Mittwoch, Juli 03, 2024

In den Unternehmen sind sie längst angekommen. Schon übernehmen sie erste Führungsaufgaben. Und sie verändern die Unternehmenskultur. Denn sie streben nicht vorrangig nach hohen Verdienstmöglichkeiten, sondern nach Entfaltungsperspektiven, individueller Freiheit und Selbstorganisation. Sie sind die Sinnsucher unter den Arbeitskräften. Die Rede ist von den Digital Natives. Von Anne M. Schüller.

Digital Natives? Das sind die im Internet-Zeitalter aufgewachsenen und durch digitale Medien sozialisierten nach 1980 Geborenen, oft auch Millennials, Generation Y oder Ypsiloner genannt. Sie prägen eine humanisierte Führungskultur. Und sie schaffen die Rahmenbedingungen für einen kollaborativen Managementstil. Der Chef als Ansager und Aufpasser? Für sie ein Auslaufmodell. Sie stehen für Autonomie und Gestaltungsraum, für Gleichrangigkeit und Selbstorganisation – und für das Teilen. Machtgelüste haben sie selten. Altübliche Statussymbole reizen sie wenig. Und sie lassen sich nichts willenlos aufoktroyieren.

Vor allem die Elite der Digital Natives sucht verstärkt danach, ihre Individualität zu leben und Fremdbestimmung zu minimieren. Sie will Selbstwirksamkeit spüren, und nicht zum Spielball Dritter, der Umstände oder des Schicksals werden. Sie hat sich an ein eigenverantwortliches Leben sehr frühzeitig gewöhnt. Und sie fragt (sich) ständig, ob das, was sie tut, sinnvoll ist. Die Arbeitswelt der Zukunft muss ihnen also vor allem eines ermöglichen: durch Selbstbestimmung Selbstverwirklichung und Sinn zu finden.

>> Selbstorganisation ist ihr Weg <<

Die Generation Y favorisiert wechselnde Positionen, in denen sie sich genauso intuitiv ausprobiert, wie sie es mit digitalen Anwendungen tut. Wohlergehen sei ihnen wichtiger als wohlhabend zu sein, sagt der Zukunftsforscher Horst Opaschowski. Lernen, leisten, leben, so laute ihre Wertewelt. Sie haben für alles ein offenes Ohr, sind wissbegierig und konsensbereit. Sie »verkaufen« sich selbstbewusst bis zur Selbstüberschätzung. Gute Selbstdarstellung – das haben sie auf ihrer Profilseite bei Facebook gelernt.

»An Bedeutung gewinnen Fragen zu Sinn, Spaß, Weiterentwicklung und Weiterbildung. Anforderungen an den Arbeitsplatz sind Abwechslung, Mitbestimmung, keine Langeweile, ein spannendes Unternehmen, mit dem man sich identifizieren kann«, erläutert Iris Gordelik, CEO der Gordelik AG, in einem Interview mit der Kommunikationsfachzeitschrift Intre. Sind diese jungen Leute denn faul und dumm, wie manche meinen? Sie habe nicht das Gefühl, dass diese Generation weniger leisten will. Sie sehe eher, dass die Unternehmen für diese Young Professionals mehr leisten müssen, sagt die renommierte Personalberaterin.

>> Selbstoptimierung ist das Ziel <<

Qualifizierten Digital Natives geht es vor allem um spannende Aufgaben, experimentelle Freiräume und bereichernde Erfahrungen, jedoch kaum darum, wie viele Mitarbeitende man unter sich hat. Alphahierarchische Unternehmenslandschaften mit Drill und Order sind für sie nicht akzeptabel. Insignien der Macht sind von wenig Belang. Wertvoll ist nicht der, der einen dicken Dienstwagen fährt, sondern derjenige, der die Community durch seine Impulse bereichert. Wer den wertvollsten Content liefert, wird von ihnen am meisten geschätzt – und findet sich im Zentrum ihrer Netzwerke wieder. Denn im Web wird »Autorität« verdient und nicht von oben ernannt. Und sie wird erst dann anerkannt, wenn sie durch Taten gerechtfertigt ist. Institutionalisierte Autorität »von Amts wegen« wird sofort hinterfragt.

Millennials sind es gewohnt, dass Informationen offen zugänglich sind und von allen geteilt werden. Herrschaftswissen, das gefiltert und ausgesiebt die Silos hinunter wandert, ist ihnen fremd. Werden Informationen benötigt oder muss Wissen aufgebaut werden, um an eine neue Aufgabe heranzugehen, dann fragen die Digital Natives nicht ihre Führungskraft, sondern sie starten eine Online-Recherche. Denn wer ständig vernetzt ist, sucht auch im Web. Und die, für die das Browsen, also das Herumstöbern im Internet, ein permanenter Zeitvertreib ist, sind im Finden sehr flott. Warten, bis der Chef seine Sprechstunde hat oder zwischen all seinen Meetings eine freie Minute findet, kommt für sie nicht in Betracht. Ihr Wissen halten sich Digital Natives auch nicht auf Vorrat, sondern sie holen es sich dann aus dem Netz, wenn sie es brauchen.

>> Privatzeit ist ein wertvolles Gut <<

Netzwerk-Reputation ist den Millennials wichtig, und sie wird penibel gepflegt. Dabei erfordert die zunehmende Komplexität des realdigitalen Lebens einen recht hohen zeitlichen Aufwand. Privatzeit wird dabei zu einem wertvollen Gut, das man nicht leichtfertig dem Arbeitgeber opfert. Rund 56 Prozent aller Benutzer von sozialen Netzwerken, so eine Erhebung der Website MyLife.com, sind außerdem von einem Syndrom betroffen, das als »Fear of Missing Out« (FOMO) bezeichnet wird. Darunter versteht man die Angst, etwas Wichtiges zu verpassen, den Anschluss zu verlieren oder nicht dauernd auf dem neuesten Stand zu sein. So fahren viele junge Leute auch kein Auto mehr, weil sie währenddessen nicht ins Internet können.

Das digitale Leben hat das Gehirn der Ypsiloner auf kurz und schnell kalibriert. Sie lieben das Lernen in kleinen Einheiten. Ihr Arbeitsstil ist fluid, das heißt, sie hüpfen gern von einer Aufgabe zur nächsten, und dann, ohne frühere ganz beendet zu haben, schon zur übernächsten. Das Mehr von allem kann nur noch bewältigt werden, indem man es auf Kürzelcodes zusammenstaucht. »tl,dr« ist einer davon. »Too long, didn’t read« heißt das ausgeschrieben, und es bringt die ganze Thematik genau auf den Punkt.

>> Süchtig nach Feedback <<

Digital Natives sind geradezu rückmeldungssüchtig. Sie können gar nicht genug davon bekommen, zu erfahren, wie andere über sie denken. Denn sie haben sich an sofortiges Feedback gewöhnt. Wurde im Web was gepostet, rauschen die Kommentare dazu im Sekundentakt rein. Und jedes »Like« ist wie ein virtuelles Schulterklopfen. Auch in Online-Games wird man für vollbrachte Spielleistungen postwendend belohnt: mit Status-Upgrades, immer höheren Levels, Fortschrittsbalken, Spielgeld und Bonuspunkten. Ganz offensichtlich: Social Networks und digitale Geräte sind perfekte Feedbackgeber – und deshalb haben sie Suchtpotenzial.

Von ihrer Firma erwarten junge Mitarbeiter nun das Gleiche wie von einem Online-Game: instant gratification, alles möglichst sofort. »Ich will meinen Punktestand wissen, und zwar gleich!« So tasten sich die Millennials via Feedback voran. Gamer sind es gewohnt, Fehler zu machen und sich in den jeweiligen Communitys darüber auszutauschen. »Game over?« Kein Problem, nächster Versuch! Die Fehlerkultur erhält hierdurch eine völlig neue Qualität. In einem solchen Szenario mit Rückmeldungen bis zum Jahresgespräch warten? Tödlich! Die Generation Y fordert also vehement ein, was in einer guten Führungskultur selbstverständlich sein sollte: Feedback sofort!


Buchtipp: Das Buch zum Thema, Managementbuch des Jahres 2014

- Anne M. Schüller: Das Touchpoint-Unternehmen. Mitarbeiterführung in unserer neuen Businesswelt 
- Gabal, März 2014, 368 S., 29,90 Euro
- ISBN: 978-3-86936-550-3
- Auch als Hörbuch erhältlich


Zur Autorin

Anne M. Schüller: ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfache Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als Europas führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenfokussierte Unternehmensführung. Sie zählt zu den gefragtesten Referenten im deutschsprachigen Raum und hält Vorträge und Workshops zum Thema. Sie ist Gastdozentin an mehreren Hochschulen. Zu ihrem Kundenkreis zählt die Elite der Wirtschaft. Ab sofort bildet ihr Touchpoint Institut auch zertifizierte Touchpoint Manager aus. 

 

Kontakt: www.touchpoint-management.de 

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