Mit der neuen türkis-grünen Regierung und dem Fokus auf CO2 und Klimawandel ist das Leben für die Hersteller massiver Baustoffe nicht unbedingt leichter geworden. Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report erklärt Andreas Pfeiler, Geschäftsführer Fachverband Steine-Keramik, warum ihm die im Regierungsprogramm angekündigte Forcierung des Baustoffes Holz dennoch kein Kopfzerbrechen bereitet, was in der Klimadiskussion für Ziegel und Beton spricht und warum er seine Hoffnungen für eine faire Bewertung aller Baustoffe ausgerechnet auf eine grüne Ministerin setzt.
Report: Wie ist 2019 für die Mitglieder der stein- und keramischen Industrie gelaufen? Ist der allseits befürchtete Konjunkturabschwung bereits spürbar?
Andreas Pfeiler: Konkrete Zahlen gibt es noch keine, aber die große Euphorie aus den Jahren 2017 und 2018 gab es im letzten Jahr nicht mehr. Das Wachstum hat sich schon deutlich reduziert. Aber gerade 2018 waren wir auf einem sehr hohen Niveau, vor allem durch den Wohnbauboom. Jetzt hat sich Normalität eingestellt.
Das gilt vor allem für unsere Bauzulieferer. Für die Industriezulieferer (Feuerfest, Feinkeramik, Schleifmittel) schaut es deutlich schlechter aus. Die haben den Abschwung schon im Jahr 2019 deutlich gespürt.
Report: Mit welcher Entwicklung rechnen Sie 2020?
Pfeiler: Wir rechnen mit einer stabilen Entwicklung. Für den Bau werden 1,3 Prozent prognostiziert. Da wird es aber mit den Personalkosten schon eng. Auch das ist bei den KV-Verhandlungen zu berücksichtigen. Und die Industriezulieferer waren schon mit den Abschlüssen im Vorjahr überfordert. Das muss man ganz klar sagen.
Report: Wie argumentiert oder rechtfertigt man hohe Abschlüsse, die dem Bauboom geschuldet sind, gegenüber anderen Branchen wie den Industriezulieferern?
Pfeiler: Das ist wirklich schwierig. Sie verstehen zwar, dass sie in einem baulastigen Boot sitzen, aber in Zukunft muss man sich da sicher etwas einfallen lassen. Das werden wir gemeinsam mit der Gewerkschaft klären müssen. Die haben ja auch kein Interesse, dass es zu Abwanderungen kommt.
Report: Im aktuellen Regierungsprogramm wird dem Klima- und Umweltschutz viel Platz eingeräumt. Befürchten Sie, dass Ihrer Branche nun stärkerer Wind entgegenblasen wird – Stichwort: CO2-Emissionen bei der Zementproduktion oder das geflügelte Wort des Zubetonierens?
Pfeiler: Ganz sicher. Das merkt man auch jetzt schon im medialen Diskurs. Das Thema Holzbau wird enorm forciert, das ist ja auch Teil des Regierungsprogramms.
Report: Wie laut haben bei Ihnen die Alarmglocken geschrillt, als Sie im Regierungsprogramm gelesen haben, dass Holz explizit bevorzugt werden soll?
Pfeiler: Es war aushaltbar (lacht), wenngleich wettbewerbsverzerrende Forderungen nie zu akzeptieren sind. Im Regierungsprogramm heißt es »Forcierung des Holzbaus und der ökologischen Baustoffe« und es soll mir erst einmal jemand erklären, dass unsere natürlichen, mineralischen Baustoffe nicht ökologisch sind. Ich bin auch der Meinung, dass viele Wege nach Rom führen. Und dabei muss man alle Potenziale ausschöpfen.
Natürlich stehen wir mit dem Thema CO2 aktuell stark im Fokus, aber dieses Bashing gegen CO2-Verursacher hat für mich eher Stammtisch-Niveau. Das erinnert mich ein wenig an das SUV-Bashing. Da fühlt sich jeder bemüßigt, mitzureden, aber nicht alle haben denselben Wissenstand. Oder wussten Sie, dass bereits die Europäische Kommission die Landnutzung und damit verbunden die Rodung von Wäldern für zwölf Prozent aller Treibhausgasemissionen verantwortlich macht?
Report: Aber dass etwa bei der Zementproduktion viel CO2 freigesetzt wird, ist ein Faktum.
Pfeiler: Das ist richtig. Aber gerade bei diesem Thema muss man sich genau ansehen, worüber man spricht. Es wird dabei leider viel zu oft nur über die Produktionsphase geredet. Es ist wirklich ärgerlich, dass wir es immer noch nicht schaffen, den gesamten Lebenszyklus zu betrachten.
Denn dann würde man schnell feststellen, dass das CO2, das in den nachwachsenden Rohstoffen gebunden ist, am Ende der kaskadischen Nutzung genauso freigesetzt wird. Dazu kommt die Frage, wie lange Baustoffe verwendet werden. Unsere Baustoffe sind nichts anderes als transformierte Rohstofflagerstätten. Und man kann diese Baustoffe wiederverwenden oder zumindest wiederverwerten. Mineralische Baustoffe sind mit wenigen Ausnahmen zu fast 100 Prozent rezyklierbar.
Aber davon wird leider kaum geredet. Lieber redet man über einen vermeintlichen ökologischen Vergleich von Holz- und Massivbauten. Die kürzlich aufgetauchten Zeitungsberichte, dass das Ergebnis eindeutig zugunsten von Holz ausgegangen ist, entbehren aber jeglicher Grundlage.
Denn bei diesem Vergleich wurde die CO2-Bilanz noch gar nicht erstellt, man hat einfach nur untersucht, wie viele LKW-Fahrten für den Transport der Baustoffe auf die Baustelle nötig waren. Beim Beton wurde kritisiert, dass der Dämmstoff extra angeliefert werden musste und beim Holz mit der hohen Vorfertigung argumentiert.
Die Frage, wo das Holz herkommt, hat aber keiner gestellt. Aber ob das ebenso wie unser Beton aus einem Umkreis von 30 km kommt, bezweifle ich. Wir fordern letztendlich eine umfassende Beurteilung und nicht ein An-den-Pranger-Stellen aufgrund eines Indikators.
Report: Warum gelingt es nicht, bei der Politik das Bewusstsein zu schaffen, den Betrachtungszeitraum zu erweitern und den Fokus auf den Lebenszyklus zu legen?
Pfeiler: Weil wir ein einsamer Rufer in der Wüste sind. Aber steter Tropfen höhlt den Stein. Ich hoffe, dass wir irgendwann gehört werden. Aber natürlich gibt es da auch noch eine gut arbeitende Holz-Lobby, die das nicht will. Aber vielleicht gelingt es uns in Zukunft ja einmal, wirklich fair den Lebenszyklus zu betrachten. Ich nicht der Feind von Holz, sondern ein Freund von Chancengleichheit und Innovation. Ich wünsche mir einfach nur gleiche Bewertungschancen für alle.
Report: Mit Leonore Gewessler sitzt eine ehemalige Global 2000-Geschäftsführerin im neuen Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie. Mit Global2000 verbindet den Fachverband über die Nachhaltigkeitsinitiative Umwelt+Bauen eine langjährige Zusammenarbeit. Gibt es Hoffnung, dass Sie mit Ihren Anliegen jetzt auf offenere, qualifiziertere Ohren stoßen?
Pfeiler: Genau das hoffen wir. Deshalb sehen wir die neue Regierung auch positiv, weil sie uns neue Chancen eröffnet, unsere Stärken aufzuzeigen. Ich hoffe, dass mit Frau Gewessler jemand im Ministerium sitzt, der offen ist für alle Ideen, die zum Klimaschutz beitragen können. Wenn wir aber bestimmte Branchen von Markt ausschließen, dann lässt man Potenziale liegen.
Report: Aktuell wird viel über Themen wie Produktivitätssteigerungen oder Lean Management diskutiert. Wie kann sich die Baustoffindustrie in diesen Bereichen positionieren?
Pfeiler: Ich gehe davon aus, dass der Anteil der Vorfertigung weiter steigen wird. Das Problem ist, dass es nach wie vor viele verschiedene Systeme gibt. Wenn sich ein Ausschreiber auf ein System festlegt, fehlt plötzlich der Wettbewerb. Da bräuchte es eine Harmonisierung. Das wird aber der Markt regeln. Dasselbe gilt für den 3D-Druck. Auch das wird kommen, aber nicht von heute auf morgen.
Report: Und zum Thema Lean: Inwieweit sind die Baustoffhersteller heute schon tatsächlich in die Logistikkette der Baustellen integriert?
Pfeiler: Das scheitert nicht an den Baustoffproduzenten. Dazu braucht es einen Planer, der das zentral koordiniert. Die digitale Vernetzung aller Beteiligten haben wir einfach noch nicht. Aber auch das wird der Markt regeln. Bei den großen Auftraggebern wie ÖBB und Asfinag tut sich da auch schon einiges. Aktuell gibt es da auch noch viele verschiedene Systeme und Lösungen am Markt, die nicht immer kompatibel sind. Irgendwann wird sich ein System durchsetzen.
Report: Der neue Obmann des Fachverbands, Robert Schmid, hat in seinem Antrittsinterview bei uns gesagt, er möchte der jungen Generation in den Unternehmen zeigen, dass die Kammer und der Fachverband einen echten Mehrwert liefert und darin »keine Apparatschiks« sitzen. Wie schwierig ist es heute, den jungen Unternehmensführern den Mehrwert von Interessenvertretungen aufzuzeigen?
Pfeiler: Ich bin Robert Schmid sehr dankbar, dass er sich aktiv um dieses Thema kümmert. Wir haben in der Vergangenheit schon einige Initiativen gestartet, um die Next Generation anzusprechen. Wir sind etwa mit jungen Unternehmensführern nach Brüssel gereist, um mit Parlamentariern zu diskutieren. Das ist extrem gut angekommen.
Schlussendlich muss die junge Generation entscheiden, ob es so etwas wie den Fachverband braucht. Ich persönlich bin überzeugt davon, dass die Branche ein Sprachrohr braucht. Und ich glaube schon, dass die Jungen das auch so sehen. Ich bin wirklich extrem begeistert, wie gut diese Leute sind und wie groß der Unternehmergeist ist. Da gibt es einige hochtalentierte und hochengagierte Persönlichkeiten, die auch gerne aktiv wären, die sich aber eben erst ins Unternehmen einarbeiten.
Report: Welche Schwerpunkte wird der Fachverband im Jahr 2020 setzen?
Pfeiler: Mir geht es vor allem darum, der Politik aufzuzeigen, dass der Gebäudesektor ein großes Potenzial besitzt, um aktiv zum Klimaschutz beizutragen. Aber dieses Potenzial können wir nur dann nutzen, wenn es eine echte Baustoffneutralität gibt. Um Gehör zu finden, brauchen wir Projektpartner. Mit unserer Initiative »reconstruct« ist es uns gelungen, sehr gute Projektpartner wie das WIFO, das Wegener Institut, das Center for European Policy Studies und sustainserv aus der Schweiz an Bord zu holen.
Ziel der Initiative ist es, alle Potenziale aus dem Bereich Bau aufzuzeigen, die CO2-Emssionen senken und den Energie- und Ressourcenverbrauch reduzieren können – und zwar baustoffneutral. Es geht nicht darum, massive Baustoffe zu pushen, sondern die Stärken der einzelnen Baustoffe zu identifizieren und die idealen Einsatzgebiete aufzuzeigen (siehe Kasten).
Über allem steht das Ziel, mit der Baustoffproduktion einerseits und dem Gebäudesektor andererseits so viel wie möglich zu einer zukünftigen Klimaneutralität beizutragen. Das schaffen wir nur, wenn wir die Stärken aller Baustoffe richtig einsetzen, und nicht, indem wir einzelne Baustoffe ausschließen. Denn ohne Aufträge keine Innovation, und ohne Innovation keine Fortschritte.
Veranstaltungstipp: Green Deal 2050
Bauen für eine klimaneutrale Zukunft – Lösungen gesucht
Mit Leonore Gewessler, Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie
Zukunftsfähiges Bauen braucht radikale Innovationen, wie herausragende Beispiele aus der Schweiz zeigen: Mit dem Quartier »Suurstoffi« – Stadtentwicklung mit Null-Emissionen – treibt die renommierte Forschungseinrichtung EMPA neue Bautechnologien voran und an der ETH Zürich wird die Digitalisierung im Bauen ausgelotet. ReConstruct, eine Forschungsplattform zur Zukunft des Bauens von WIFO, Sustainserv Zürich – Boston, Center for European Policy Studies Brüssel, Wegener Center an der Universität Graz und dem Fachverband Steine-Keramik, lädt zu einer Diskussion, wie sowohl Österreich als auch der EU-Green Deal von diesen Innovationen profitieren können und im Gebäudesektor die Klimaneutralität sichergestellt werden kann.
Wann & Wo: Montag, 16. März 2020
15.00 Uhr; Wolke 21 im Saturntower
Leonard-Bernstein-Straße 10,
1220 Wien
Anmeldung unter:
UPDATE 11. MÄRZ 2020: ABSAGE ReConstruct
Das ReConstruct Event in Wien am 16. März 2020 um 15.00 Uhr in der Wolke 21 im Saturntower muss leider abgesagt werden. Grund dafür ist das aktuelle Verbot von Indoor-Veranstaltungen mit mehr als 100 Personen durch die Österreichische Bundesregierung.
Wir informieren Sie in Kürze über Alternativen zu dieser Veranstaltung.
Unabhängig davon haben wir zur Veranstaltung für Sie die Broschüre ‚BAUEN UND BAUSTOFFE 2050‘ vorbereitet mit Case Studies und weiteren Informationen zu zukunftsfähigem Bauen. Sie können diese auf https://www.rethinkconstruction.net/index.php/2020/03/11/broschure-bauen-und-baustoffe-2050/ downloaden.
Sollten Sie eine gedruckte Version der Broschüre wünschen, wenden Sie sich bitte unter Angabe einer Postadresse an
Mit besten Grüßen
Ihr ReConstruct Team