Um die Wachstumspotenziale auszuschöpfen, wandeln sich immer mehr Hersteller massiver Baustoffe vom Produktlieferanten zum Systemanbieter. Auch Produktinnovationen sind gefragt, haben es aber schwer, den Markt zu durchdringen. Spannung versprechen digitale Lösungen namhafter Hersteller.
Die traditionelle Konjunkturerhebung unter den über 300 Mitgliedsunternehmen des Fachverbands Steine-Keramik zeichnet nur auf den ersten Blick ein erfreuliches Bild. Zwar erzielten die Unternehmen im ersten Halbjahr 2017 einen Umsatz von 1,7 Milliarden Euro, was einem Plus von 3,58 Prozent entspricht. Allerdings ist dieses Plus stark von den Industriezulieferern getragen, die bauaffinen Branchen hinken mit einem Plus von 1,88 Prozent deutlich hinterher. Sorgenkinder bleiben die Sanierung und der Tiefbau. Zwar sorgt der Bereich Infrastrukturbau entlang der Hauptverkehrsadern, die von ÖBB und Asfinag bereitgestellt werden, für konstante Auslastung. Dennoch besteht v.a. auf Landesstraßenebene nach wie vor enormer Aufholbedarf. In der Sanierung entfernt man sich laut Fachverband-Geschäftsführer Andreas Pfeiler immer weiter vom politischen Ziel einer Sanierungsrate von drei Prozent bis 2020.
Während die letzten Jahre durch den Sanierscheck die Sanierungsrate deutlich anstieg, bewegt man sich seit der Reduktion der Fördermittel wieder auf einem Niveau von deutlich unter einem Prozent. Positive Entwicklungen weist der Hochbau auf. Sowohl der Wohnbau als auch der gewerbliche Hochbau federn die deutlichen Rückgänge im Bereich Sanierung ab.
Damit die Wachstumszahlen auch in den bauaffinen Branchen wieder in erfreulichere Dimensionen klettern, gilt es, an einigen Stellschrauben zu drehen. Um die Potenziale massiver Baustoffe voll ausschöpfen zu können, muss sich die Baustoffbranche laut Pfeiler weg vom reinen Lieferanten hin zum Anbieter von Systemlösungen entwickeln. »Trends zum integrierten Planen machen individuelle Betreuung von Kunden und Planern immer wichtiger. Der Baustoffhersteller wird zum Dienstleister und Systemanbieter«, so Pfeiler. Erfolgreich werden jene Baustoffhersteller sein, die sich rechtzeitig in die Planungsphase einbringen und mit maßgeschneiderten Lösungen die Bausystementscheidungen in Richtung massiver Baustoffe beeinflussen können.
Bild oben: »Wir verfügen schon seit 2008 über eine interne Bauwerksdatenmodellierung inklusive Planungsableitung aus 3D-Modellen«, erklärt Erich Frommwald, Geschäftsführer der Kirchdorfer-Gruppe.
Ein Rundruf bei Unternehmen und Verbänden zeigt, dass einige bereits dabei sind, diesen Weg zu beschreiten. Denn auch Gernot Brandweiner, Geschäftsführer des Verbands Österreichischer Beton- und Fertigteilwerke, sieht einen Trend in diese Richtung. »Unsere Mitglieder berichten, dass sie immer mehr Detailplanungsarbeit übernehmen müssen. Sie sind bereits in der Montage bzw. nach der Bauteilproduktion beim Versetzen der Bauteile angelangt.« Da sei es nur noch eine Frage der Definition, ab wann man von einem Systemanbieter spricht. Schon heute gibt es Wandelemente mit eingebauten Leitungen, einige Unternehmen bauen in ihre Fertigteile auch Fenster und Türen ein oder können im Abwasserbereich komplette Klär- und Gewässerschutzanlagen anbieten. »Mit der weiteren Rationalisierung des Bauwesens wird sich diese Entwicklung noch weiter verstärken. Unsere Unternehmen sind auf jeden Fall vorbereitet«, ist Brandweiner überzeugt.
Auch bei Kirchdorfer kann man dem systemischen Ansatz viel abgewinnen. »Wir uns haben schon vor einigen Jahren vom reinen Produktvertrieb verabschiedet und bieten unseren Kunden ganzheitliche Systemlösungen an«, erklärt Erich Frommwald, Geschäftsführer der Kirchdorfer Gruppe. Im Straßenbau bedeutet dies beispielsweise, dass die Kirchdorfer Gruppe firmenübergreifend vom Rohmaterial für den Unterbau über spezielle Bindemittel und Betone für Bodenstabilisierungen und Fahrbahndecken bis hin zu Entwässerungssystemen sowie Verkehrssicherheitslösungen denkt und damit zum Systempartner wird. Gleiches gilt für die Bereiche Bahnbau, Tunnelbau oder Hoch- und Industriebau. »Diesen Weg werden wir fortsetzen und auch spezielle Beratungsdienstleistungen erbringen, die produktunabhängig sind«, so Frommwald.
Bei Wienerberger geht das Selbstverständnis ebenfalls weg von reinen Ziegelproduzenten hin zum Dienstleister für Bauherren und Architekten. »Für Bauträger, Architekten, Bauphysiker und Statiker bieten wir aus diesem Grund nützliche kostenlose EDV-Tools an«, erklärt Wienerberger-Geschäftsführer Franz Kolnerberger. Zusätzlich tritt Wienerberger gemeinsam mit Tondach als Systemanbieter für Dach und Wand auf und kann somit die komplette Gebäudehülle aus einer Hand anbieten.
Massive Innovationen
Neben der Hinwendung zum Dienstleister gilt es natürlich auch, die Produkte und Produktionsprozesse zu optimieren. Aber ähnlich lang wie die Lebensdauer massiver Baustoffe sind auch die Innovationszyklen. Radikale Innovationen sind selten, eher gibt es schrittweise Verbesserungen. »Massive Bauststoffe garantieren deshalb vor allem Verlässlichkeit und niemand muss befürchten, dass sein Haus aus Ziegeln oder Beton in fünf Jahren aus der Mode gekommen ist«, erklärt Frommwald. Auf dieser Grundlage hat Innovationskraft bei massiven Baustoffen auch eine andere Perspektive, nämlich jene der Weiterentwicklung hinsichtlich Schnittstellenoptimierung und Kombination von Baustoffen, nicht zuletzt mit besonderer Berücksichtigung der Nachhaltigkeit. Aktuelle Beispiele hierfür sind: Ziegel- oder Betonbauteile mit integrierter Wärmedämmung, Hybridbaustoffe wie Holz-Beton-Verbund-Decken oder die MABA-Korbwand, mit welcher erhöhte Verfüllgeschwindigkeiten des Ortbetons und eine deutliche Einsparung von Betonstahl möglich wird.
»Viele dieser innovativen Entwicklungen finden weitgehend unbemerkt statt, wie dies etwa bei der Herstellung von Zement in Österreich der Fall ist, wo höchste Qualität mit geringsten Emissionen verbunden wird«, weiß Frommwald.
Als Vorzeigebeispiel für die Innovationskraft massiver Baustoffe gilt immer noch die Bauteilaktivierung. Und auch wenn die heimische Industrie hier ohne Zweifel als internationaler Vorreiter bezeichnet werden kann, im Massenmarkt ist die Technologie immer noch nicht angekommen. »Wände, Decken und Böden werden derzeit noch zu selten energetisch genutzt«, weiß Kolnerberger. Auch Brandweiner muss eingestehen, dass die Bauteilaktivierung bei Planern, Bauherren und Handwerkern noch nicht so bekannt ist. »Hier stehen wir erst am Anfang.«
Bild oben: »Gemeinsam mit Tondach treten wir als Systemanbieter für Dach und Wand auf und können somit die komplette Gebäudehülle aus einer Hand anbieten«, erklärt Wienerberger-Geschäftsführer Franz Kolnerberger.
Bei vielen Bauherren herrscht nach wie vor eine gewisse Skepsis. Der Vorteil von massiven Baustoffen kann da schnell zum Hemmschuh werden. Bauwerke aus Ziegel oder Beton haben eine Lebensdauer von Jahrzehnten, oft Jahrhunderten. Da wird jede Neuerung gut überlegt und erst dann eingesetzt, wenn es schon sehr viele Erfahrungen gibt. »Diese persönliche Erfahrung fehlt aber vielen Planern noch«, weiß Frommwald. Und gerade bei kleinen Projekten wie im Einfamilienhausbau muss der Bauherr die Bauteilaktivierung zudem aktiv verlangen und die Handwerker und Baumeister müssen die Pläne auch umsetzen können. Erst langsam setzen sich die vorhandenen Lehrunterlagen und Berechnungstools in den Ausbildungseinrichtungen durch. »Aber die Lehrlinge von heute, die sich mit der Bauteilaktivierung beschäftigen, müssen erst zu Gesellen und Meistern werden«, so Brandweiner.
Mehr als BIM
Spricht man über Innovationen, kommt man um das Thema Digitalisierung nicht herum. Bei der Produktion in den Werken selbst ist die Digitalisierung mehr oder weniger vollzogen, auch bei der Planung der Produkte. Building Information Modeling spielt hingegen noch keine Rolle im Arbeitsalltag. »Noch fordern die großen Bauunternehmen von den Baustofflieferanten keine BIM-Fähigkeit. Dennoch stehen unsere Mitgliedsbetriebe Gewehr bei Fuß«“, sagt Brandweiner. Auch bei Kirchdorfer spürt man diesbezüglich noch keine große Nachfrage. »Wir arbeiten aber dennoch seit längerer Zeit an Kooperationen mit ausgesuchten Partnern. Bereits seit 2008 verfügen wir über eine interne Bauwerksdatenmodellierung inklusive Planungsableitung aus 3D-Modellen«, erklärt Frommwald.
Wienerberger hat den Vorteil, dass man als international tätiger Konzern auf die Erfahrungen aus Ländern wie Großbritannien oder den Niederlanden zurückgreifen kann, die in Sachen BIM deutlich weiter sind. »Unser Ziel ist, für Dach und Wand in den nächsten zwölf bis 18 Monaten eine perfekte BIM-Lösung anzubieten«, kündigt Kolnerberger an. Zudem wird im Rahmen der Digital Agenda in allen Unternehmensbereichen an entsprechenden Projekten gearbeitet. Schon heute bietet Wienerberger digitale Services und Berechnungstools für Architekten, Bauphysiker und Statiker an. In der Logistik wird intensiv an dem Projekt »Sign on glass«, bei dem Kunden die Übernahme der gelieferten Produkte auf einem Bildschirm bestätigen können, gearbeitet. Dieses Service ist aktuell in der Programmierphase und startet Anfang 2018 mit der Beta-Phase. Und schließlich wird 2018 der digitale u-Wert-Kalkulator zur Bestimmung des Wärmedämmgrades live gehen.