr gutes Instrument, um Mitarbeiter auf Stand-by zu halten. Wenn Mitarbeiter einmal entlassen sind, kommt man in der Startphase, wenn die Wirtschaft wieder anzieht, viel schlechter auf Touren.  Und eines muss man schon festhalten: Ohne wirtschaftliche Stabilität kann es auch keine soziale Stabilität geben.

Die Baustellen werden aktuell wieder hochgefahren. Können Sie die Belieferung der Baustellen garantieren?

Hebbel: Auch da muss man zwischen Haustechnik und Hochbau unterscheiden. Der Hochbau ist gestanden, die Haustechnik ist ganz normal weitergelaufen. Jetzt startet der Hochbau wieder. Das spürt man derzeit aber noch nicht, weil das Hochfahren einer Baustelle sehr schwerfällig ist. Ich gehe aber davon aus, dass es nach Ostern auch im Hochbau einen signifikanten Schub geben wird, aber nicht auf das Niveau von vorher. Die Haustechnik war sehr stabil. Da waren aber vermutlich auch einige Hamsterkäufe dabei. Das wird sich nivellieren.

Die Versorgung der Baustellen ist vor allem jetzt zu Beginn überhaupt kein Problem. Da kommt uns auch die Regionalität zu Gute. Mittel- und langfristig wird es vor allem dort schwierig, wo wir von Importen und da speziell aus China abhängig sind. Das betrifft aber nicht nur die Baubranche, sondern alle systemrelevanten Bereiche. Es muss das Ziel von Europa sein, in der Medizin und Pharmazie unabhängiger vom Ausland zu werden. Es kann nicht sein, dass es nur noch einen westeuropäischen Standort gibt, an dem Penicillin produziert wird. Da werden auch Eingriffe in den Markt nötig sein. Es kann nicht immer nur entscheidend sein, dass ein Produkt ein paar Cent billiger ist. Viel wichtiger ist die Versorgungssicherheit. Dieses Bewusstsein müssen wir jetzt wieder schaffen.

Wienerberger-Chef Heimo Scheuch fürchtet im letzten "Trend" einen Aderlass im Baustoffhandel und will deswegen das Geschäftsmodell verstärkt auf digitale Lösungen für Endkunden umstellen. Gibt es bei Steinbacher ähnliche Überlegungen?

Hebbel: Ich denke die Zeit der Nachbarschaftshilfe beim Hausbau ist vorüber. Ohne Professionisten wird heute nicht mehr gebaut. Man kauft ja nicht seine Baustoffe im Internet und geht dann damit zum Baumeister. Das wird nicht funktionieren. Der Baustoffhandel wird weiter der Verteiler sein.

Ich denke aber schon, dass sich die Rolle des Baustoffhandels ändern wird. Er wird entweder eine logistische, beratende oder finanzierende Rolle übernehmen müssen. Wenn nicht, wird es schwierig werden und wird das Tun der Industrie dann auch wandeln.

Inwiefern?

Hebbel: Denken Sie die Sportartikel-Industrie. Vor 30 Jahren hat Atomic Ski produziert. Und zwar nur Ski. Irgendwann sind Ski-Stöcke, Bindungen und Schuhe hinzugekommen. Es ist ein System daraus geworden. Das war aber nicht das Ende. Heute ist Atomic Teil des internationalen Sportartikelherstellers Amer Sports und es werden Tauchuhren und Sportschuhe mitverkauft. Das Sortiment wird immer breiter, ein Produkt alleine kann nicht überleben. Das ist am Bau nicht anders. Nur mit Ziegel entsteht keine Immobilie.

Wie lebt Steinbacher diesen Systemgedanken?

Hebbel: Wir haben schon jetzt eine sehr breite Wertschöpfungskette – von der Dämmung der Kelleraußenwand über Dachdämmung und Fußbodensystemen bis zur Rohrisolierung. Wir versuchen auch, die Beratungsfunktion direkt beim Professionisten wahrzunehmen. Wir wollen dort direkt neue Produkte platzieren und uns als Problemlöser positionieren.  

Wie nutzt Steinbacher die Zeit des Corona-Shutdowns. Versucht man eigene Prozesse und Strukturen zu optimieren und besser aufzusetzen?

Hebbel: Auf jeden Fall. Das war der erste Gedanke, den wir hatten. Wir haben zum Glück die Möglichkeit und auch die Liquidität, jetzt Dinge anzugehen, die wir sonst vielleicht im Laufe eines ganzen Jahres gemacht hätten.

Welche Themen sind das konkret?

Hebbel: Wir haben im letzten halben Jahr schon sehr viel in den Vertrieb investiert. Jetzt geht es um Prozessoptimierungen in der Produktionsstätte. Da haben wir schon sehr viel Analysearbeit geleistet, das versuchen wir jetzt in einer hohen Geschwindigkeit umzusetzen. 

Nach Ostern soll das Land sukzessive wieder hochfahren. Mit welcher Entwicklung im restlichen Jahr rechnen Sie?

Hebbel: Das ist unmöglich, zu beantworten. Aus dem Bauch heraus trau ich mir nur eines zu sagen: Die Krise dauert jetzt drei Wochen. Das ist wie beim Bremsen, es dauert etwas bis man wirklich steht. Und wenn man vergisst, die Kupplung zu treten, stirbt der Motor ab und muss neu gestartet werden. Das dauert. Ich denke, dass wir uns im Jahr 2020 bei einem Rückgang von acht bis zwölf Prozent einpendeln werden. Den Bau treffen Entwicklungen erst mit zwei, drei Jahren Verzögerung. 2021 werden wir sehen, wohin die Reise geht und richtig spüren werden wir die Auswirkungen erst 2022 und 2023.

 

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