Lean IPD – die Kombination aus Lean Management und integrierter Projektabwicklung als innovativer Ansatz zur wertschöpfenden Organisation, Planung und Produktionssteuerung von Bauvorhaben.
Die traditionellen Projektabwicklungsmodelle in der Bauwirtschaft sind geprägt von einer fragmentierten und hierarchischen Struktur in der Projektorganisation, einer sukzessiven, z.T. sehr späten Einbindung der Projektbeteiligten, einer starken Trennung von Planung und Ausführung sowie einer Vielzahl von Einzelverträgen des Bauherrn mit den Planungs- und Baubeteiligten. Auch wenn sich der Bauherr für den Einsatz von Generalplanern und Generalunternehmern entscheidet, verbleibt es bei der Vielzahl der Einzelverträge und der Fragmentierung, dann übertragen auf diese Kumulativleistungsträger über mehrere Ebenen hinweg im Verhältnis zu deren Nachunternehmern.
Diese Art der Projektabwicklung führt auf Ebene des Einzelprojekts dazu, dass die Ziele der Projektbeteiligten sehr häufig nicht im Einklang oder gar im Widerspruch zu den Zielen des Bauherrn stehen. Die sukzessive Einbindung führt dazu, dass erst sehr spät im Projektverlauf ein gemeinsames Verständnis aller Beteiligten für das Produkt entsteht. Die durch die vielen Einzelverträge beförderte »Silostruktur« führt dazu, dass es zu vielen, manchmal sehr weitreichenden Kommunikationsproblemen kommt. Risiken und Chancen werden z.T. nur sehr spät erkannt.
Dadurch werden Potenziale durch früh erkannte Chancen nicht gehoben und die späte Behandlung von Risiken kann zu erheblichen Termin- und Kostenüberschreitungen führen. Die mangelnde Einbindung des Know-hows von ausführenden Unternehmen in der Planungsphase führt dazu, dass erhebliche Wertschöpfungspotenziale durch die mangelnde Berücksichtigung von Erfahrungen hinsichtlich Logistik und Bauproduktion nicht genutzt werden. Immer wieder muss bei dieser Art der Projektorganisation erhebliche Energie aufgebracht werden, um trotz der Zielwidersprüche das Verhalten der Beteiligten hin zu einem Miteinander zu lenken.
Neben den Folgen für die Einzelprojekte sind die Konsequenzen für die gesamte Branche frappierend: Fehlerkosten im zweistelligen Milliardenbereich allein in Deutschland, eine seit Jahrzehnten mehr oder minder stagnierende Produktivitätsentwicklung, gescheiterte Großprojekte mit erheblichem Ansehensverlust im Ausland, eine hohe Zahl hocheskalierter Konflikte, die über Jahre hinweg gerichtlich und mit erheblicher Ressourcenverschwendung auf allen Seiten ausgetragen werden. Es verwundert vor diesem Hintergrund nicht, dass auch die Attraktivität der Baubranche für Fach- und Führungskräfte der nächsten Generation zu wünschen übrig lässt, um es vorsichtig auszudrücken.
Integrierte Projektabwicklung
Ein vielversprechender Ansatz, um die Projektabwicklung im Bauwesen auf Wertschöpfung und Innovation auszurichten, ist »Lean IPD«. Hinter diesem Begriff verbirgt sich ein ganzheitliches Projektabwicklungsmodell, das aus der Kombination der durchgängigen Anwendung der Lean-Management-Philosophie mit den organisatorischen, ökonomischen und vertraglichen Rahmenbedingungen von IPD (Integrated Project Delivery) besteht.
Die Übertragung der Lean-Management-Philosophie auf das Bauwesen wird als Lean Construction bezeichnet. Hinter Lean steht ein Managementansatz, der von den Idealen charakterisiert wird, den Fokus vollständig auf den Wert aus Sicht des Kunden auszurichten und hierbei durch eine kontinuierliche Verbesserung von Prozessen jegliche Art von Verschwendung zu vermeiden. Basis für die Verfolgung dieser Ideale auf der kulturellen Ebene sind Respekt und Wertschätzung für die am Produktionsprozess beteiligten Menschen und ein hohes Maß an Transparenz, um das Gesamtsystem verbessern zu können.
Lean-Prinzipien
Die wesentlichen Lean-Prinzipien im Rahmen der Gestaltung der Prozesse sind neben der erforderlichen Identifikation des Werts aus Sicht des Kunden und der Analyse des Wertstroms die Prinzipien Pull und Fluss sowie das sogenannte Streben nach Perfektion, das sich in der Schaffung einer Kultur des kontinuierlichen Lernens manifestiert. In der Praxis des Planens und Bauens hat sich neben dem Einsatz von zahlreichen Lean-Methoden, die auch in anderen Industrien zum Einsatz kommen, das sogenannte Last Planner System (LPS) als besonders effektiv herausgestellt.
Dabei handelt es sich um ein System der Produktionsplanung und -steuerung, das in hohem Maße auf Kollaboration, vorausschauender Planung – gleichzeitig auf mehreren zeitlichen Ebenen – und einem kontinuierlichen Lernprozess zur Verbesserung der Zusammenarbeit basiert. Hierbei kann auch das Element der Taktung zur Stärkung des Flussprinzips fallweise sehr gut integriert werden. Daneben existieren zahlreiche, in der Praxis bewährte Methoden für die Bedarfsermittlung, Planung und Ausführung, die auf Lean-Prinzipien basieren.
Internationale Vorbilder
Integrated Project Delivery (IPD) bzw. zu Deutsch Integrierte Projektabwicklung (IPA) ist ein Ansatz, der sich international bereits als sehr vielversprechend, insbesondere für die Realisierung komplexer Bauvorhaben, herausgestellt hat. In den USA ist das Modell unter IPD bekannt und wird bereits vielfach eingesetzt. In Australien und Finnland z.B. werden Modelle, die im Wesentlichen auf denselben Grundsätzen basieren, oft als »Project Alliancing« bezeichnet. Auch hier liegen bereits vielfältige Erfahrungswerte vor, die die Effektivität im Sinne der Erreichung der Projektziele untermauern.
Wesentliche Charakteristika der Integrierten Projektabwicklung sind
- Frühzeitige Einbindung der für den Projekterfolg maßgeblichen Planungs- und Ausführungsbeteiligten
- Schaffen einer integrierten Projektorganisation mit allen Beteiligten durch eine integrierte Governance-Struktur, integrierte Projektteams auf Ebene der Bauwerkssysteme, Strukturen für gemeinsame Optimierungen, Risikomanagement und Entscheidungen sowie Konfliktlösungsmechanismen
- Frühzeitige gemeinsame Durchdringung des Projekts als Basis für die Definition gemeinsam vereinbarter Ziele
- Ein auf der Erstattung der Kosten der Beteiligten basierendes Vergütungssystem, in dem die Beteiligten ihre Gewinnanteile bzw. ggfs. Anteile der Allgemeinen Geschäftskosten in einen gemeinsamen Topf geben, dessen Ausschüttung an die Partner vom tatsächlichen Erreichungsgrad der zuvor definierten Ziele abhängt. Dabei verlieren alle gemeinsam oder es gewinnen alle gemeinsam. Damit werden die ökonomischen Ziele aller Beteiligten auf die Gesamtprojektziele ausgerichtet, was im Ergebnis dazu führt, dass sich die Partner nach dem Grundsatz »Best for Project« verhalten (müssen), da dies auch im eigenen ökonomischen Interesse liegt.
- Weitgehende Haftungsbeschränkungen für die Planungs- und Ausführungsbeteiligten, um Innovation nicht durch Angst zu hemmen und eine positive Fehlerkultur im Projekt zu fördern und somit bei Auftreten von Problemen die Kraft und Energie der Beteiligten auf die schnelle und kreative Lösungsfindung und nicht auf die Klärung der Schuldfrage zu fokussieren.
- Ein Mehrparteienvertrag, der im Sinne eines relationalen Vertrages die genannten Strukturelemente in einem gemeinsamen Vertrag im Sinne von »Spielregeln der Zusammenarbeit« rechtlich abbildet.
Bild oben: Wesentliche Bestandteile des Projektabwicklungsmodells Lean Integrated Project Delivery (Lean IPD)
Schwächen beseitigen
Die Erfahrungen im Ausland sind vielversprechend. Es spricht viel dafür , dass durch Lean IPD die systemischen Schwächen traditioneller Projektabwicklungsmodelle beseitigt werden können. Dies muss jedoch mit einem ausgeprägt hohen Fokus auf die Etablierung und Aufrechterhaltung einer kollaborationsbasierten Kultur einhergehen, um die in vielen Jahrzehnten »geübten« konfliktbasierten Verhaltensweisen abzulegen. In Deutschland haben inzwischen erste Bauherren Pilotprojekte mit diesem innovativen Projektabwicklungsmodell gestartet. Das KIT begleitet diese Projekte und wird die hierbei gewonnenen Erkenntnisse sukzessive allen am Bau Beteiligten zur Verfügung stellen, um auch auf dieser Ebene einen kontinuierlichen Lernprozess zu fördern.