Preisstürze beim Rohöl haben auf die Tankstellenpreise sehr unterschiedliche Auswirkungen. Es liegt der Verdacht nahe, dass die günstigen Einkaufspreise nicht immer weitergegeben werden. Der Bau & Immobilien Report hat die Preisentwicklung der letzten Jahre unter die Lupe genommen und Experten um ihre Einschätzung gebeten.
Treffpunkt Zapfsäule, März 2018 im Osten Österreichs. Dem aufmerksamen Konsumenten entgeht nicht, dass die Treibstoffpreise seit längerem leicht schwanken, jedoch auf gleichem Niveau. Diesel um 1,10 Euro und Super 95 um 1,16 Euro. Herr und Frau Österreicher haben sich daran gewöhnt, wissend, dass es erst ein paar Jahre her ist, als es noch richtig teuer war, seinen Tank zu füllen. Aber auch bei den heutigen, moderateren Preisen kostet eine durchschnittliche PKW-Tankfüllung Diesel immer noch um die 60 Euro und Super 95 bis zu 10 Euro mehr. Echte Freude kommt bei diesen Preisen nicht auf. Besonders nicht, wenn man bedenkt, dass die aktuellen Rohölpreise immer noch weit unter dem Durchschnitt der Jahre 2010 bis2015 liegen.
Das heißt: Der Rohölpreis ist nach wie vor niedrig, wirklich günstig sind die Tankstellenpreise aber nicht.
Die Ausgangssituation
Der Kraftstoffpreis setzt sich in Österreich aus dem Nettopreis und den vom Staat erhobenen Steuern, der Mineralölsteuer plus der Umsatzsteuer zusammen. Der Nettopreis wiederum setzt sich aus dem Produktpreis (Rohölpreis bzw. Einkaufspreis, Raffineriekosten, Transport, Lagerung etc.) und der Gewinnspanne des Kraftstoffherstellers zusammen (siehe Grafik Seite 43).
Bis vor drei Jahren musste an der Tankstelle noch wesentlich mehr bezahlt werden, bevor es günstiger wurde. Der Preisverfall beim Rohöl ging durch die Medien, ebenso die Meldung, dass Russland und die OPEC gemeinsam dagegen angehen wollen. Dies wissend wird schnell eines klar: Wenn es Preisstürze beim Rohöl gab, sollten sich diese auf die heutigen Tankstellenpreise positiv ausgewirkt haben. Die entscheidende Frage ist daher: In welchem Ausmaß wurden sie an die Letztverbraucher weitergegeben?
Der Verdacht
In den letzten zehn Jahren gab es mit Februar 2009, Jänner 2015 und Jänner 2016 drei markante Preisstürze beim Rohöl (siehe Grafik Seite 44), wobei die Folgen des Preissturzes 2016 andere waren als in den Jahren davor. Wendet man das Verhältnis von Rohöl- zu Tankstellenpreis vom ersten Preissturz 2009 auf Jänner 2016 an, hätte Diesel im Januar 2016 nur 0,66 Euro/Liter und Normalbenzin nur 0,66 Euro/Liter kosten dürfen. Legt man den Preissturz von 2015 zugrunde, hätte Diesel im Januar 2016 nur 0,69 Euro/Liter und Normalbenzin nur 0,70 Euro/Liter kosten dürfen. Tatsächlich lagen die Durchschnittspreise im Jänner 2016 bei 0,97 Euro/Liter für Diesel und 1,08 Euro/Liter für Normalbenzin.
Natürlich ist der BRENT-Index nach dem Jänner 2016 wieder gestiegen und wurde an den Tankstellen nachvollzogen, allerdings ausgehend von einem viel höheren Preisniveau als 2009 und 2015, weil der Preissturz 2016 nicht im selben Ausmaß weitergegeben wurde wie 2009 und 2015.
Es liegt also der Verdacht nahe, dass der Endkonsument in Österreich seit Jänner 2016 bis heute zu viel an den Tankstellen bezahlt. Dieser Verdacht wurde durch Einblick in den OMV Finanzbericht 2016, Seite 69 bestärkt: »Das Retail-Geschäft erzielte eine starke Performance. Mit 116 Mio. Euro leistete OMV Petrol Ofisi einen deutlich höheren Ergebnisbeitrag als im Vorjahr (2015: 84 Mio. Euro).« Das sind immerhin 32 Mio. Euro Ergebnissteigerung in einem Jahr nur aus dem Tankstellengeschäft.
Die Überprüfung
Um diesen Verdacht einer kritischen Prüfung zu unterziehen, hat der Bau & Immobilien Report die vorliegenden Rechercheergebnisse ÖAMTC, OMV und der Bundeswettbewerbsbehörde BWB vorgelegt, mit der Bitte, folgende Fragen zu beantworten:
Frage 1: Was sagen Sie zur Hypothese, dass wir in Österreich zumindest seit Jänner 2016 zu viel an der Tankstelle bezahlen?
Frage 2: Was halten Sie von dem Vorschlag einer nationalen Regelung, dass jeder Prozentpunkt einer Rohölpreissenkung im Wochendurchschnitt an die Konsumenten weiterzugeben ist?
Einschätzungen der Experten
Die profundeste Expertise zu diesen Fragen lieferte der ÖAMTC, der sich mit den angestellten Überlegungen im Detail auseinandersetzte und folgendes Statement abgab:
Ad Frage 1) »Man sollte den Berechnungen Ölpreise in Euro zugrunde legen, da Öl am Weltmarkt in Dollar gekauft, der Kraftstoff aber in Euro verkauft wird, und vorab (zumindest) die Steuern (Mineralölsteuer und Umsatzsteuer) herausrechnen. Geht man dementsprechend vor, würde sich für den Jänner 2016 ein zu hoher Preis ergeben (allerdings max. 5 Cent beim Diesel und 12 Cent beim Benzin zu viel). Gleichzeitig wären bei dieser Methode die tatsächlichen Preise im Februar 2018 (je nach Basis für die Ölpreis-Nettopreis-Relation) aber um bis zu 27 Cent zu niedrig gewesen. Dementsprechend ist die vorgeschlagene Methode zur Ermittlung des angemessenen Preises nicht geeignet. Der Grund hierfür ist das Fehlen einer detaillierteren Aufschlüsselung des Nettopreises, über die aber nur die Tankstellenbetreiber bzw. die Mineralölindustrie verfügen (Produktionskosten, Transportkosten, Vertrieb, etc.). Aus Sicht des ÖAMTC wäre es hierzu wichtig, Transparenz zu schaffen, welcher Teil des Nettopreises tatsächlich vom Ölpreis abhängt und welcher davon unabhängig ist.«
Ad Frage 2) »Die obige Antwort gibt auch schon zum Teil die Antwort auf diese Frage. Erst mit der entsprechenden Transparenz wäre eine Preisfestsetzung wie die vorgeschlagene möglich. Auch aufgrund der Historie sind wir jedoch skeptisch gegenüber Spritpreisregulierungen und setzen daher vielmehr auf Transparenz bei der Spritpreisgestaltung und bei den Börsen für Fertigprodukte und Förderung des Wettbewerbs z.B. in Form des Spritpreisrechners.«
Bezüglich »Börsen für Fertigprodukte« verweist der ÖAMTC auf eine Untersuchung der Bundeswettbewerbsbehörde (www.bwb.gv.at/Untersuchungen/Seiten/PlattsEndbericht.aspx), die sich mit dem Einfluss der Bieterplattform »Platts« auf die heimischen Spritpreise auseinandersetzt.
Ergebnis: »Wie vorhergehende Studien der BWB ergaben, folgte der österreichische Spritpreis lange Zeit den Platts-Notierungen. Obwohl von der Mineralölindustrie dies früher als Grundlage für die Preiszusammensetzung angegeben wurde, wurde in den letzten Monaten davon abgewichen.«
Damit kommen wir auch schon zum Statement der angesprochenen BWB:
Ad Frage 1) »Die Aufgabe der Bundeswettbewerbsbehörde ist es, für funktionierenden Wettbewerb in Österreich zu sorgen. Hohe Preise wären dann ein Problem, wenn diese durch Preisabsprachen entstehen würden. Hohe Preise sind aber noch kein ausreichendes Verdachtsmoment.«
Ad Frage 2) »Die beste Regulierung ist der freie Wettbewerb. Einen solchen Vorschlag müsste man sich genau ansehen und die ökonomischen Auswirkungen genau analysieren. Denn man muss bedenken, dass Rohöl für eine Vielzahl von Produkten (von den Autoreifen bis zur Kosmetik) zum Einsatz kommt.«
Somit sprechen sich sowohl ÖAMTC als auch BWB für freien Wettbewerb und gegen Regulierungen aus. Von der OMV selbst haben wir keine Stellungnahme erhalten, vielmehr wurden wir an den Fachverband der Mineralölindustrie verwiesen, der folgendes Statement abgab:
»Preisveränderungen am Rohölmarkt nach oben und unten schlagen sich prozentuell immer nur in abgeschwächter Form beim Kraftstoffpreis an der Tankstelle nieder. In den vergangenen zwei Jahren pendelten die Rohölpreise zwischen 30 und 70 US-Dollar. Gleichzeitig gab es jedoch an den Tankstellen keine Preisveränderungen im Ausmaß von rund 130 %. So stieg der Dieselpreis in Euro/Liter um etwa 22 % an, beim Benzinpreis ergab sich eine Erhöhung von rund 14 %. Zu berücksichtigen sind weiters die kostenintensive Verarbeitung in den Raffinerien, die Transport- und Vertriebssysteme sowie umfassenden Forschungsaufwendungen, die Personal- und Betriebsaufwendungen erfordern und von den Rohölpreisschwankungen unabhängig sind. Auch der US-Dollarkurs beeinflusst die Preisentwicklung wesentlich. Wenn der US-Dollar, der weltweit auf den Ölmärkten als Verrechnungswährung dient, gegenüber dem Euro stärker wird, kommt es zu geringeren Preissenkungen und umgekehrt. So waren Mitte Jänner 2016 für einen Euro nur rund 1,09 USD aufzubringen, Mitte Jänner 2018 betrug der Wechselkurs hingegen 1,23 USD. Der Euro ist damit um 13 % stärker geworden und hat den Rohölpreisanstieg und somit auch die Produktpreise gedämpft.“
Zur zweiten Frage hat sich der Fachverband Mineralölindustrie nicht geäußert. Einem Mehr an Transparenz beim Zustandekommen der Nettopreise redete der Fachverband nicht das Wort. Laut einem Bericht der BWB über die Treibstoffpreise in Salzburg aus 2009 wurde die von der BWB angeregte Einrichtung eines virtuellen Datenraums, in den die Mineralölkonzerne ihre zum jeweiligen Zeitpunkt aktuellen Komponenten des Endverkaufspreises für Benzin und Diesel einspeisen, vom Fachverband abgelehnt.
Zusammenfassung
Aufgrund fehlender Transparenz beim Zustandekommen der Nettopreise für Treibstoffe in Österreich kann die Frage nicht eindeutig beantwortet werden, ob die Tankstellenpreise beim Ölpreissturz im Jänner 2016 zu hoch waren. Folgt man den Überlegungen des ÖAMTC zur Berechnungsmethode, dann waren die Jänner-Preise 2016 möglicherweise nur leicht überhöht. Einer endgültigen Klärung steht die fehlende Offenlegung der Faktoren für den Nettopreis von Treibstoffprodukten in Österreich entgegen.
Es ist sehr bedauerlich, dass diese für die Volkswirtschaft und aus Konsumentenschutzsicht wichtigen Preisgestaltungsfaktoren nicht bekanntgemacht werden. Es kann natürlich auch schwerwiegende (wettbewerbs-)rechtliche oder wirtschaftliche Gründe geben, die dagegen sprechen, aber dann sollten zumindest diese Gründe offengelegt werden.