Sonntag, Dezember 22, 2024
»Wie eine Autofabrik unter freiem Himmel«
Foto: Strabag

Im Interview mit Report(+)PLUS spricht Strabag-Vorstandsmitglied Peter Krammer über notwendige Änderungen im Vergabeprozess, Verbündete im Infrastrukturministerium und seine Vorstellung von  der Baustelle der Zukunft. Außerdem erklärt er, warum es eine Produktivitätssteigerung von mindestens 20 Prozent braucht: Nicht um die eigene Marge zu erhöhen, sondern um die derzeitige Produktionsleistung auch in Zukunft aufrechtzuerhalten.

(+) plus: Vielerorts ist von einem Paradigmenwechsel in der Baubranche zu hören: Building Information Modeling, 3D-Druck, Virtual und Augmented Reality, Sensorik oder Industrie 4.0 auf der digitalen Seite, kooperative Projekt­abwicklung oder Serien- und Vorfertigung auf der anderen Seite. Wie viel ist von diesen vermeintlichen oder tatsächlichen Paradigmenwechseln in der Praxis zu spüren?

Peter Krammer: Das ist ganz unterschiedlich. Alle diese Punkte greifen aber irgendwie auch ineinander. Wir können etwa Building Information Modeling nicht ohne eine geänderte Art der Vergabe umsetzen. Vor allem bei privaten Auftraggebern spielt die digitale Planung und die Optimierung unseres Bauablaufes schon eine große Rolle. Da gibt es selbstverständlich eine kooperative Projektabwicklung und ein Teamkonzept. Das machen wir etwa seit vielen Jahren mit den Shoppingcenter-Betreiber ECE. Ein aktuelles Highlight ist der Springer Campus in Berlin. Dort werden alle diese Themen intensiv umgesetzt.

(+) plus: Projekte im Ausland sind das eine, aber sind diese Themen auch in Österreich schon angekommen?

Krammer: Die Themen kommen auch in Österreich langsam an. Wir haben auch in Österreich zahlreiche Team-Concept-Projekte. Gerade bei den großen öffentlichen Auftraggebern ist der kooperative Umgang miteinander bei Bauprojekten heute selbstverständlich. Das ist gut und wichtig, aber der kooperative Gedanke muss viel früher, bei der Vergabe, ansetzen. Schon der Planungsprozess muss im Idealfall gemeinsam bewältigt werden. Dafür setze ich mich stark ein.

(+) plus: Diese Idee verfolgen viele Verbände und Interessensvertretungen. Woran hakt es?

Krammer: Es gibt ein eingefahrenes System, das in den meisten Fällen auch gut funktioniert. Der Wiener Hauptbahnhof ist ein perfektes Beispiel. Dank kooperativer Abwicklung sind wir in der Zeit und im Budget geblieben. Es gibt aber natürlich auch viele Negativbeispiele. Gerade dann, wenn es komplex wird und es auch viele bautechnische Herausforderungen gibt. Da braucht es unbedingt eine lange Vorlaufzeit, in der alle Beteiligten gemeinsam das Projekt vorbereiten, bevor zu bauen begonnen wird.

Die Sanierung des Knotens Prater ist ein idealtypisches Beispiel. Da sind zwischen der Vergabe und dem Baubeginn mehrere Monate vergangen, um sämtliche Details zu klären. Es ist doch unsinnig, dass ein Bauunternehmen, das nur wenige Woche Zeit hat, ein Projekt zu erfassen und ein Angebot abzugeben, schon unmittelbar nach der Vergabe mit dem Bauprozess beginnt. Diesen Zeitraum müssen wir noch weiter vergrößern, um gemeinsam am Projekt, an der Planung und der Bauausführung arbeiten zu können. Und letztendlich geht es auch darum, hier schon Aspekte des Betriebs zu berücksichtigen. Denn darum geht es den Auftraggebern im Endeffekt.

(+) plus: Mit der längeren Vorlaufzeit steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Kosten halten ...

Krammer: Absolut richtig. Natürlich gibt es Risikozuschläge. Da kommt es dann manchmal vor, dass der Auftraggeber mehr zahlt, oder dass er viel zu wenig zahlt und wir einen Riesenverlust machen. Je intensiver ich mich mit dem Projekt im Vorfeld befasse, desto geringer können die Risikozuschläge sein und desto geringer werden die Mehrzahlungen des Auftraggebers oder die Verluste der Bauunternehmen. 

(+) plus: Gerade zum Thema BIM gibt es seit Jahren zahlreiche Veranstaltungen, die zeigen, was mit BIM alles möglich ist und welche Vorteile sich daraus ergeben werden. In der Planung wird schon länger auf BIM gesetzt, auf der Baustelle spielt BIM aber kaum eine Rolle. Wie viele echte BIM-Projekte hat die Strabag in Österreich am Laufen?

Krammer: Da muss ich Sie korrigieren. Nicht BIM, sondern 3D-Planung wurde in der Vergangenheit eingesetzt. Aber 3D-Planung ist nicht BIM. BIM ist 3D-Planung, bei der zusätzlich jedes Objekt mit Attributen versehen wird. Wir sind gerade dabei, das von der Planung in die Ausführung zu transformieren. Derzeit haben wir in Österreich mit der Absurdität zu kämpfen, dass Planer 3D-Pläne erstellen, die dann als 2D-PDF an uns weitergeleitet werden und wir machen dann BIM-Modelle draus, bevor wir dem Bauherrn wieder 2D-Pläne übergeben. Das ist Wahnsinn, da wird Schindluder getrieben.

Dabei sind wir jetzt schon in der Lage, Schichtmodelle zu entwickeln, mit denen wir die Massenlogistik über das BIM-Modell abwickeln können. Damit können wir LKW-Fahrten reduzieren und die Umweltbelastung deutlich senken. Mit solchen Modellen beginnen wir jetzt in der Praxis zu arbeiten.

Wir haben auch die ersten Projekte als BIM-Projekte, auch in der Ausführung, angeboten, etwa die A5 Drasenhofen. Dabei handelt es sich um das erste österreichische BIM-Projekt im Verkehrswegebau. Aber man kann ganz generell sagen, dass wir mit dieser Thematik auf offene Ohren bei den Auftraggebern stoßen. Das gilt auch für das Infrastrukturministerium. Ich hatte erst kürzlich in meiner Funktion als Vorsitzender der Österreichischen Bautechnik Vereinigung ÖBV eine Unterredung mit Minister Hofer. Dabei hat er mir versichert, dass wir in ihm einen Verbündeten haben.

(+) plus: In Deutschland ist BIM ab 2020 bei öffentlichen Aufträgen verpflichtend. Ähnlich konkrete Schritte fehlen in Österreich aber noch.

Krammer: Das stimmt. Der deutsche BIM-Masterplan ist sehr fortschrittlich. Österreich ist aber ein anderer Markt. Natürlich können die großen Bauunternehmen BIM. Österreich ist aber stark vom Mittelstand geprägt. Und es geht ja nicht darum, dass die großen Bauunternehmen dann alle Aufträge einfahren. Mittelständische Unternehmen können vielleicht nicht dieselbe Entwicklungsarbeit leisten wie eine Porr oder Strabag. Aber sie können von unseren Vorarbeiten und der Entwicklung profitieren, wenn sie ihre Hausaufgaben machen und Interesse zeigen.

(+) plus: Wann ist aus Ihrer Sicht ein österreichisches Äquivalent zum deutschen BIM-Plan realistisch?

Krammer: Wir hinken nicht so weit hinterher. Wir haben auch den großen Vorteil, dass es nicht allzu viele öffentliche Auftraggeber gibt und viele bereits mit BIM arbeiten. Aber natürlich wäre ein Anstoß durch die Politik hilfreich.

(+) plus: Ein wichtiges Thema der Branche ist die Produktivität bzw. mangelnde Produktivität. Wie kann die Strabag ihre Produktivität und damit auch ihre Margen steigern?

Krammer: Produktivitätssteigerung ist ein enorm wichtiges Thema. Aber nicht, um die Margen zu erhöhen, sondern um die Pensionierungswelle, mit der wir in zehn, 15 Jahren konfrontiert sind, irgendwie abfedern zu können. Wenn wir unsere Produktivität nicht um mindestens 20 Prozent steigern, werden wir nicht mehr das leisten können, was wir heute leisten. Der Facharbeitermangel hängt wie ein Damoklesschwert über der gesamten Branche.

(+) plus: Wie wollen Sie die Produktivität derart steigern?

Krammer: Das geht nur über eine durchgängige Planung, wo jeder einzelne Schritt genau fixiert ist. Wir müssen exakt wissen, welche Ressource zu welchem Zeitpunkt benötigt wird und wann welche Bauschritte durchgeführt werden. Wir können auf der Baustelle nicht mehr von der Hand in den Mund leben, sondern müssen viel strukturierter arbeiten. Dazu kann man mit Lean Construction die Baustellenlogistik verbessern. Und natürlich kann man auch mit neuen Baustoffen und Technologien wie dem 3D-Druck oder einem höheren Maß an Vorfertigung die Produktivität erhöhen. Die »industrielle Fertigung des Unikats« ist von zentraler Bedeutung. Aber auch dafür braucht es eine durchgängige Planung. 

(+) plus: Die positive Konjunktur hat neben dem Facharbeitermangel auch andere Schattenseiten. Kritiker warnen etwa vor einer Marktüberhitzung. Wichtige Auftraggeber wie die ÖBB oder auch die Wiener Linien haben Ausschreibungen schon gestoppt, weil sie zu wenig Angebote bekommen und die Preise zu hoch seien. Können Sie die Argumentation nachvollziehen?

Krammer: Nein, das kann ich nicht. Ich kenne die Argumentation, aber sie stimmt nicht. Denn bei einer realistischen Kostenschätzung kommt man auf die Preise, die wir aufgerufen haben. Gerade in Österreich hatten wir jahrelang sehr konstante Preise. Natürlich hat es aktuell erhebliche Preissteigerungen gegeben, weil im gesamteuropäischen Raum die Nachfrage steigt. Es ist auch im Moment ungemein schwierig, qualifizierte Subunternehmen zu finden, aber daran scheitern Projekte nicht

(+) plus: Die Strabag kann vom Metall- und Fassaden bis zum Facility Management vieles intern abdecken. Ist eine weitere Vertiefung der Wertschöpfungskette angedacht?

Krammer: Es ist nicht unser Ziel, alles selbst zu machen. Wir arbeiten gerne mit unseren Lieferanten und Subunternehmen. Wichtig ist aber dennoch, für alle Gewerke eine gewisse Ausführungskompetenz im Haus zu haben, um zu wissen und zu verstehen, was zu tun ist. Im Verkehrswegebau haben wir schon jetzt eine sehr tiefe Wertschöpfungskettte, da brauchen wir kaum Subunternehmen. Im Hochbau ist das anders. Gerade die Haustechnik stellt eine enorme Herausforderung dar, die wir weiterhin überwiegend mit Subunternehmen abwickeln, die Ingenieurkompetenz im Haus aber stetig ausbauen.

(+) plus: Wie stellen Sie sich die Baustelle oder generell die Bautätigkeit in zehn Jahren vor? Werden wir uns an ziegelschupfende Roboter gewöhnen müssen?

Krammer: Ich rechne nicht mit Robotern, die Ziegel aufeinander schlichten. Ich stelle mir die Baustelle der Zukunft geordnet und strukturiert vor, als eine Art Autoproduktion unter freiem Himmel, wie eine Fabrik. Es wird aber nie eine Standard-Produktion geben, sondern immer eine an die Umgebung angepasste Produktion. Denn wir werden immer mit Witterungsbedingungen zu kämpfen haben. In kalten Regionen arbeiten wir anders als in warmen, in Gegenden mit viel Niederschlag anders als in trockenen Zonen.

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