Montag, Dezember 30, 2024
Bauchemie 2018+
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Braucht Bauchemie einen Imagewandel angesichts aktueller nachhaltiger Bauweisen? Sind Bauunternehmer bereit, einen neuen Weg zu gehen statt des jahrelang erprobten? Gibt es bereits Alternativen? Der Bau & Immobilien Report hat mit Forschern und Herstellern gesprochen.

Von Karin Legat

Gleich vorweg: Forschung und Entwicklung rund um Bauchemie erfolgen kaum auf universitärer Ebene. »Die Hersteller forschen überwiegend selbst, schon aus Wettbewerbsgründen«, erklärt Daniela Trauninger, Donau-Universität Krems.

Thomas Belazzi, Geschäftsführer von bauXund, selbst Chemiker, bestätigt, dass Firmen den Wettbewerbsvorteil suchen und auch brauchen. Deswegen arbeiten sie intern an der Verwendung von weniger Lösemitteln, weniger Schadstoffen und besseren technischen Eigenschaften. Die größte Herausforderung ist die Entwicklung der Rezepturen moderner Produkte, die deren technische Funktion sicherstellen. Bernhard Mucherl, Geschäftsführer Murexin: »Das erfordert viel Forschungs- und Entwicklungsarbeit, aber auch Erfahrungsschatz. Trotzdem erachten wir diesen Einsatz als lohnenswert, denn der Erfolg gibt uns recht.« Murexin erwirtschaftet etwa ein Drittel des Umsatzes mit Produkten, die nicht älter als fünf Jahre sind. Das beweist, dass der Markt für ökologische Innovationen offen ist. Mucherl sieht großes Potenzial bei Produkten auf Basis sogenannter silan-modifizierter-Polymer-Technologien.

Bild oben: Bei AvenariusAgro erfolgen u.a. alle Mischvorgänge im Unternehmen in geschlossenen Behältern, die Verwendung von Lösungsmitteln wurde um 90 % reduziert und eine Reinigungsanlage für 800 Liter zur Verbesserung der Lösemittelbilanz errichtet. Dafür wurde AvenariusAgro mit dem Responsible Care-Zertifikat ausgezeichnet. (im Bild: Vakuumdissolver)

Offen für Weiterentwicklung

Viele Wirkstoffe werden laut AvenariusAgro bereits substituiert, etwa Rezepturbestandteile wie Weichmacher, Entschäumer, Filmbildehilfsmittel und Verlaufadditive. »Für sensible Bereiche bieten wir emissionsminimierte und lösemittelfreie Bodenbeschichtungen«, betont Pressesprecher Bernhard Buchberger. Die neu entwickelte Bodenbeschichtung Disbon 385 PU-Premiumschicht bringt einen besonders hohen Gehkomfort und eignet sich hervorragend für den Wohnbereich sowie sensible Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen sowie Bereiche der Pflege und Gesundheit. Ardex arbeitet an zwei neuen panDOMO-Produkten für innovative Oberflächengestaltung. Eine Herausforderung für neue Produkte ist der Faktor Energiebedarf. Dominique Schröder, Fachverband Chemische Industrie Österreichs: »Kreislaufwirtschaft bildet hier eine große Herausforderung, man ist bestrebt, möglichst recyclierbare Produkte anzubieten.« Nahezu jeder Produzent hat die Notwendigkeit von Weiterentwicklung erkannt und betreibt ein eigenes Forschungs- und Entwicklungslabor. Mapei investiert laut Geschäftsführer Andreas Wolf jährlich fünf Prozent seines Umsatzes in F&E, entwickelt tausende neuer Rezepturen für ökologische und nachhaltige Produkte – u.a. für die Produktlinie Green Innovation. Ardex betreibt ein F&E-Labor im Stammhaus in Deutschland. Murexin unterhält sein Kompetenzzentrum, das für Forschung, Entwicklung und Qualitätssicherung zuständig ist, am Hauptstandort in Wr. Neustadt. Hier erfolgt die Produktion und es wird an neuen Klebstoffen, Lösungen zum Imprägnieren, Beschichten und Versiegeln von Böden, Abdichtungssystemen für sämtliche Lastfälle sowie Farb- und Anstrichtechnik geforscht.

Offen für Veränderung

Bild oben: »Auf Baustellen bilden heute Epoxide eine große Gefahr. Schutzmaßnahmen sind oft unzureichend. Bei 30 Grad möchte kein Arbeiter Schutzkleidung und Atemschutzmaske tragen«, sagt Thomas Belazzi, bauXund.

»Die Idee, Alternativen in der Bauchemie zu entwickeln, beginnt unternehmensübergreifend langsam zu wirken«, betont Christopher Hartl, Techniker im Bereich Mikrobiologie & Zellkultur am Prüf- und Forschungsinstitut OFI . »Kosten sind natürlich immer ein Thema, im Vordergrund steht aber die Qualität.« Genutzt wird dies auch vom Marketing, um sich von der Konkurrenz abheben.

Das ist einem Unternehmen aus Krems gelungen: BMB Gebäudehygiene hat ein dreistufiges Mikroextraktionsverfahren für Schimmelentfernung entwickelt, mit dem chemische Verbindungen aus saugenden Materialien wie Mauerwerk und Verputzen extrahiert werden können. Das Verfahren wurde jüngst mit dem ACR Kooperationspreis ausgezeichnet. Es hält zudem ein österreichisches, ein europäisches und bald auch ein US-Patent.

Eine geänderte Herangehensweise zeigt Mapei in Fußgänger- und Straßentunnels. Als Betonoberflächenbeschichtung werden einfach Fliesen verwendet. Murexin überzeugt  mit Produkten auf Basis MSP-Technologien als ökologische und physiologisch unbedenkliche Grundierungen und Feuchtigkeitssperren, die bisher eingesetzte Produkte auf Epoxid- und Polyurethanbasis ersetzen und maßgeblich zum Schutz der Verarbeiter beitragen.

Arbeiten ohne Risiko

Thomas Belazzi spricht die Gesundheit der Mitarbeiter an. »Man muss natürlich unterscheiden, ob in einem Industriebetrieb in einem geschlossenen System gearbeitet wird oder ob man auf der Baustelle mit gefährlichen Stoffen direkt in Kontakt kommt.« Vor allem Epoxide bilden heute eine Gefahr. Wer arbeitet gern im Hochsommer mit Atemschutz und Handschuhen? Bauleiter können Schutzmaßnahmen nicht rund um die Uhr kontrollieren oder mit Pönale drohen. Hohe Sicherheitsmaßnahmen auf einer großen Baustelle mit Zeitdruck zu verlangen, sei realitätsfremd. Der Betrachtungsfokus liegt laut Belazzi auf dem fertigen Gebäude und nicht auf Arbeitnehmerschutz. In einem Produktionsbetrieb mit Werkshallen dagegen sei Schutz einfach umsetzbar. »Die chemische Industrie gibt zu wenig Geld für die Entwicklung von für die Verarbeiter sicheren Produkten aus. Hersteller verlassen sich auf Formalismen, verweisen auf Sicherheitsdatenblätter, die aber viel zu wenig gelesen bzw. beachtet werden.« Viele Chemikalien wirken zudem langfristig. Würden immer unmittelbar Übelkeit, Ausschlag oder Augenbrennen auftreten,  gäbe es zeitnahes Reagieren. Aber bei langfristiger Wirkung sei das menschliche Hirn schwer für Schutz zu begeistern.


Braucht Bauchemie einen Imagewandel?

»Ich denke,Ein Leben ohne Chemie ist undenkbar, denn sie bestimmt unseren Alltag und das vielfach unbemerkt. Das ganze Leben ist Chemie. Bauen wird wirtschaftlicher, die Funktionalität und Langlebigkeit der Baumaterialien verbessert. Die Bauchemiehersteller richten den Fokus zunehmend auf ressourcenschonende Produktion, Umweltverträglichkeit und nicht zuletzt auf die Gesundheit der Verarbeiter und der späteren Nutzer der Räume. Aufklärung über Risiken und Schulungen zur korrekten Anwendung auch im Hinblick auf den Gesundheitsschutz sieht die Industrie als ihren Auftrag«, sagt Bernhard Mucherl, Geschäftsführer Murexin und Berufsgruppenobmann Bauklebstoffe des FV der Chemischen Industrie Österreichs.


Responsible Care

Bei Responsible Care handelt es sich um eine weltweite, freiwillige Initiative der chemischen Industrie, die sich zum Zweck einer Verbesserung der Gesundheits-, Sicherheits- und Umweltsituation strenge Selbstkontrollen auferlegt hat. »Bei der Überprüfung des Unternehmens werden rund 300 Fragen aus den Bereichen Energie, Entsorgung, Lagerung, Arbeitnehmerschutz, Industrieunfallvorsorge, Umweltorganisation u.v.m. nach einem Punktesystem bewertet«, informiert Dominique Schröder vom Fachverband Chemische Industrie Österreichs. Sind 80 Prozent der Anforderungen, die über die gesetzlichen Auflagen hinausgehen, erfüllt, wird das Zertifikat verliehen, es gilt drei Jahre. Thomas Belazzi kritisiert: »Nicht bewertet wird, ob die Produkte nachhaltig sind und ob es Alternativen gibt.« Schröder weist darauf hin, dass Ressourcenschonung und Rohstoffeffizienz im Kapitel Nachhaltigkeit angesprochen werden. Im Rahmen des Audits erhalten Unternehmen eine umfassende Beratung durch Prüfer. Einzelne Verfahrensabläufe können hinterfragt und deren Adaptierungen diskutiert werden.

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