Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report spricht der Tiroler Landesinnungsmeister Bau und Eigentümer von Rieder Bau, Anton Rieder, über den Sonderfall Tirol und die Möglichkeit, die aktuelle Situation für die Weiterentwicklung von Prozessen, Abläufen und Technologien zu nutzen. Er erklärt, warum die Themen Digitalisierung und Produktivitätssteigerung durch die Coronakrise mehr denn je an Bedeutung gewinnen und warum er nicht mit einer Marktbereinigung oder verstärkten Übernahmen rechnet.
Beginnen wir mit einer für ein Interview ungewöhnlichen Frage. Wie geht es Ihnen?
Anton Rieder: Danke sehr. Mir und uns geht es gut. Die ersten turbulenten Wochen liegen hinter uns. Die Situation wird zunehmend klarer. Wir sind auch zweieinhalb Wochen gestanden. Jetzt sind wir dabei, die Baustellen unter Berücksichtigung der geforderten Schutzmaßnahmen Schritt für Schritt wieder hochzufahren. Hoffen wir, dass am Ende des Tages alles gut geht.
Einige Kollegen starten erst nach Ostern, was aber nicht allzu viel bedeuten muss, weil es in einigen Gegenden Tirols durchaus Tradition hat, erst nach Ostern die Bautätigkeit wieder aufzunehmen.
Dann sollte es aber wieder einen relativen Vollbetrieb geben, soweit es die Situation und die Auftragslage zulassen. Natürlich gibt es Stornierungen, besonders aus dem Tourismus und dem gewerblichen Sektor.
Die Auftragsbücher sollten aber dennoch gut gefüllt sein. Wir kommen ja aus einer Boomphase?
Rieder: Das hilft uns jetzt natürlich. Wir kommen ja aus einer 100 Prozent Auslastung. Jetzt fallen wir auf etwa 80 Prozent zurück. Daraus muss man jetzt das Beste machen und möglichst schnell die restlichen 20 Prozent auffüllen, um alle Mitarbeiter in Beschäftigung zu halten. Es gibt zum Glück auch jetzt Ausschreibungen. Nicht sehr viele, aber doch ein paar. Ich denke, dass wir die Lücke schließen können. Dazu kommt, dass man aktuell keine Leasing-Arbeiter beschäftigt und keine Überstunden macht. Wir hoffen mit dieser geringeren Kapazität gut über die nächsten Monate zu kommen.
Die Lage in Tirol ist ja noch einmal anders als im Rest des Landes. Wie machen sich die verschärften Regeln am Bau bemerkbar?
Rieder: Das ist schon spürbar. Wir haben teilweise Probleme mit Lieferketten und Subunternehmen. Schwierig ist es auch für Mitarbeiter, die nicht in Tirol leben. Deshalb haben wir natürlich großes Interesse, dass die Sonderquarantäne-Verordnung hoffentlich nicht verlängert wird, sondern nach Ostern auch hier die Bundesregeln gelten. Mit Ausnahme des grenzüberschreitenden Verkehrs sind die Unterschiede ja auch nicht mehr so groß.
Haben Sie Ihre Mitarbeiter zur Kurzarbeit angemeldet?
Rieder: Ja, sicherheitshalber werden wir das tun. Weil wir nicht wissen, ob es nicht wieder zu einem kompletten Stillstand kommt oder einzelnen Projekte gestoppt werden müssen. Da macht Kurzarbeit absolut Sinn.
Was sind aktuell die größten Herausforderungen für die Unternehmen? Wo muss jetzt der Fokus liegen?
Rieder: Die letzten 14 Tage ging es vor allem darum, von einem Tag auf den anderen zu schauen. Da war vieles unklar. Die Rahmenbedingungen haben sich fast täglich geändert. Damit waren denke ich alle Unternehmen mehr als gut beschäftigt. Und natürlich müssen die Unternehmen jetzt darauf achten, dass sie liquide bleiben. Wir haben die Zeit des Stillstands auch dafür genutzt, massiv abzurechnen und Rückstände aufzuarbeiten. Das sind nicht alle Unternehmen auf Stand, wir auch nicht. Wir sind auch verstärkt offenen Forderungen nachgegangen. Gerade am Bau gibt es ja oft Rechnungs- und Mängeleinwände.
Wir haben uns also sehr darauf konzentriert, alles zu ordnen und zu sortieren, die eigenen Prozesse zu hinterfragen und das anzugehen, was man in guten Zeiten oft liegen lässt.
Wenn die aktuelle Phase aber länger dauert, kann ich mir schon vorstellen, dass Unternehmen Teile ihrer Belegschaft wieder aus der Kurzarbeit holen, um die Zeit zu nutzen für die Weiterentwicklung von Prozessen, Abläufen und Technologien. Das ist auch mein Zugang. Wir arbeiten etwa gerade daran, den CAFM-Bereich zu perfektionieren und den BIM-Standard weiter zu entwickeln.
Keiner kann aktuell mit Sicherheit sagen, wie es in den nächsten Wochen und Monaten weitergehen wird. Glauben Sie, dass die Coronakrise nachhaltige und bleibende Auswirkungen auf die Baubranche haben wird? Anders gefragt: Wird der Bau nach Corona ein anderer sein als vorher?
Rieder: Gegenfrage: War die Bauwirtschaft nach der Finanzkrise eine andere?
Nicht wirklich…
Rieder: Eben. Ob jetzt gerade das Coronavirus alles auf den Kopf steht, weiß ich nicht. Ich bezweifle es aber. Ich glaube aber, dass die Krise Dinge beschleunigen kann, die ohnehin passiert wären. Gerade strukturell steht die Branche vor einigen Herausforderungen. Wir sind sehr fragmentiert und kleinteilig aufgestellt. Das ist für Megathemen wie Digitalisierung oder Produktivitätssteigerungen nicht gerade förderlich. Ohne Digitalisierung und Produktivitätssteigerungen wird es aber nicht gehen. Denn es wird nach Corona sicher nicht mehr Geld zur Verfügung stehen als vorher.
Rechnen Sie mit gröberen Marktbereinigungen oder Übernahmen?
Rieder: Nein, eigentlich nicht. Der Markt ist schon konsolidiert. Es gibt nur noch wenige wirklich große Unternehmen und vielleicht 200 Mittelständler. Wenn ein Großer einen Kleinen mit zehn Mitarbeitern übernimmt, dann ist das keine klassische Übernahme, dann übernimmt er halt zehn Mitarbeiter.
Themen wie Digitalisierung und Produktivitätssteigerungen werden uns viel stärker beschäftigen. Das muss viel weitreichender gedacht werden als das jetzt der Fall ist, damit das überhaupt einen Sinn macht. Da muss es einen echten Strukturwandel geben. Ein bisschen digital wird nicht reichen. Wir müssen etwas tun, und das was wir tun, muss einen echten Mehrwert bringen. Da gibt es noch einige offene Fragen.