Am 11. Oktober lud der Bau & Immobilien Report zur Jubiläumsveranstaltung »15 Jahre Enquete Chance Hochbau«. Auch in diesem Jahr diskutierte ein hochkarätig besetztes Podium die aktuellen Brennpunkte der Branche. Dabei wurde ein weiter Bogen gespannt von der aktuellen Hochkonjunktur und ihren Schattenseiten über Produktivitätsgräben, Digitalisierung und Bestbieterprinzip bis hin zur Infrastruktur. Außerdem wurde eine exklusive Studie des Bau & Immobilien Report zum Thema Claim Management präsentiert.
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Es ist einer der traditionellen Treffpunkte der heimischen Baubranche. Zum 15. Mal veranstaltete der Bau & Immobilien Report die Enquete »Chance Hochbau«. Und wieder folgten rund 130 Entscheidungsträger aus der Bau- und Immobilienwirtschaft der Einladung in den Gironcoli-Kristall im Strabag-Haus.
Nach der Begrüßung durch den Hausherrn Markus Engerth, Vorstandsmitglied der Strabag, der auf die großen und notwendigen Veränderungen hinwies, denen sich die Bauwirtschaft stellen muss, diskutierten im ersten Teil der Veranstaltung Michael Klien, Bau-Experte am WIFO, Christoph Weber von der Managementberatung Horvath & Partners und der Tiroler Landesinnungsmeister Bau, Anton Rieder, unter der Leitung von Martin Szelgrad, Report Verlag, über die aktuelle Hochkonjunktur am Bau und Fragen der Rentabilität.
Thema Konjunktur
Am Beginn der Diskussionsrunde stellte Michael Klien fest, dass die Baukonjunktur derzeit »sehr gut bis überragend läuft«. Mit einem Produktionswachstum von rund 8 % verzeichnet die Bauwirtschaft den stärksten Aufschwung seit über zehn Jahren, seit Beginn der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise. Noch ein Stück weiter ging Anton Rieder: »Ich bin seit 30 Jahren im Geschäft, aber eine derartige Konjunktur habe ich noch nicht erlebt«, so der Tiroler Landesinnungsmeister. »Allerdings bekommen wir die Dynamik nicht auf den Boden. Eine Rendite von unter 3% ist bei den vorhandenen Risiken zu wenig.« Um die Rentabilität zu steigern, müssten die Produktivitätsgräben zwischen Planung und Ausführung sowie zwischen Haupt- und Nachunternehmen geschlossen werden. »Dafür brauchen wir vor allem eine bessere Baustellenlogistik, denn heute gehen unsere Fachkräfte 30 % ihrer Arbeitszeit spazieren.«
Thema Produktivität
Die im Vergleich zur produzierenden Industrie geringe Produktivität erklärte Christoph Weber unter anderem mit einer völlig unterschiedlichen Wettbewerbssituation. »Durch die Globalisierung musste die produzierenden Industrie einen starken Fokus auf die Wertschöpfung legen.« Die Folge, ein hohes Maß an Standardisierung, würde jetzt erst langsam auch in der Bauwirtschaft um sich greifen. Als Vorbild für die Branche könnte laut Weber auch der Anlagenbau dienen. Denn dort käme niemand auf die Idee, ein Projekt zu starten, bevor nicht jedes einzelne Detail geklärt ist. In der baubegleitenden Planung sahen auch Franz Josef Eder, Obmann-Stellvertreter im Fachverband Steine-Keramik, in einer Videoeinspielung und Markus Engerth in einer Wortmeldung aus dem Publikum einen Hauptgrund für Ineffizienz, mangelnde Produktivität und Rentabilität. Unisono erklärten sie, dass »die Improvisation von Entscheidungsprozessen die Produktivität hemmt«. Dennoch ist der Leidensdruck in Sachen Prozessoptimierung laut Wifo-Experten Klien aktuell gering. »Die Konjunktur hat eine hohe Auslastung zur Folge. Man sieht, dass bei Vergaben die Zahl der teilnehmenden Unternehmen sinkt.« Um die Produktivität langfristig dennoch zu steigern, empfiehlt Weber der Branche einen ganzheitlich Blick. »Darin liegt großes Potenzial, das reicht von einer Einkaufsbündelung über Prozessoptimierung bis zu Themen wie Lean Management und Operational Excellence.« Auch eine geändert Fehlerkultur können zu höherer Produktivität führen, so würde etwa Infineon jedes Jahr die besten entdeckten Fehler prämieren.
Am Ende des ersten Panels richtete Rieder noch einen Appell an die Branche und schlug damit auch elegant die Brücke zum zweiten Programmpunkt. »Der Blick muss wieder weg vom juristischen Eck hin auf die Baustelle gerichtet werden, denn sonst dreht sich alles nur noch um das Thema Claim Management.«
Thema Claim Management
Im Vorfeld der Enquete »Chance Hochbau« hatte der Bau & Immobilien Report eine große Umfrage unter den jeweils 30 größten Auftraggebern und Auftragnehmern des Landes zum Thema Claim Management durchgeführt (die Detailergebnisse finden Sie ab Seite 22). Im Rahmen der Veranstaltung wurden die Ergebnisse mit dem Baurecht-Experten Patrick Panholzer von der Rechtsanwaltskanzlei Scherbaum Seebacher analysiert. Laut Umfrage geben fast 95 % der Auftragnehmer an, dass es »oft« oder »sehr oft« zu Nachforderungen kommt, was Panholzer auch aus eigener Erfahrung bestätigen kann. »Zu niedrige Angebotspreise sind unbestritten.« Denn würde man jedes Angebot, das man abgibt, von vorne bis hinten durchkalkulieren, würde man nicht mehr zum Arbeiten kommen, weil man keinen einzigen Zuschlag erhalten würde. Dass sich die Auftraggeber bei der Beurteilung des Gegenübers bei der Abhandlung von Nachforderungen deutlich generöser zeigen und die Auftragnehmer als deutlich gesprächsbereiter und professioneller bewerten als umgekehrt, hat laut Panholzer einen einfachen Grund. »Der Auftraggeber hat die Leistung bereits, und auch noch das Geld. Der Auftragnehmer hat vorfinanziert und befindet sich entsprechend in einer Drucksituation.« Bei der Frage nach den Gründen für Nachforderungen dominieren gegenseitige Schuldzuweisungen (87,1 % schlechte Planung seitens des Auftraggebers; 66,6 % schlechte Ausführung seitens des Auftragnehmers) bzw. generell ein zu hoher Zeitdruck. Befragt, was man sich von der »Gegenseite« im Fall der Fälle wünscht, werden vor allem »mehr Verständnis«, »eine professionelle Abwicklung«, »bessere Planung« bzw. »bessere Preiskalkulation« oder einfach nur »Fair Play« genannt.
Im Anschluss an die Studienpräsentation bat Moderator Martin Szelgrad zur zweiten Podiumsdiskussion. Reinhard Kerschner, Strabag, Andreas Fromm, Asfinag, Franz Bauer, ÖBB, Franz Schwammenhöfer, BMVIT, Brigitte Jilka, Stadtbaudirektion Wien, und Annika Wolf, PHH Rechtsanwälte, debattierten über die Themen Digitalisierung des Bauwesens, Bestbieterprinzip und Finanzierung vor allem in Hinblick auf Infrastrukturprojekte.
Thema: Digitalisierung und BIM
Reinhard Kerschner berichtete, dass die Strabag im Hochbau schon seit 15 Jahren auf BIM setzt, allerdings nur in Deutschland. In Österreich sei die Nachfrage seitens der Auftraggeber leider noch sehr verhalten. Außerdem kritisierte er den späten Einstieg der Auftragnehmer in den BIM-Prozess. »BIM sollte den gesamten Bauprozess abwickeln, vom Entwurf bis zum Rückbau. Wir Auftragnehmer steigen aber frühestens bei der Auftragsvergabe ein.« Zudem fordert Kerschner von der Politik einen BIM-Stufenplan nach deutschem Vorbild.
Einen BIM-Stufenplan konnte Franz Schwammenhöfer, Logistikbeauftragter BMVIT, nicht versprechen, allerdings sicherte er Unterstützung seitens der Ministerien zu. Auch in der Stadt Wien ist BIM natürlich ein Thema, wenngleich man hier aufgrund der vielen Schnittstellen noch Zeit braucht, wie Stadtbaudirektorin Brigitte Jilka ausführte. »Erstes Ziel ist die digitale Baueinreichung.« Mit einer flächendeckenden Implementierung sei bis 2022 zu rechnen. »Der Magistrat hat viele Hüte auf, Planung, Facility Management, Datenbereitstellung, Baubehörde usw. Die Abteilungen und Prozesse so umzubauen, dass BIM einen echten Mehrwert bringt, ist mit großem finanziellen, zeitlichen und organisatorischen Aufwand verbunden.«
Die ÖBB sind da schon weiter. Infrastruktur-Vorstand Franz Bauer stellte eine »flächige BIM-Ausrollung« für das Jahr 2020 in Aussicht. »Wir wollen künftig den gesamten Lebenszyklus unserer Anlagen über BIM abbilden.« Das nötige Know-how holt sich die ÖBB neben Kooperationen mit internationalen Bahngesellschaften auch aus nationalen Pilotprojekten.
Auch die Asfinag hat mehrere Pilotprojekte am Laufen. Einen dringenden Appell richtete Geschäftsführer Andreas Fromm an den Dienstleistungssektor. »Da gibt es Aufholbedarf. Viele Planungsbüros sind noch einen Schritt zurück.«
Thema Finanzierung
Als probates Mittel gegen die weit verbreiteten Kostenüberschreitungen nannte Rechtsanwältin Annika Wolf PPP-Modelle. »Denn da liegen die Risiken bei den privaten Auftragnehmern.« Zudem würden durch die funktionale Leistungsbeschreibung auch innovative Ansätze gefördert. Aktuell sind es vor allem Schulprojekte, die als PPP-Modelle realisiert werden. Allerdings ist Wolf überzeugt, dass PPP in Zukunft auch in der Infrastruktur wieder eine größere Rolle spielen wird. Der eher verhaltenen Reaktion von ÖBB und Asfinag entgegnete Wolf, dass Infrastruktur mehr sei als der Bau von Straßen und Schienen. »Der Ausbau der Breitbandnetze und die Errichtung von leistungsstarken Datencentern wird weiter an Bedeutung gewinnen.«
Thema Projektverschiebungen
Dass die aktuell hohe Auslastung der Bauunternehmen bei der ÖBB bereits zu Projektverschiebungen geführt hat, bestätigten sowohl Schwammenhöfer als auch Bauer. Allerdings seien davon keine laufenden Projekte betroffen und die Umsetzung zu einem späteren Zeitpunkt sei garantiert. Keine Verschiebungen aufgrund von Engpässen und Preissteigerungen sind seitens der Stadt Wien und der Asfinag geplant. »Die Preise sind zwar gestiegen, aber was wir planen, ist notwendig und daher bestenfalls kurzfristig verschiebbar«, sagte Jilka. Und Fromm ergänzte, dass die Asfinag zwar die hohe Nachfrage nach Infrastrukturprojekten an der sinkenden Anzahl von Angeboten spürt, man aber deshalb verstärkt versuche, die Ausschreibungen so zu gestalten, dass ein möglichst großer Markt teilnehmen kann. Diesen vermeintlichen Infrastrukturboom konnte Kerschner nicht ganz nachvollziehen. »In echten Boomphasen wurden in Österreich jährlich zehn Millionen Tonnen Asphalt eingebaut, derzeit sind es sieben Millionen Tonnen.«
Thema Bestbieterprinzip
Durchwegs positiv äußerten sich die Diskutanten zum Thema Bestbieterprinzip. Allerdings zeigte sich auch in dieser Diskussionsrunde, dass es hier noch deutlich Luft nach oben gibt. Bei der Asfinag kam es bei insgesamt rund 400 Ausschreibungen gerade einmal bei acht Projekten zu einer Umreihung, wie Andreas Fromm berichtete. Die ÖBB gewichtet bei Bauleistungen die Qualitätskriterien mit drei bis maximal fünf Prozent. Das spezifische Know-How der Bereiche kann durch das Zulassen von Alternativen einfließen. Bei banalen Dienstleistungen werden die Qualitätskriterien mit 60-70 Prozent bewertet. »ÖBB und Asfinag haben sicher versucht, das Bestbieterprinzip im Sinne des Erfinders umzusetzen«, sagt Kerschner. Die Realität sähe aber leider anders aus. »Da ist das meist gewählte Kriterium dann die Verlängerung der Gewährleistung. Das hat mit dem Ursprungsgedanken nur wenig zu tun.«
Am Podium der Enquete „Chance Hochbau 2018“ (alphabetisch)
Franz Bauer, ÖBB
Andreas Fromm, Asfinag
Brigitte Jilka, Stadtbaudirektion Wien
Reinhard Kerschner, Strabag
Michael Klien, WIFO
Patrick Panholzer, ScherbaumSeebacher
Anton Rieder, Landesinnung Bau Tirol
Franz Schwammenhöfer, BMVIT
Christoph Weber, Horvath & Partners
Annika Wolf, PHH
Begrüßung: Markus Engerth, Strabag
Moderation: Martin Szelgrad, Report Verlag
Im O-Ton:
»Der aktuelle Facharbeitermangel zeigt, dass wir dringend eine Effizienzsteigerung in der Branche brauchen. Auch das Vertragswesen wird sich radikal ändern müssen, das Gegeneinander funktioniert nicht.« Markus Engerth, Strabag
»Die positiven Konjunkturprognosen reichen auch noch in die nächsten Jahre hinein, wenn auch das Wachstum etwas geringer ausfallen wird als derzeit. Wurden früher die fehlende Aufträge als größtes Produktionshemmnis gesehen, ist es heute der Mangel an Fachkräften.« Michael Klien, WIFO
»Die Qualitätskriterien im Rahmen des Bestbieterprinzips müssen für den Auftraggeber nicht nur einen echten Mehrwert bringen, sie müssen auch angriffssicher und messbar sein.« Franz Bauer, ÖBB
»Wir müssen die tiefen Produktivitätsgräben zwischen Planung und Ausführung und zwischen Haupt- und Nebenunternehmen schließen, sonst hilft uns auch die ganze Digitalisierung nichts.« Anton Rieder, Landesinnung Bau Tirol
»Im Anlagenbau käme niemand auf die Idee, ein Projekt zu starten, bevor nicht jedes einzelne Detail geklärt ist.« Christoph Weber, Horvath & Partners
»Nachforderungen sind systemimmanent. Denn schließlich wird durch die baubegleitende Planung am Projektbeginn ein Preis aufgerufen, ohne im Detail zu wissen, was auf die Beteiligten zukommt.« Patrick Panholzer, ScherbaumSeebacher
»Public-Private-Partnership-Projekte sind ein gutes Mitttel gegen Kostenüberschreitungen, weil das Risiko beim Auftragnehmer liegt. Deshalb wird PPP in Zukunft sicher eine Rolle spielen.« Annika Wolf, PHH
»Die Baukosten sind gestiegen, aber noch nicht in dem Ausmaß, dass wir Projekte verschieben müssten. Engpässe gibt es vor allem bei Gewerken, die im Hoch- und Tiefbau benötigt werden. Da kommt es leider auch zu Stillständen auf den Baustellen.« Brigitte Jilka, Stadtbaudirektion Wien
»Aktuell gibt es vonseiten des Infrastrukturministeriums keinen übergeordneten BIM-Plan. Aber natürlich versuchen wir, die Einführung von BIM zu unterstützen.« Franz Schwammenhöfer, BMVIT
»Das beliebteste Qualitätskriterium bei Ausschreibungen nach dem Bestbieterprinzip ist die Verlängerung der Gewährleistung. Das hat mit dem Ursprungsgedanken nur wenig zu tun.« Reinhard Kerschner, Strabag