Baustellen sind komplexe Gefüge, die schon durch eine kleine Verzögerung aus dem Gleichgewicht geraten können. Digitale Logistiksysteme sorgen für effiziente Abläufe und helfen Kosten sparen – schon jetzt ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil.
Baulogistiker sprechen über ihre Materie gerne von Flüssen: Material, Personal, Strom, Maschinen – alles muss zur Baustelle gelangen, wird dort verarbeitet oder eingesetzt und muss anschließend wieder abtransportiert werden. Die logistischen Abläufe einer Baustelle sind äußerst vielschichtig und umfassen die Bereiche Aushub, Rückbau, Recycling und Entsorgung. Im Idealfall greifen die Abläufe wie Zahnräder ineinander. Stehzeiten verursachen Kosten, die sich rasch potenzieren. Können die einzelnen Gewerke nicht planmäßig mit ihrer Arbeit beginnen, setzt das unweigerlich eine Kette von Verzögerungen in Gang. Bei widrigen Witterungsbedingungen steigen Zeit- und Kostendruck enorm an.
»Während einer Bauphase bedarf es vieler Anpassungen und Änderungen aufgrund verschiedenster Einflüsse. Durch Informationsverlust bzw. Zeitverluste bei der Materialbeschaffung entstehen oft hohe, unkalkulierbare Kosten«, weiß Mario Schindlmayr, Geschäftsführer Vertrieb bei Würth Österreich. Mehr Effizienz ist dabei keine Frage der Größe. Würth entwickelt individuelle Lösungen auch für kleine Bauvorhaben. »Gerade bei kleinen Baustellen entscheiden prompte Warenverfügbarkeit und Produktivität oft unmittelbarer über den wirtschaftlichen Erfolg, da hier kaum Vorteile durch ›economies of scale‹ vorhanden sind«, so Schindlmayr.
Bild oben: »Bei Goldbeck Rhomberg ist die digitale Baustelle schon heute Realität«, bestätigt Geschäftsführer Georg Vallaster.
Insbesondere beim Bestandsmanagement lassen sich Kosten einsparen, indem durch sachgemäße Lagerung und Diebstahlschutz Materialverluste weitgehend vermieden werden. Im Idealfall ist die gesamte Lieferkette vom Baustoffhersteller über den Großhändler bis zum Einsatzort eingebunden. Statt auf Lieferscheinen und Tabellen läuft die Dokumentation auf vielen Baustellen bereits digitalisiert ab. Alle Mitarbeiter sind mit Tools ausgestattet; Baulogistiker können jederzeit prüfen, wo es Leerläufe oder Überschneidungen gibt.
Ausgeklügeltes System
Sinnvollerweise wird die Logistik schon in der Planungsphase mitgedacht. Gerade innerstädtische Bauvorhaben stellen alle Beteiligten, inklusive Anrainer, auf eine harte Probe. Bei Schachinger Baulogistik hat man speziell für den urbanen Bereich eine alternative Lösung gefunden. »War es früher so, dass der Glaserer, Tischler oder andere Gewerke einzeln die diversen Baustellen angefahren haben, wird nun am Lkw kombiniert«, erklärt Klaus Ahamer. »An Logistik-Hubs, die der jeweiligen Stadt vorgelagert sind, liefern die verschiedenen Gewerke an, wir bündeln die diversen Waren und fahren mit kombinierten Lkw die Baustellen an.«Mit steigendem Bauvolumen wird auch die Logistik zunehmend komplexer. Sind zehn Lkw pro Tag noch relativ gut zu koordinieren, so bedarf es bei Großbaustellen mit einer Frequenz von 100 Lkw und mehr schon einer ausgeklügelten Logistik, um massive Verkehrsbeeinträchtigungen zu verhindern. Neben den strengen gesetzlichen Verordnungen betreffend der Entsorgung bereitet die möglichst effiziente Nutzung von Zufahrten, Lagerflächen und Baugeräten den Planungsverantwortlichen mitunter Kopfzerbrechen.
Bild oben: »Korrekte Planung im Vorfeld spart den Bauherren Nerven und die Umwelt freut’s auch«, weiß Klaus Ahamer, Schachinger Baulogistik.
In der Seestadt Aspern, einem der größten Stadtentwicklungsgebiete Europas, tüftelt ein internationales Konsortium aus WissenschafterInnen und PraktikerInnen an einer verbesserten Planung und Abwicklung der Bautätigkeiten. Wo auf 2,4 Millionen m² Fläche bis 2030 rund 20.000 Menschen wohnen und arbeiten werden, wurden in mehreren Bauphasen schon große Teile besiedelt, während in anderen Bereichen noch Bagger und Krane am Werk sind. Das Austrian Institute of Technology (AIT) sowie Ingenieure der Blum Baulogistik entwickeln im Rahmen des Projekts CIVIC ein neuartiges dynamisches Optimierungsverfahren für die effiziente Planung der Materialtransporte hinsichtlich Zeit, Standort und Verfügbarkeit.
Auch im Sonnwendviertel hinter dem Wiener Hauptbahnhof entsteht gegenwärtig ein neuer Stadtteil mit 5.000 Wohnungen. Allein im ersten Bauabschnitt mussten drei verschiedene Erdfraktionen von sieben Baufeldern bei laufendem Bahnbetrieb zwischengelagert werden, um später für den Massenausgleich der Niveaus zwischen Park, Wohnraum und Straße zur Verfügung zu stehen. Für die Aufbereitung von Zuschlagstoffen für Beton wurde eine mobile Anlage an den jeweiligen Baustandort transferiert.
Digitale Baustelle
Am Austria Campus, einem Bürokomplex am Verkehrsknoten Praterstern mit insgesamt 200.000 m² Geschoßfläche, sind bis zu 60 Gewerke parallel im Einsatz. Aktuell bewegen sich täglich 100 Transporte auf dem Gelände. Ohne software-unterstützte Baulogistik wäre die Belieferung mit Materialien und die koordinierte Nutzung der wenigen freien Flächen kaum zu bewältigen. Über ein eigenes Online-Avisierungs-System melden die Lieferanten ihre Transporte an und bekommen Zeitfenster und Zufahrt zugewiesen. Mittels eines Messenger-Dienstes werden alle beteiligten Personen wie Vorarbeiter, Polier, Stapler- oder Aufzugsfahrer just-in-time über die tatsächliche Ankunft informiert.
Für Dominik Müller, Geschäftsführer der Zeppelin Rental Österreich, der mit seinem Team am Austria Campus für den reibungslosen Ablauf verantwortlich zeichnet, führt an BIM (Building Information Modeling) kein Weg vorbei: »In naher Zukunft wird die Bedeutung der Baulogistik aufgrund der voranschreitenden Digitalisierung und der Erhöhung des Vorfertigungsgrades am Bau weiter zunehmen. Durch die konsequente Anwendung von BIM liegt künftig vor Baubeginn eine widerspruchsfreie und vollständige Planung vor. Die Baulogistik wird damit zum entscheidenden Erfolgsfaktor auf der Baustelle von morgen.«
Bild oben: Dominik Müller, Zeppelin Rental Österreich, steuert mit seinem Team die Baulogistik am Austria Campus (M.).
Laut einer Studie der Beratungsgesellschaft Roland Berger setzen derzeit nur 6 % der Bauunternehmen in der DACH-Region konsequent digitale Planungsmethoden ein, obwohl durch die Simulation des Projekts schon im Vorfeld Fehlplanungen und Mehrkosten auffallen. Diese Potenziale werden noch kaum ausgeschöpft, könnten sich aber schon in naher Zukunft zu einem signifikanten Wettbewerbsvorteil entwickeln.
Auch wenn noch niemand wirklich abschätzen kann, was mit neuen Technologien künftig alles möglich sein wird – die »digitale« Baustelle ist auch bei Goldbeck Rhomberg bereits Realität. »Unsere Planung etwa läuft mittlerweile ausschließlich in Form von visualisierten, dreidimensionalen Datenmodellen auf einer Datenbank«, bestätigt Geschäftsführer Georg Vallaster. Alle Beteiligten arbeiten – räumlich und zeitlich unabhängig – am gleichen Modell. »Das beschleunigt die Planung, garantiert dem Kunden Termin- und Kostensicherheit und minimiert Fehler. Risikomanagement beginnt damit bei uns schon in der Planung und zieht sich über das standardisierte und witterungsunabhängige Vorfertigen bis hin zur wirtschaftlichen Montage«, so Vallaster. Schon bald sollen auch Field-Geräte zum Einsatz kommen. Dicke Dokumentenordner und Zeichnungsrollen, die über die Baustelle getragen werden, gehören damit der Vergangenheit an.