Sonntag, Dezember 22, 2024
Auf dem Weg in die nächste Dimension

Die traditionelle Abwicklung von Bauprojekten ist aufgrund zunehmender Komplexität nicht mehr effizient. Auch bei der Baustellenausrüstung hinterlässt die Digitalisierung ihre Spuren und es entstehen völlig neue Geschäftsmodelle. Bis zur vollkommen digitalen Baustelle wird es noch einige Jahre dauern, aber die ersten Schritte werden schon gesetzt.

Heute kommt keiner mehr an der Digitalisierung vorbei. Baumaschinen ändern sich radikal«, betont Univ.-Prof. Sebastian Kummer, Leiter des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik an der Wirtschaftsuniversität Wien und bringt dieses anschauliche Beispiel: »Bei Tata Hitachi gewinnt die Multifunktionalität an Gewicht. Steuerstand, Räder, Achsen und Motor bilden den Kern. Die Steuerung der Maschinen kann alle Aufgaben erledigen, also schieben, ziehen oder heben. Rund um den Kern wird ein physisches Device gebaut, das je nach Einsatz anders aussieht – und fertig ist der Gabelstapler für Paletten oder der Kran für Hebearbeiten, der auf der Baustelle flexibel angepasst werden kann.« Zu berücksichtigen ist laut Univ.-Prof. Kummer dabei die Lastenverteilung.

»Die Digitalisierung bietet Algorithmen, die berechnen, wie das Gewicht verschoben werden muss.« Durch die Digitalisierung erwartet Kummer auch die Schaffung neuer Geschäftsmodelle, Maschinenausrüster wandeln sich zu Systemintegratoren. Maschinenhersteller können ihre Geräte künftig inklusive Personal, Planung, Abrechnung und Service bereitstellen. Der Kunde erhält ein umfassendes Paket, ein Sharing-Modell, das durch Effizienz und Schnelligkeit überzeugt.

Bild oben: Univ.-Prof. Sebastian Kummer erwartet durch die Digitalisierung die Schaffung neuer Geschäftsmodelle.
 

Neue Wege

»Die traditionelle Abwicklung von Bauprojekten ist aufgrund zunehmender Komplexität nicht mehr effizient«, erklärt Gottfried Mauerhofer vom Institut für Baubetrieb und Bauwirtschaft der TU Graz. Überflüssige Arbeitsschritte, Missverständnisse in der Kommunikation oder schlecht geplante Materialflüsse wirken sich negativ auf die Zeitplanung sowie auf die Kosten und die Zufriedenheit aller Beteiligten aus.

»Die Baubranche hängt bei der Digitalisierung etwas hinten nach, es besteht Aufholbedarf«, gibt Daniel Rumbold, Logistikmanager bei STO, zu. Die bereits stattfindende Einteilung von Zeitslots zur Anlieferung oder die Reservierung von Lagerflächen bildet laut Mauerhofer keine wirkliche Digitalisierung, vielmehr eine einheitliche elektronische Kommunikation. Eine wirklich digitale Baustelle, in der Baugeräte durch das Internet der Dinge autonom miteinander kommunizieren, werde es innerhalb der nächsten Jahre nicht geben. Dazu ist der Bauprozess zu komplex, zu variantenreich und die künstliche Intelligenz in diesem Bereich noch nicht ausreichend entwickelt.

Laut STO versucht die Baubranche bereits, die Rückstände aufzuholen. Im Rahmen von Innovations- und Technologisierungsplattformen erarbeiten Unternehmervertreter, Startups, Wissenschafter und Politiker Digitalisierungskonzepte für die Baustelle, die auch umgesetzt werden. STO ist Partner von BE5, der Innovations- und Digitalisierungs-Plattform vom deutschen UnternehmerTUM für den Gebäude- und Infrastruktursektor. Erste Ergebnisse will das Unternehmen 2020 präsentieren. »Für uns als Handelsunternehmen bietet die Digitalisierung einen entscheidenden Vorteil hinsichtlich der Transparenz gegenüber dem Kunden«, so Rumbold. Realistischere Liefertermine können automatisiert bekannt gegeben werden, ebenso Lieferverzögerungen.

Zukunft bedeutet Connected

»Auch wir sehen durch die Digitalisierung den Trend hin zur elektronischen Datenverarbeitung. Das ist der erste große Sprung in der Baustellenausrüstung«, erklärt Dominik Dam, Produktmanager bei Zeppelin. Um die Maschinen produktiver auszulasten, hat Zeppelin Telemetriesysteme eingeführt. Connected Worksite beschreibt die Vernetzung der Maschinenflotten mit der Baustellenleitung. Cat Grade Control zeigt dem Fahrer etwa die genaue Tiefe des Schneidmessers an, damit bei jedem Durchgang sicher die erforderliche Tiefe und Neigung erreicht wird. Zu starkes Abtragen wird verhindert, der Ladevorgang optimiert und der Arbeitstakt Beladen-Transportieren-Abkippen vereinfacht. »Die Telemetriesysteme nehmen dem Fahrer Aufgaben ab, es müssen weniger Funktionen gleichzeitig bedient werden. Das fördert ermüdungsfreie Arbeit und steigert die Genauigkeit«, betont Dam.

Bild oben: »Eine vollautomatische Baulogistik ist denkbar. Selbstfahrende LKW liefern Baustoffe und Baumaterialien an, ein autonomer Kran lädt die Fracht ab, transportiert sie zum Bauarbeiter und liefert den getrennten Abfall zu einer zentralen Baustellenentsorgungseinheit. Doch aufgrund der hohen Komplexität und vor allem der großen Varianz der Abläufe auf einer Baustelle ist ein solcher Ablauf noch Science-Fiction«, ist Gottfried Mauerhofer, TU Graz, überzeugt.

Ein weiteres Digitalisierungs-Tool ist ProductLink. Darüber werden laufend GPS-Position, Start-/Stopp-Zeiten, Kraftstoffverbrauch, Betriebsstunden, Kraftstofffüllstand und Fehlercodes übermittelt. Der nächste Schritt ist laut Dominik Dam die Umwandlung von GPS-Signalen und das Hochladen von Plan- und Kartenmaterial auf die Maschinen. Dass die Maschine selbständig auf der Baustelle unterwegs ist, davon sei das Bauwesen noch weit entfernt, vor allem auf Kleinbaustellen. In Minen werden autonom fahrende Muldenkipper bereits eingesetzt.

Denn für autonomes Fahren ist ein Umfeld ohne Störfaktoren wie Arbeiter oder andere Maschinen entscheidend. Zudem sind die Kosten für solche Systeme noch relativ hoch. Potenzial für autonom fahrende Maschinen besteht für den Zeppelin-Manager auf jeden Fall, schon allein durch die sich ergebende höhere Sicherheit, durch mehr Genauigkeit und Zeitersparnis. Das Schlagwort lautet Effizienz, auch für Cramo. »Die Anforderungen an die Genauigkeit der Ausführung steigen. Die Herausforderungen für uns als Baustellenausrüster bestehen darin, dass die Baumaschinen die Daten liefern müssen, die notwendig sind, um den genauen Prozessfortschritt erkennen, steuern und bewerten zu können«, betont Christian Heigl, Geschäftsführer von Cramo.

»Je genauer die Planung der Arbeitsaufgaben und der Anforderung an das jeweilige Gerät, umso wichtiger ist es, die passende Maschine auf der Baustelle zur Verfügung zu haben. An uns wird es liegen, die erforderlichen Geräte zur richtigen Zeit an den richtigen Ort zu bringen, um den Arbeitsfortgang optimal zu unterstützen.«

Ein wesentlicher Faktor dabei ist die Übertragung von Information von und zur Baumaschine, um Stillstandzeit zu vermeiden, die Bauabläufe zu straffen und die Personallogistik zu optimieren. »Erfahrungsgemäß wird nur ein Drittel der Arbeitszeit einer Arbeitskraft auf der Baustelle tatsächlich wertschöpfend eingesetzt«, betont Kurt Philipp Rockenbauer, Programm-Manager des Universitätslehrganges Lean Baumanagement an der TU Graz. Ein anderes Drittel werde für Transport und Suche aufgebracht, der Rest sei klassische Verschwendung wie Wartezeit oder Fehlproduktion.

Bild oben: wastebox.biz ist eine digitale Plattform und App für eine besonders einfache Organisation der Baustellenentsorgung. Die Plattform vernetzt Baufirmen und Entsorgungsbetriebe in Echtzeit, quasi das booking.com oder Uber der Baustellenentsorgung.
 

Design Thinking

Rund um die gesamte Baustellenausrüstung braucht es ein neues Konzept. »Die Problemstellung im Bereich der Baulogistik kannmeiner Meinung nach nur zu einem geringen Teil durch die Digitalisierung gelöst werden. Wir verfolgen hier eher organisatorische Ansätze von Lean Logistics. Digitalisierung ist erst der übernächste Schritt in diesem Themenbereich«, stellt Professor Mauerhofer fest. Der Lean-Baumanagement-Ansatz eröffnet neue Wege in der Bauprojektabwicklung. Vergleicht man den Trubel auf einer Baustelle mit den geordneten, perfekt geplanten Abläufen in Produktionshallen der Automobilindustrie, wird schnell deutlich, dass Bauprojekte mit verschlankten Prozessen noch deutlich effizienter werden können. Zu Lean Baumanagement bietet die TU Graz einen neuen Universitätslehrgang an.

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