Der Brand des Grenfell Tower hat vielerorts zu Verunsicherung geführt, ob eine ähnliche Katastrophe auch in Österreich möglich wäre. Dazu hat der Bau & Immobilien Report die Brandschutzexperten Otto Widetschek, Brandschutzforum Austria, Alfred Pölzl, PT Brandschutzmanagement GmbH, und Rainer Mikulits, Österreichisches Institut für Bautechnik (OIB), zum Gespräch gebeten.
Report: In Österreich sind brennbare Dämmstoffe und Fassadenelemente ab der Hochhausgrenze nicht zulässig. Laut Experten sollen jedoch ähnliche Fassadensysteme wie beim Grenfell Tower in Österreich für Gebäude unter der Hochhausgrenze zulässig sein und müssten daher genehmigt werden. Sind die bestehenden Vorschriften ausreichend?
Otto Widetschek: In Österreich sind mir Fassadenkonstruktionen wie im Grenfell Tower noch nicht untergekommen. Bei uns werden meist Fassadenelemente aus Polystyrol verwendet, welche jedoch – vor allem bei der häufig durchgeführten, mangelhaften Punktverklebung – bei einem entsprechenden Stützfeuer (z. B. brennender Müllcontainer) relativ rasch abbrennen können.
Alfred Pölzl: Wärmedämmverbundsysteme müssen mit einem hohen Qualitätslevel verlegt werden. Das gelingt wahrscheinlich nicht immer, sieht man sich die diversen Baustellen an. Generell sind aber nicht brennbare Materialien an der Fassade die bessere Lösung.
Bild oben: »Der organisatorische Brandschutz insbesondere in Wohnbauten steckt noch immer in den Kinderschuhen«, kritisiert Alfred Pölzl.
Mikulits: Aus Sicht des OIB sind die bestehenden Brandschutzvorschriften ausreichend, weil eine Balance zwischen den Baukosten und dem erforderlichen Sicherheitsniveau gefunden werden muss. Der Hauptgrund, warum ab 22 m Fluchtniveau nicht-brennbare Fassaden vorgeschrieben sind, hat mit der Drehleiterhöhe bzw. Wurfleistung der Feuerwehrschläuche zu tun; Ein Löschangriff ist ab 22m nicht mehr ausreichend möglich. Darunter dürfen brennbare Fassadenelemente grundsätzlich verwendet werden, da der Löschangriff möglich ist. Bei Gebäuden der GK 5 und 4 muss aber zumindest die Außenschicht A2 (nicht brennbar) sein. Eine Fassade mit brennbaren Außenschichten wie beim Grenfell Tower wäre daher in Österreich auch unter der Hochhausgrenze nicht zulässig.
Report: In UK und Deutschland wurden nach Grenfell Hochhäuser kontrolliert und Mängel behoben. Wurden in Österreich ähnliche Untersuchungen durchgeführt?
Widetschek: In England gab es eine plötzliche feuerpolizeiliche »Kontrollorgie« und auch in Deutschland sind mir zumindest zwei Fälle bekannt, in welchen Hochhäuser sogar behördlich geräumt wurden. Über die in Österreich tatsächlich vorhandenen Altlasten ist nichts bekannt geworden. Feuerpolizeiliche Kontrollmaßnahmen sind mir nicht bekannt.
Bild oben: »In Österreich sind mir Fassadenkonstruktionen wie im Grenfell Tower noch nicht untergekommen«, kann Otto Widetschek beruhigen.
Pölzl: Sofort nach dem Brand ist eine Diskussion in den Medien entstanden. Man hat versucht, zu beschwichtigen und den Fokus auf Neubauten gelegt, um von den Bestandsbauten abzulenken. Ich selbst habe im Anschluss bei einem Hochhaus mehrere Tonnen Holz von der Fassade entfernen lassen. Jetzt verfügt das Objekt über eine dem Stand der Technik entsprechende Fassade.
Report: Laut bisher vorliegenden Erkenntnissen über den Grenfell-Brand wurde in jener Wohnung, in der das Feuer ausgebrochen ist, die Wohnungstür offengelassen, wodurch der Rauch rasch ins Treppenhaus aufgestiegen ist. Dieses wurde zur Todesfalle. Gibt es in Österreich behördliche Vorschriften für das Bewohnerverhalten im Brandfall im mehrgeschoßigen Wohnbau?
Widetschek: Es sind keine expliziten gesetzlichen Vorschriften vorhanden. Das richtige Verhalten im Brandfall wird nur bei der Ausbildung von Brandschutzorganen gemäß TRVB 117 O gelehrt. In diesem Zusammenhang gibt es auch Anschläge (Plakate) über das richtige Verhalten im Brandfall, welche in Wohnbauten – in der Regel in der Nähe von tragbaren Feuerlöschern im Treppenhausbereich – anzubringen sind.
Pölzl: Gesetzliche Vorschriften gibt es dazu nicht. Allerdings steckt der organisatorische Brandschutz insbesondere in Wohnbauten noch immer in den Kinderschuhen. Hier müsste viel mehr in Richtung Brandschutzmanagement unternommen werden. Ich vermisse hier besonders die Bestrebungen des OIB in Richtung des betrieblichen Brandschutzes. Man stellt hoch technische Bauten in die Landschaft und nach der Übergabe des Bauwerkes sieht man weg. Das muss geändert werden. Hinzu kommt noch die fehlende Herstellungsüberwachung, was zwangsläufig zu noch mehr Fehlern führt.
Mikulits: Es gibt keine Vorschriften für das Bewohnerverhalten im Brandfall, da Maßnahmen des organisatorischen Brandschutzes für Wohnbauten nur beschränkt geeignet sind. Das Verqualmen des Treppenhauses aufgrund eines Wohnungsbrandes wird in Österreich dadurch verhindert, dass es laut OIB-Richtlinien zwischen jedem Etagenflur und dem Treppenhaus selbstschließende Türen (bzw. Schleusen über 32 m Fluchtniveau) geben muss. Ein Verqualmen ist daher nur auf höchstens 40 m Fluchtweg zwischen Wohnungstür und Treppenhaustür möglich.
Bild oben: »Aus Sicht des OIB sind die bestehenden Brandschutzvorschriften ausreichend, weil eine Balance zwischen den Baukosten und dem erforderlichen Sicherheitsniveau gefunden werden muss«, sagt Rainer Mikulits.
Report: Das Bewohnerverhalten ist im Brandfall enorm wichtig. Wäre es aus Ihrer Sicht sinnvoll, behördliche Benutzervorschriften einzuführen und diese in Zivilschutzübungen mit Bewohnern mehrgeschoßiger Wohngebäude zu üben?
Widetschek: Wir müssen mehr auf die Eigenverantwortung der Menschen setzen und weniger Vorschriften produzieren. Das gilt auch für den Brandschutz! Allerdings sollten die Hausverwaltungen ihren Verantwortungen im Hinblick auf die Objektsicherheit der Bauwerke in vermehrtem Maße nachkommen. Damit kann auch das Versagen von technischen Einrichtungen auf ein Minimum reduziert werden.
Pölzl: Es wäre wünschenswert, wenn die verantwortlichen Hausverwaltungen vermehrt der Betreiberpflicht nachkommen und den Brandschutz forcieren würden. Vorschriften haben wir schon genug. Mittlerweile gibt es Gütezeichen für Hausbetreuungen, Brandschutz etc. Man muss es nur umsetzen. Ausbildungsstätten gibt es mittlerweile auch ausreichend. Bei der Aufklärungsarbeit muss angesetzt werden.
Mikulits: In der OIB-RL 2 werden Rauchabzugseinrichtungen in allen Treppenhäusern (ab GK 2) gefordert. Übungen sind hierbei nicht erforderlich, da die Rauchabzugseinrichtungen ja entweder automatisch funktionieren oder von der Feuerwehr bedient werden. Sehr wohl sinnvoll ist aber eine regelmäßige technische Kontrolle, die ohnehin im Rahmen der Erhaltungsplicht für den Gebäudeeigentümer erfolgen sollte.